Vor vielen Jahren sagte mir ein Kollege und Entwicklungsspezialist mit über 30jähriger Arbeitserfahrung in der Westbank und im Gazastreifen: „Man zerstört eine Gesellschaft nicht, um sie danach wieder aufzubauen.“ Mit diesem einen Satz fasste er die ökonomische Realität Palästinas und seine anhaltende Misere zusammen. Gibt es dort noch eine Ökonomie? Ja, aber die wird immer unrentabler.
Die Westbank und Gaza befinden sich seit 52 Jahren unter israelischer Besatzung, ein Zeitraum, der fast drei Viertel der Geschichte Israels umfasst. Die Folgen sind für beide Gebiete verheerend. Früher galten sie als Regionen mit niedrigem mittleren Einkommen, heute erleben beide ein rückläufiges Wachstum, eine exemplarische Arbeitslosigkeit und Armut, dazu eine nicht nachhaltige Abhängigkeit von (abnehmender) internationaler Hilfe. Dabei ist die Lage in Gaza besonders angespannt, dort befindet sich die Wirtschaft nach dem Urteil der Weltbank „im freien Fall“, ausgelöst durch den Abbau internationaler Hilfe wie die zunehmende Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis.
Im Westjordanland lag die Erwerbslosenquote 2018 bei 17,6 Prozent, wäre aber mehr als doppelt so hoch, würden entmutigte Arbeiter berücksichtigt, die nicht mehr nach Jobs suchen, und die Arbeitsplätze in israelischen Siedlungen herausgerechnet. Gegenwärtig sind etwa 900.000 Menschen oder 30 Prozent der gesamten Bevölkerung allein in der Westbank auf humanitären Support angewiesen.
Noch prekärer jedoch ist die Lage in Gaza. Schon 2007 sagte mir eine palästinensische Ökonomin, „wir haben mit der Nahrungsmittelhilfe begonnen und sind zur Nahrungsmittelhilfe zurückgekehrt“, was eine dramatische Transformation innerhalb dieses Gebiet beschreibt: Von einer Gesellschaft, die an wirtschaftlichem Wandel interessiert war, zu einer völlig geschwächten Bevölkerung, die nur noch eine demografische Größe in einer isolierten Enklave darstellt. Sie kann weder politisch noch wirtschaftlich mobilisiert werden und ist weitgehend vom „guten Willen“ internationaler Geber abhängig. Laut Weltbank wird der Gazastreifen durch hohe Transferzahlungen von Hilfsorganisationen und der Palästinensischen Autonomiebehörde über Wasser gehalten, die 70 bis 80 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen. Die Gaza-Blockade, die nun schon 13 Jahre dauert, verdeutlicht, wie Wirtschaftspolitik zu Strafzwecken eingesetzt werden kann. Es wurden normale Handelsbeziehungen unterbunden, von denen die Gaza-Ökonomie stets abhängig war, zugleich die Tätigkeit des Privatsektors gelähmt, wogegen die Hamas-Behörden wenig oder gar nichts unternahmen.
80 Prozent brauchen Hilfe
Was übrigblieb, ist eine weitgehend konsumorientierte, alimentierte Ökonomie. Allein die drei Angriffe auf Gaza Ende 2008, 2012 und 2014 haben die lokale Wirtschaft weit über eine Milliarde Dollar an direkten und indirekten Schäden gekostet. Nach Angaben der UN liegt das reale Pro-Kopf-Einkommen heute um 30 Prozent niedriger als 1999. Rund 53 Prozent der Gaza-Bewohner – also mehr als jeder Zweite, darunter über 400.000 Kinder – leben in Armut, während 68 Prozent an Lebensmittelunsicherheit leiden, was bedeutet: Sie verfügen über keinen Zugang zu ausreichenden Mengen an nahrhaften Lebensmitteln. Über 80 Prozent der Gesamtbevölkerung (1,6 Millionen Menschen) benötigen humanitäre Hilfe. Obdachlosigkeit ist ein wachsendes Problem, weil die Menschen ihre Miete nicht zahlen können.
