Fallobst

"Im Garten ist eine Amsel", sagt meine Frau und sie wirkt angewidert oder labil oder beides zusammen. Auf alle Fälle schwankt sie. Im Fallen schiebe ...

"Im Garten ist eine Amsel", sagt meine Frau und sie wirkt angewidert oder labil oder beides zusammen. Auf alle Fälle schwankt sie. Im Fallen schiebe ich ihr einen Stuhl unter. Wir haben das früher mal zusammen geübt, als wir noch nicht wussten, was aus uns wird. Aber für´s Fernsehen hat´s dann doch nicht gereicht.

"Wir haben doch häufig Amseln im Garten, mein Kleines", sage ich. "Ich meine, wir haben sogar ausschließlich Amseln im Garten."

"Ja", haucht meine Frau, "aber diese Amsel ist tot". Meine Frau wirkt, als hätte sie gerade den Ärmelkanal durchschwommen. Die Lippen beben. Ihre Stimme kommt ganz leise aus ihrem blassen Mund. Das bleiche Gesicht ist so expressiv vor dem dunklen Hintergrund ihrer Haare. Ich fühle mich angeregt und tänzel ein wenig mit abwechselnd in die Luft gestreckten Armen um den Stuhl herum. Als Kind galt ich als hyperaktiv. Ich hatte Konzentrationsschwierigkeiten. Auch heute fühle ich mich manchmal, als fließe Kaffee statt Blut durch meinen Körper.

"Nun sei doch mal ruhig und konzentrier dich!", ermahnt meine Frau mich.

"Ja, tot - und?!" Ich zucke mit den Schultern.

"Ich kann das nicht", sagt sie.

Wir sind doch erwachsen, will ich sagen, so ein Mist, wir machen doch auch all die anderen Dinge. Ich höre auf zu tanzen. Den Kindern die blutigen Knie ablecken, den Matsch aufessen, den der Kleine auf seinem Teller übrig lässt und auch so Dinge wie Geschlechtsverkehr. Sachen, die riechen. Sachen von einer fragwürdigen Konsistenz. Es geht im Leben ja nicht darum, nur zu tun, was ästhetisch wäre, irgendwie schön und intellektuell, weit weg von dieser Welt. Ich sehe mich allabendlich die weißen Unterhosen mit den brauen Streifen meiner Kinder die Treppe heruntertragen. Amseln fallen halt vom Himmel, denke ich, und gehe raus in den Garten zum Apfelbaum, unter dem meine Frau Fallobst auflas, bis sie im Anblick des Todes zu versagen drohte.

Die Amsel liegt da mit ausgebissenen Augen. Prächtige schillernde Fliegen stieben auf, als ich mich nähere. Ich nehme die Amsel hoch. Unter ihr ist das Gras braun, und die dummen Fliegen suchen irritiert das von mir entwendete Aas auf dem platten, braunen Wiesenfleck. Der Vogel ist überraschend leicht, sein Gefieder ganz weich. Ich puste hinein. Das Gefieder bauscht sich auf. Ich fühle mit dem Zeigefinger unter einen Flügel. Ganz puschelig ist der Bauch. Einige weiße Maden fallen zuckend ins Gras. Sie bewegen sich eckig und überhaupt nicht vogeladäquat. Ich könnte sie zertreten, denke ich, aber ein Toter reicht. Ich lege die Amsel auf die Plastikkehrschaufel und trage sie zum hinteren Teil des Gartens, da wo er an die Gleise der Fernbahn grenzt. Ich puste noch einmal ins Gefieder. Ein Zug rauscht durchs Bild. Ich halte die Kehrschaufel mit der Amsel in seinen Fahrtwind. Wieder bauschen sich die Federn. Keine Frage, es bereitet mir Befriedigung, dieses Aufbauschen. Schließlich hole ich weit aus, wie ein Riefenstahldiskuswerfer, und reiße dann überraschend meinen Arm katapultartig nach vorne. Die Amsel, Köpfchen voraus, beschreibt eine ordentliche Flugbahn, wird aber durch einen Ahornzweig am Überfliegen des Bahndamms gehindert.

Zurück im Haus reden wir nicht mehr über den Vorfall. Schon gar nicht vor den Kindern. Sie wollen dann nur alles nachahmen.

Alexander Posch, Jahrgang 1968, ist Autor und "clubveranstalter" im Malersaal Deutsches Theater Hamburg.


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