F(r)appierend

Jugendwort 2014 Auch wenn sie noch läuft, steht der Gewinner der Online-Abstimmung zum „Jugendwort des Jahres“ wohl bereits fest. Das verdeutlicht, wie naiv Langenscheidts Wahlmodus ist
Ausgabe 44/2014
Langenscheidts Wahl zum Jugendwort des Jahres: ein gefundenes Fressen für 4chan
Langenscheidts Wahl zum Jugendwort des Jahres: ein gefundenes Fressen für 4chan

Foto: Carsten Koall / Getty Images

Ich habe ein enges Verhältnis zu Langenscheidt-Wörterbüchern. Zu Hause ist eins mein knallgelbes Podest, damit der Computerbildschirm höher steht. Für die Kids, die es höchstens noch aus dem Bücherregal ihrer Eltern kennen, wählt Langenscheidt aber einmal im Jahr das „Jugendwort des Jahres“. Auch wenn die Abstimmung erst an diesem Freitag endet, das Ergebnis steht wohl bereits fest: Über die Hälfte der Stimmen entfallen auf „fappieren“ – neudeutsch für Selbstbefriedigung bei Männern oder auch einfach: sich einen runterholen.

Mit rechten Dingen ist es dabei nicht zugegangen. Die Geschichte zum Jugendwort des Jahres beginnt wie aus dem Lehrbuch. „The country of Germany needs your help“ – Deutschland braucht eure Hilfe, informierte ein Nutzer der Website 4chan Anfang Oktober. Er bat um weltweite Unterstützung, damit „fappieren“ Sieger der Abstimmung wird. Der Aufruf blieb nicht unbeantwortet, zwischenzeitlich führte der Anglizismus mit fast 70 Prozent der Stimmen. „US-Skandal-Seite will Schmuddel-Begriff zum Jugendwort des Jahres machen“, warnte Focus Online.

Websites wie 4chan und reddit sind Brutstätten für Internethypes. Längst hat sich dort eine abstruse, pubertäre, aber auch gewitzte digitale Szene gebildet. Und sie beherrscht das Internet mehr, als viele denken. Als vergangenen Monat Hacker Nacktfotos von Prominenten stahlen, tauchten die Bilder bei 4chan auf. Das Kollektiv Anonymous hat seine Wurzeln auf einer 4chan-Seite. Und regelmäßig übernehmen deutsche Nachrichtenwebsites Geschichten, die vorher dort ausgebrütet wurden. Ende September fielen einige iPhone-Käufer auf einen Onlinestreich rein, als sie ihr Handy zum Aufladen in die Mikrowelle legten. Die täuschend echte Apple-Werbung, die dazu aufgefordert hatte, kam von 4chan.

4chan ist werbefrei, die Nutzer bleiben anonym – so wünschen sich viele ein soziales Netzwerk. Nur mit der radikalen Freiheit des „Schmuddel-Netzwerks“ will niemand etwas zu tun haben. Viele Inhalte provozieren, häufig mit Pornografie. Das 4chan-System lässt alles durch.

Die Wahl zum Jugendwort des Jahres ist ein gefundenes Fressen für 4chan. Die Faktoren sind zu gut: Absurdität, offensichtliche Grenzüberschreitung, die Seriosität von Langenscheidt, die Naivität, mit der sie wählen lassen. Eine Verlagssprecherin erklärte zwar, schlussendlich würde eine Jury aus den ersten fünf Vorschlägen den Sieger küren. „Fappieren“ ist aber jetzt schon als Jugendwort angekommen. 4chan hat es herangezüchtet.

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Geschrieben von

Simon Schaffhöfer

Taugenichts und Pausenclown

Simon Schaffhöfer

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