Der langsame, aber stetige Niedergang der palästinensischen Ökonomie ist das Ergebnis einer absichtsvollen Politik, die einem Volk aufgezwungen wird, das nichts lieber täte, als zu arbeiten. Diese Politik erfüllt das Hauptziel Israels, eine lebensfähige palästinensische Wirtschaftsentwicklung als Basis einer Staatsgründung zu verhindern. Durchgesetzt wird dies dank einer anhaltenden Besatzung, indem palästinensische Ressourcen abgebaut und die Palästinenser ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte beraubt werden. Die Regierungen Israels und der westlichen Staaten nennen das „Wirtschaftsfrieden“. Der Osloer „Friedens“prozess von 1993 stellte einen differenzierteren Ausdruck dieses Betruges dar, wie sich das beispielsweise an Projekten wie Industrierevieren gezeigt hat, die trotz einer unveränderten, oft sogar noch restriktiveren Besatzung Perioden des Wachstums versprachen.
Diese Strategie, den Frieden mit verbesserten Handelsbeziehungen zu verbinden, und nationale Rechte durch eine begrenzte und flüchtige Prosperität zu unterdrücken, ist so alt wie die Besatzung selbst. Der 50 Milliarden Dollar umfassende Plan von Jared Kushner, Schwiegersohn und Berater von Donald Trump, in dem das Wort „Besatzung“ nirgends auftaucht, ist nur die jüngste und offenkundig unrealistischste Wiederholung jenes „Wirtschaftsfriedens“, die ebenfalls scheitern wird. Nicht zuletzt deshalb, weil der Plan von anderen fordert, die Programme zu unterstützen, von denen sich die USA zurückgezogen haben.
Heute wird die Besatzung von einer internationalen Gemeinschaft akzeptiert, die bereit scheint, sie zu legitimieren, solange kein akzeptiertes Abkommen für deren Ende existiert. Eine willfährige, sich mitschuldig machende Gebergemeinschaft – allen voran die USA und EU – unterstützt die israelische Politik sowohl direkt als auch indirekt. Das Unvermögen der palästinensischen Behörden, interne Machtkämpfe wie auch die Korruption in der Westbank und im Gazastreifen einzuhegen, trägt ebenfalls dazu bei, dass die Bevölkerung weiter verarmt.

Foto: Issam Rimawi/Anadolu Agency/Getty Images
1993 galten die Oslo-Verträge als ein Wendepunkt, von dem viele glaubten, dass er zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen werde. Eine sorgfältige Lektüre der Oslo-Dokumente offenbart indes etwas ganz anderes – sie „normalisieren“ die Besatzung. Die wurde als politische und rechtliche Frage von internationaler Relevanz auf den lokalen Kampf um Marktzugänge und Arbeitsgenehmigungen reduziert. Wenn überhaupt, dann wurde die Besatzung im Rahmen des Oslo-Prozesses als „Normalität“ sichtbar. Oslo ermöglichte Israel die Argumentation, dass es auf ein Ende der Besatzung hinarbeite, während tatsächlich eine Politik verfolgt wurde, die eine weitere Präsenz in den besetzten Gebieten sicherstellte und die Entstehung eines lebensfähigen palästinensischen Staates wie einer lebensfähigen Wirtschaft in den Regionen verhinderte, die Israel gern als seine eigenen beanspruchte. Zu den schlimmsten Maßnahmen während des Oslo-Prozesses zählten die nahezu vollständige Trennung von Westbank und Gazastreifen, die Isolierung Gazas, die interne Fragmentierung der Westbank, von der große Teile durch Israel beschlagnahmt wurden, sowie die wachsende Ineffizienz internationaler Hilfe, die inzwischen zunehmend aus humanitärem Beistand und Dienstleistungen besteht, die außerhalb eines jeden ökonomischen Rahmens geleistet werden.
