Exquisite Dekors, fragmentierte Körper

Film In Luca Guadagninos Neo-Melodram "Ich bin die Liebe" über eine Mailänder Industriellen-Dynastie wird wenig geredet – und wenn, dann um den heißen Brei herum

Altherrschaftliche Familienresidenzen – hier von Häusern zu sprechen, wäre zu profan – verfügen über hochspezifische Charaktereigenschaften, die sich vortrefflich mit den Mitteln des Kinos abbilden lassen. Lange Kamerafahrten durch mondäne Flure, diskrete Blicke auf geschmackvolle Interieurs und exquisite Dekors in gedeckten Farbtönen: im Zeichen- und Gefühlsrepertoire solch gesellschaftlich sanktionierter Repräsentationskulissen stellt sich eine Aura von Überwältigung und (An-)Spannung wie von selbst ein. Die Menschen darin können gar nicht anders, als sich ihren Rollen zu fügen. Ihre Handlungen werden zu Ritualen, Worte zu Chiff­ren einer inneren Erschöpfung.

In Luca Guadagninos Neo-Melodram Ich bin die Liebe über eine Mailänder Industriellen-Dynastie wird wenig geredet – und wenn, dann um den heißen Brei herum. Die Vaterfiguren im Haus der Recchis sind allgegenwärtig, auch wenn sie physisch abwesend sind.

Patriarch Edoardo, Gründer des Textil-Imperiums, hat die Geschäfte an Sohn Tancredi und Enkel Edo übergeben. Tancredi ist ein imposanter Holzklotz von einem Mann, gänzlich unempfänglich für die Gefühlswelt seiner russischen Frau (gespielt von einer so feingliedrigen wie unerschütterlichen Tilda Swinton). Sie hat ihm alles zu verdanken, selbst ihren (neuen) Namen Emma.

Guadagnino fühlt mit seinen Frauen und mit den Sprösslingen des Recchi-Clans, die sich mehr vom Leben erhofft haben, als bloß die familiären Traditionen aufzutragen. Das erkennt auch Vater Tancredi, der Edo aus den Geschäften raushalten möchte. Es werde Zeit, erklärt ausgerechnet er seiner Frau, dass der Junge sich von der Vergangenheit löse. Die Ironie dieser Aussage kostet Guadagnino weidlich aus, doch ihm würde nie einfallen, seine Figuren für ein paar Lacher vorzuführen. Vielmehr wird klar, dass vor allem die Kinder, obschon aus der Namenstradition herausgefallen, für ihre Werte einstehen.

Edo stellt sich gegen den Verkauf des Familienunternehmens an eine amerikanische Investment-Gruppe. Solidarisch sitzt er mit den Arbeitern in der Kantine, sein Idealismus verdrängt jedoch die Tatsache, dass das Imperium mit dem Blut jüdischer Zwangsarbeiter aufgebaut wurde. Tochter Betta (die großartige Alba Rohrwacher, deren Porzellanhaut an Filmmutter Swinton erinnert) hat ihren Freund aus gutem Hause für ein Mädchen verlassen. Ihre neue Kurzhaarfrisur markiert den Übergang in ein Leben außerhalb des väterlichen Zugriffs.

Es ist ein Klischee des Melodrams, dass Leidenschaft die Verkrampftheit des Bürgertums löst, bevor sie es ins Verderben reißt. Und Guadagnino liebt das Spiel mit Klischees und Pathos; in extremen Close-Ups fängt er seine Figuren immer wieder ein, fragmentiert ihre Körper und Begehren. Die Musik von John Adams vermisst dazu den Grad der Erregung mit bombastischen Klangschleifen. Ort der Leidenschaft ist im Haus der Recchis natürlich nicht das Schlafzimmer – sondern die Küche. Emma verfällt den Kochkünsten des jungen Antonio, einem Freund und Geschäftspartner ihres Sohnes. Er verführt sie mit Meeresfrüchten auf Erbsenschaum, sie verrät ihm ein Geheimrezept ihrer Mutter, das sie früher für Edo gekocht hat. Die Küche wird zum konspirativen Ort, an dem sich der Verrat am Sohn manifestiert. Und das Melodrama weiß Mittel und Wege, solche Übertritte zu sühnen. Doch die Familientragödie der Recchis ist eine männliche. Der letzte konspirative Blick gehört bei Gua­dagnino den Frauen.

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