Mit Oslo wurde der historische Streit um Land als Politik der Trennung, Isolation und Eindämmung neu formuliert. Trennung meint in diesem Kontext, dass die geografische Grundlage einer Volkswirtschaft fragmentiert wurde, indem die Menschen den Zugang zu ihrem Land verloren, natürliche Ressourcen nicht nutzen konnten, die palästinensische Ökonomie keinen Zugang zum Weltmarkt hatte. Die israelische Journalistin Amira Hass schrieb dazu: „Die vollständige Trennung des Gazastreifens von der Westbank stellt eine der größten Errungenschaften der israelischen Politik dar.“
Beschlagnahme, Räumung
An dieser Stelle möchte ich kurz auf eine israelische Politik im Westjordanland eingehen, die von der Besatzung zur Annexion übergeht, und mich der Transformation widmen, die in Gaza dazu führt, dass die Palästinenser als Volk mit unveräußerlichen Rechten zu hilflosen Objekten humanitärer Wohltätigkeit werden.
Ein entscheidendes Merkmal der Westbank-Ökonomie besteht in der ständigen Enteignung von Land, Wasser und anderen Ressourcen durch Israel. Diese und andere Faktoren – wie etwa eine abweisende Unternehmenspolitik Israels – behindern den normalen Handels- und Arbeitsfluss, die Mobilität der Menschen wie die Entwicklung des Privatsektors. Daraus resultiert ein System wirtschaftlich geschwächter und zunehmend unrentabler palästinensischer „Inseln“. Dieses System der Enklaven wird durch diverse Maßnahmen durchgesetzt: eine 708 Kilometer lange Mauer, die Zehntausende Palästinenser von ihrem Land trennt. Hinzu kommen fast hundert permanente und Tausende von mobilen Kontrollpunkten wie ein komplexes, schwer zu navigierendes System von Bewegungspässen, das für Palästinenser in Abhängigkeit von ihrem Wohnort gilt.
Vielleicht ist das Terrain mit den abträglichsten Auswirkungen auf die lokale arabische Wirtschaft das „Gebiet C“, das 61 Prozent des Westbankterritoriums ausmacht. Es steht unter nahezu vollständiger israelischer Kontrolle und ist palästinensischer Gerichtsbarkeit entzogen. Auch wenn Israel dies mit Sicherheitsbedenken begründet, besteht das grundlegende Ziel darin, die wertvollen natürlichen Ressourcen des Gebiets zu kontrollieren, und die arabische Bevölkerung notfalls gewaltsam zu vertreiben, um in demografischer Hinsicht eine jüdische Mehrheit zu schaffen. Angesichts weiter wachsender Siedlungen, von Zwangsräumungen, Zugangsbeschränkungen zu Weideland und Wasser, Bauverboten wie der Beschlagnahme oder Zerstörung palästinensischer Wohn-, Handels- und Dienstleistungsstrukturen überrascht es nicht, dass die palästinensische Bevölkerung im Sektor C zurückgeht. Vor kurzem hat Israel sein Vorgehen bei Abrissen im Westjordanland auf Ostjerusalem ausgedehnt, dessen isolierte Ökonomie einen dramatischen Rückgang erlitten hat, weil die israelische Politik wirtschaftliches Engagement dort weitgehend erstickt. Für Gebiete, die technisch unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) stehen, stellt dies einen alarmierenden Präzedenzfall dar. So haben die israelischen Behörden am 22. Juli in Wadi al-Hummus, einem Teil des Sur-Baher-Viertels in Ostjerusalem, zehn Gebäude abgerissen, darunter 70 Wohneinheiten, wodurch Hunderte von Menschen vertrieben wurden. Diese Gebäude waren legal mit PA-Genehmigungen gebaut worden.
1946 pochte Chaim Weizman, von 1949 bis 1952 Israels erster Präsident, auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit des zionistischen Projekts und erklärte: „Die ökonomische Leistungsfähigkeit eines Landes ist das, was seine Bevölkerung daraus macht. Vieles hängt definitiv davon ab, ob ein Volk gebildet und intelligent ist, (...) ob sein Sozialsystem wirtschaftliche Anstrengungen fördert oder nicht; ob die intelligente Nutzung der natürlichen Ressourcen erfolgt; und schließlich, ob die Regierung sich bemüht, die Aufnahmefähigkeit des Landes zu erhöhen oder ob ihr das gleichgültig ist.“
Ich würde argumentieren, dass es genau jene Faktoren sind – eine gebildete Bevölkerung, ein gesundes und leistungsfähiges Sozialsystem, die produktive Nutzung natürlicher Ressourcen –, die Israel über mehr als ein halbes Jahrhundert Besatzung missachtet hat. Der verstorbene palästinensische Ökonom Yusif Sayigh vertrat die Auffassung, wirtschaftliche Entwicklung sei ein palästinensisches Recht und nicht etwa die Lösung für eine dauerhafte Besatzung. Anzufügen wäre: Die einzige Lösung für die Besatzung ist die Freiheit – kein Wirtschaftsplan oder Geldbetrag kann sie jemals ersetzen.
Kommentare 14
Knapper und besser kann man die Situation für die Palästinenser und die Absichten diverser israelischer Regierungen, jeweils unterstützt von israelischen Wählermehrheiten, nicht zusammenfassen. Zudem hat die israelische Regierung, für ihr Vorgehen, die Unterstützung der einzigen Macht, auf die es außerhalb der Region, bezüglich der Verhältnisse dort, wirklich ankommt.
Andere Beteiligte, NGOs, die UN, die EU oder einzelne Staaten, sind politisch einflusslos. Sie wollen und vor allem können am Status Palästinas nichts ändern. Ihnen bleibt nur, die eigentlich unerträglichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzufedern.
Tatsächlich könnten nur eine grundsätzliche Umorientierung der israelischen Wählermehrheit und eine andere US- Politik daran etwas ändern. Dafür gibt es aber keine erkennbaren Anzeichen.
Christoph Leusch
Passt auf !
Es wundert mich schon, daß so ein Artikel überhaupt noch publiziert werden darf.
Es bleibt zu erwähnen, daß der Völkermord ab einer gewissen Größe nicht folgenlos bleibt. Die Indianer Nordamerikas konnten folgenlos marginalisiert, dh zu einer irrelevanten Größe ausgerottet werden, die Vernichtung der Juden konnte nicht ohne den Zusammenbruch Deutschlands enden. Die kalte Vernichtung des palästinensischen Volks, das überhaupt erst zu einem Volk geworden ist durch diese Vernichtung, sie wird mit dem Ende Israels in seiner heutigen Form enden. Denn sie zerstört das Land wenn nicht von Außen, dann von Innen, indem sie die israelischen Juden barbarisiert und irgendwelche klugen, verbitterten Leute irgendwo irgendwann zu Amokläufen animiert, beispielsweise zur Vergiftung der Trinkwasserversorgung von Tel Aviv, da gibt es in der hochtechnisierten Welt unzählige Möglichkeiten. Der Glaube, sich durch extreme verantwortungslose Machtentfaltung schützen zu können, ist so irrig, wie der Glaube, durch totale Überwachung eine komplexe Ordnung absichern zu können, Stasistaaten können nicht dauerhaft stabilisiert werden. Noch bleibt die Hoffnung, die Israelis könnten rechtzeitig zur Vernunft kommen, aber sehr wahrscheinlich ist das nicht mehr.
Diese Vergleiche halte ich für unangemessen. Der Staat Israel begeht keinen Völkermord.
Eher verhält er sich so, dass die israelischen Regierungen und die sie tragenden Parteien und Wähler eine forcierte Normalisierung erleben und diese anstreben. Sie passen sich den Gepflogenheiten militärisch, wie wirtschaftlich starker Mächte an, die alle mittlerweile offen das Völkerrecht missachten, von der UN gar nichts halten, sich keiner internationalen Gerichtsbarkeit mehr unterwerfen wollen und stattdessen ihre Potenziale und historischen Gelegenheiten ausnutzen.
Ganz offensichtlich sind aber auch die gesellschaftlichen Kräfte in der israelischen Gesellschaft, die da noch gegenhalten, eher geschwächt. Diese grandiosen Erfolge, dass man sich beharrlich, Schritt um Schritt aneignet, aufkauft, ausgrenzt und dann endlich annektiert, was man tatsächlich aus uralter Tradition als eigen definiert hat oder als Sicherheitscordon beansprucht, sind zu übermächtig wirksam.
Von einer israelischen Selbstzerstörung kann nicht die Rede sein. Israel hat alles unter Kontrolle und selbst die ungesetzlichen Siedlungen werden immer perfekter ausgebaut und vergrößert.
Sie nehmen ja auch das Wasser aus den Aquiferen. Israel konntrolliert die Geldflüsse in die Palästinensergebiete und bestimmt die Lebensmittel oder Baustoffe, die dorthin gelangen, sofern sie nicht "illegal" importiert werden. Israel bestimmt die überhaupt mögliche Gesundheitsversorgung der Palästinenser ebenso, wie es den Ausbau der Infrastruktur überwacht und lenkt.
Sie können jederzeit Gebäude abreißen und neue Sicherheitszonen nach Belieben gestalten, sowie bestimmen, was in einer breiten Zone vor ihrem Staatgebiet überhaupt angebaut, aufgebaut und zugänglich sein kann. Sie bieten einen eher prekären, aber großen Arbeitsmarkt, für die palästinensischen Hilfskräfte, und sie verfügen über eine hochkomplexe, gut eingespielte, ausentwickelte, immer überlegene Regierung, nebst Verwaltung und mit bestens organisiertem Militär und Sicherheitspolizei oder Geheimdiensten.
Fragte man den derzeit immer noch regierenden Premier Netanjahu, in einer stillen Stunde, könnte man bei ihm privat lauschen, hörte man bestimmt auch die Ansicht, die Vorsehung erfülle sich an ihm und mit ihm, und er habe, mit wechselnden anderen, ein goldenes Zeitalter eingeleitet. - Netanjahu kündigte übrigens schon vor Jahren, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die unumstößlichen Absichten seiner Regierungen und damit seines Landes an. Bis heute, hat er von diesem Programm schon viel erreicht.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Man bewerte, welche Faktoren laut der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zutreffen.
Es dürfte aber schwierig werden zu beweisen, dass "Es macht sich also schon jemand des Völkermordes schuldig, der lediglich beabsichtigt, also den Vorsatz hat, eine Menschengruppe zu vernichten." Denn wenn hier (meistens) einseitig getötet wird, klingt es immer wie "seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen". Jedenfalls werden die Regeln vorgegeben und entsprechend die Deutungshoheit.
Ich würde "Völkermord" durch "Apartheitspolitk" ersetzen. Das ist ein etwas kleineres "Kaliber" und wiegt dennoch immer noch schwer genug. Israel pflegte übrigens gute Kontakte zu dem ehemaligen südafrikanische Regime, was durchaus bezeichnend ist. Ob BDS oder auch Kritik, egal, im Zweifel immer Antisemitismus. Auch das gehört dazu, wer die Deutungshoheit behalten will. Es wird viel geredet und geschrieben, aber es bleibt folgenlos und unumkehrbare Tatsachen werden geschaffen.
Marxisten müssten eigentlich in der Lage sein, das Prinzip "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" zu verstehen. Die Juden haben erlebt, wie die Nazis durch systematischen Völkermord versucht haben, ihr Volk beinahe erfolgreich auszurotten. Damit so etwas nie wieder passiert, gab es zwei Möglichkeiten:
In ein anderes Land auszuwandern und dort als Minderheit zu leben inmitten einer prinzipiell Juden-freundlichen Mehrheitsgesellschaft. Diesen Weg ist die Mehrheit der noch übrig gebliebenen Juden in die USA gegangen.
Oder in ein anderes Land auszuwandern und dort die Mehrheit bilden und dafür sorgen, dass die Juden niemals wieder so schwach sind, dass sie ihre Ausrottung hinnehmen müssen. Diese Alternative hat leider die Palästinenser im "Heiligen Land" getroffen. Was klar war, weil Herzl mit seiner zionistischen Bewegung bereits vor dem Weltkrieg damit angefangen hatte. Mittlerweile ist das jüdische Israel ökonomisch und militärisch so stark, dass die Juden nie mehr ins Meer gedrückt werden können oder was sonst sich Israel-Hasser so ausdenken.
Und ja, der palästinensischen Bevölkerung ist dadurch tiefes Unrecht widerfahren. Ihre Führer hatten aber jetzt 70 jahre Zeit, darüber nachzudenken, ob gelegentliche Raketenabschüsse auf Israel oder Attentate in Israel an dieser Konstellation etwas ändern können. Die desolate ökonomische Lage der Palästinenser hätte sich längst verbessert, wenn die palästinensische Führung die Machtverhätnisse richtig eingeschätzt und die politische und militärische Niederlage eingestanden hätte. Allein durch ihr zahlenmäßiges Übergewicht hätten sie in einem friedlichen Zwei-Völker Israel heute auch politisch mehr zu bestimmen.
Übrigens sehen das offenbar auch einige Paläsinenser so, denn viele von ihnen sind ausgewandert, um woanders ein besseres Leben führen zu können, obwohl sie in ihrem Gastland eine politisch unbedeutende Minderheit sind.
Die Indianer mussten ihre totale Niederlage gegen einen übermächtigen Feind ebenso hinnehmen, wie die Namibier 1907 oder - der Vergleich mag jetzt in einem Artikel über Israel unpassend erscheinen - die Deutschen 1945 in ihren zwei Teilstaaten oder die Japaner nach dem Atombombenabwurf. Irgendwie war es für Deutschland und Japan offenbar vorteilhaft, dass kein im Untergrund wirkender "Werwolf" 70 Jahre lang die jeweilige Besatzungsmacht bekämpft und Deutschland und Japan auf dem Niveau eines ausgepowerten Agrarstaats gehalten hat.
Hitler hat auch in den ersten Kriegsjahren viel erreicht. (Aber ja, ich weiß, das kann man nicht vergleichen, Israel, das sind die Guten.)
Im Ernst: glauben Sie nicht mehr an die sich emanzipierende Menschheit, oder schwächer auf bürgerlichem Niveau formuliert, an den Fortschritt der Demokratisierung? Glauben Sie an ein neues Mittelalter? Kommt das Recht des Stärkeren als neue Normalität zurück? Israel ist ein schlimmes Machtgebilde, aber beileibe nicht das einzige. Länder wie Israel gefährden nicht nur sich selbst, sondern die ganze Welt, insbesondere diejenigen im Besitz von Atomwaffen. Wenn die Welt eine solche Entwicklung zuläßt, dürfte es um sie geschehen sein. Die Waffen von heute mit dem Bewußtsein von Vorgestern, das ist tödlich.
Nun, ich sprach von „kalter Vernichtung“, man kann natürlich von Apartheit sprechen, vielleicht ist es auch besser, es nicht zu sehr zu dramatisieren. Aber mein Argument war nicht die Größe der Schuld, sondern die Folgen für das Land Israel. Die USA haben ein Rassismusproblem, obwohl die Apartheit graduell abgebaut wird (bzw wurde bis Trump kam). In Israel sehe ich jedoch eine negative Dynamik seit langem, eine verschärfte Ausgrenzung und Vernichtung von Kompromißmöglichkeiten. Wie man glauben kann, daß das gut geht, ist mir schleierhaft.
Sie denken binär im Modus der Zeit vor 1945. Nach den Katastrophen dieses Jahrhunderts sollte klar sein: nie wieder (Bürger-)Krieg, und alles vermeiden, was den (Bürger-)Krieg schürt. Man muß nicht einmal Internationalist sein, um zu begreifen, daß Ausbeutung zu Feindschaft führt, und Feindschaft und Sicherheit (Frieden) nicht gleichzeitig möglich sind. Die Juden wären nach 45 dafür prädestiniert gewesen, in diesem kargen Fleckchen Erde einen Staat zu errichten, der gegen Rassismus, Krieg, Ausbeutung sich aufstellt. Dazu hat die Vernunft nicht gereicht, obwohl die Juden unter den Kommunisten überrepräsentiert waren. Aber die Partikularisierung des Gedankens „nie mehr Opfer, nie mehr Täter“ in „wir werden nie mehr Opfer sein“ hat das Land auf die schiefe Bahn gebracht.
Der sog. "Nahost-Konflikt" (was für ein widerliches verharmlosendens Wording!) kann nur mit einem Völkermord der Zionisten an den Palestinensern enden. Die Zwei-Staaten-Lösung kann es rein technisch nicht geben, weil niemand sich diese Grenze im Ergebnis der illegalen Besiedlungen vorstellen kann.Die Ein-Staat-Lösung wird es genau so wenig geben, weil die Zionisten dann plötzlich eine Minderheit im eigenen Staat wären. Also bleibt nur der Völkermord oder, wenn der irgendwie nicht so recht klappt, halt die brühmte Samson-Option.
Tja, manche sind noch nicht mal bei 1945 angelangt. Während wir uns daran machen, die menschliche Intelligenz durch die Künstliche zu ersetzen (ist das "binäres Denken"?)und uns deshalb für besonders fortschrittlich halten, werden in Neuguinea Hexen verbrannt, in Ostafrika Mädchen beschnitten und in Brasilien wird der Regenwald abgeflammt, damit mehr Weideland für Rinder entsteht, die mit dem Schiff zum Schlachten in die Türkei geschickt werden, aber vor dem Hafen von Cartagena verhungern, weil sich die libanesische Reederei und eine Ölfirma über eine Tank-Rechnung nicht einig werden.
Und da wundern Sie sich über die Israelis. Ja, die lassen im Zweifel die Welt in einem Atomkrieg hops gehen, ehe sie selbst untergegangen werden. Das ist übrigens groß in Mode. Kim Jong-Un denkt genauso und die Idee der gegenseitigen atomaren Abschreckung beruht ja genau auf diesem Kalkül.
Ich glaube, die Idee der "Vergebung" als kluge politische Attitüde ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Christentum einerseits und dem Judentum und Islam andererseits. Die Palästinenser haben sich leider für die Variante entschieden "Geschieht den Israelis ganz recht, dass ich im Gazastreifen verhungere". An den Beispielen Südafrika und Nordirland hätten sie lernen können, dass die Apartheid im Lauf der Zeit durch die unterdrückte Mehrheit friedlich überwunden werden kann. Wollen die Palästinenser weitere 10 x 70 Jahre leiden?
Den Juden hat übrigens ihre zeitweise Überrepräsentanz in den Führungspositionen der sowjetischen KP nichts genutzt. Die ist den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen. Der Georgier Josip Dschugaschwili hatte schließlich das orthodoxe Priesterseminar in Tiflis absolviert und nicht die Talmud-Schule, ehe er sich für den Marxismus begeisterte.
Nachtrag: <<Nach den Katastrophen dieses Jahrhunderts sollte klar sein: nie wieder (Bürger-)Krieg, und alles vermeiden, was den (Bürger-)Krieg schürt.>>
So denken Menschen, die aktiv am 2.Weltkrieg teilgenommen haben. Für die Juden war dieser Krieg und sein Ergebnis ein "Segen", denn sonst gäbe es heute keine mehr. Wie gesagt, das Sein bestimmt das Bewußtsein.
Hätten Sie Ihren Vorschlag für die Palästinenser auch den Juden in Nazideutschland oder den Schwarzamerikanern in den USA gemacht: in ein Land gehen, das ihnen freundlich gesinnt ist, oder sich in einem wenig besiedelten Gebiet zusammenrotten, wo man dann die Mehrheit ist und „demokratisch“ bestimmen kann? Damit wäre das Rassismusproblem gelöst. Aber vielleicht kann man auch warten und sich trotz Unrecht wohlverhalten, bis die Herrschenden ihre Unterdrückung aufgeben, das nennt man Appeasement. Allerdings mit dem Vorschlag, durch Kinderreichtum die Mehrheitsverhältnisse zu kippen, widersprechen Sie sich selbst, denn das war und ist ja schon die jüdische Strategie. Und all das beruht auf dem Sozialdarwinismus konkurrierender Kollektive.
Für die israelische Bombe als Abschreckungsmittel habe ich ein gewisses Verständnis. Nur müßte man glaubhaft die Bombe als letztes Mittel der Notwehr betrachten, die israelischen Rechtsregierungen haben der Welt jedoch klargemacht, daß für sie ein begrenzter Atomschlag denkbar ist und alle militärischen Präventivmaßnahmen zur Notwehr deklariert werden (können). In solchen Händen ist die Bombe ein Instrument einer aggressiven, erpresserischen Politik.
Daß die christlichen Abendländer nicht auf Machtpolitik, sondern auf Vergebung beruhen, ist mir nun wirklich neu. Das Prinzip Vergebung finde ich auch ziemlichen Quatsch. Frieden kommt nicht durch Vergebung der politischen Schurken zustande, sondern dadurch, daß der Stärkere eine umfassendere Perspektive einnimmt und nachgibt, im Idealfall durch Vernunft, wahrscheinlicher durch Einsicht in die ungünstige Kosten/Nutzen-Bilanz der konfrontativen Politik. Es gehören zum Frieden immer beide Seiten, aber die entscheidende ist eben die starke. Und sekundär ist dann der Verzicht auf Revanche auf der schwächeren nötig. Das ist die Erfahrung von Deutschland und Frankreich, und das können wir in Nordirland und im Apartheitssüdafrika studieren. Die beiderseitige Bereitschaft zu Wahrheitskommissionen eröffnet vielleicht den Weg in eine friedlichere Zukunft.
Ich war damals nicht in einer Position, den Juden Ratschläge zu geben, weil ich da gerade geboren wurde. Aber die überlebenden Juden haben sich nun mal so entschieden, wie ich es beschrieben habe. Man muss das nicht schön finden oder billigen. Aber wenn ich als Palästinenser vor der Wahl stünde, auf unabsehbare Zeit an der Grenze zum Verhungern zu vegetieren, nur damit das alttestamentarische Auge um Auge, Zahn um Zahn Spiel weiter gespielt werden kann, würde ich wissen, welche Wahl ich für mich und meine Familie zu treffen hätte.
Ich habe nicht behauptet, dass die christliche Machtpolitik auf Vergebung beruht. Sondern ich erkenne das christliche Prinzip der Vergebung als eine geniale Handlungsstrategie um das Zusammenleben verfeindeter Völker zu ermöglichen. Dass diese Prinzip gerade von jenen Staaten meist nicht gelebt wird, die sich christlich nennen, steht auf einem anderen Blatt und wird von mir nicht bestritten.
Dass man die Atombombe auch für eine agressive und erpresserische Politik einsetzen kann, ist keine Erfindung der Israelis. Diese Politik haben andere Atommächte vorher und nachher auch schon gelebt. Sie können aber Israel nicht vorwerfen, dass es seinen markigen Worten je atomare Taten hat folgen lassen. Ich glaube auch nicht, dass ein atomarer israelischer Erstschlag je passieren wird, solange die USA nicht Israel dafür freie Hand geben. Für die USA stünde dabei zu viel auf dem Spiel, daher wird es diese Freigabe nicht geben.