Saddam-Tribunal im Irak Der Ex-Diktator und seine Mitangeklagten könnten faszinierende Geschichten über ihre vielen Gönner erzählen, aber die Richter wollen sie nicht hören
Saddam Hussein ist das gegen ihn verhandelnde Sondertribunal unter dem kurdischen Richter Mohammed Amim ohne Legitimität. Als am 18. Oktober der Prozess gegen den Ex-Präsidenten des Irak begann, erklärte der sich bezogen auf alle Anklagepunkte als nicht schuldig. Für die nächste Verhandlung am 28. November wird nun mit Anträgen der Verteidigung gerechnet, die sich besonders gegen eine von juristischen Standards abweichende Prozessordnung richten dürften.
Gehen wir vom immerhin Möglichen aus: Der Prozess gegen den vormaligen irakischen Diktator könnte sich zu einem entsetzlichen planetarischen Medienzirkus entwickeln, bei dem sich die wichtigsten Führungskräfte dieser Welt - heutige wie ehemalige - als Mitangeklagte oder Zeugen wieder f
r Zeugen wieder fänden. Angeklagt wären sie der Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter Saddams brutaler Herrschaft begangen wurden. Unter diesen Führungskräften wären nicht zuletzt die ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, Bill Clinton sowie George Bush senior, dazu die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher, Jacques Chirac - ganz abgesehen von all den Spitzenbeamten, die in den Verteidigungsministerien und Geheimdiensten ihrer Länder tätig waren. Man könnte diese Aufzählung nahezu endlos ergänzen: um Unternehmer wie Bankiers, Ölmagnaten und Waffenhändler aus aller Welt, die von den Geschäften mit Saddams Regime zu profitieren wussten oder die Augen vor dem verschlossen, was der Diktator plante.Die Amerikaner sind sich als Sponsoren des Tribunals der Risiken durchaus bewusstLange habe ich mich gefragt, wie sich die Amerikaner und ihre irakischen Verbündeten aus der Affäre ziehen würden. Gott weiß, dass Saddam und seine Paladine faszinierende Geschichten zu erzählen haben über Geheimabkommen, die sie während all der Jahre mit höchstem politischen Führungspersonal des Westens und großen Unternehmen geschlossen haben. Wie wir inzwischen wissen, wurde das Problem diskret gelöst. Zunächst einmal, indem die Gerichtsbarkeit eines Internationalen Tribunals oder einer Gruppe unabhängiger Juristen vermieden wurde - stattdessen gibt es ein irakisches Sondertribunal, dessen Regeln vorschreiben, dass es nur Bürger und Bewohner des Irak anklagen oder als Zeugen hören darf.Das bedeutet, sollten Saddams Anwälte George Bush senior vorladen wollen, um ihn zu fragen, warum er im Februar 1991 während des damaligen Golfkrieges ("Operation Wüstensturm") erst die Iraker zum Aufstand gegen Saddam aufrief und - als es dazu kam - den im Irak stehenden US-Truppen Order gab, den Rebellen jede Hilfe zu verweigern. Warum schließlich das US-Oberkommando den Hubschraubern Saddams erlaubte, die Aufständischen zu dezimieren und Tausende Schiiten zu massakrieren. Wenn also die Verteidigung diese Fragen stellen wollte, würde sie damit abblitzen - Bush senior ist weder Bürger noch Bewohner des Irak.Sollte die Vergasung Tausender Kurden in Halabja 1988 zur Sprache kommen, wird den Anwälten Saddams gleichfalls der Hinweis verwehrt sein, dass die seinerzeit eingesetzten Chemiewaffen vorrangig bei französischen, belgischen und deutschen Herstellern beschafft wurden. Auch wird die Tatsache unerwähnt bleiben, dass die USA während des irakisch-iranischen Kriegs (1980-1988) Bagdad Satellitenbilder zur Verfügung stellten, die es ermöglichten, iranische Truppen mit chemischen Waffen zu attackieren.Soviel zur Theorie. Aber nehmen wir an, dass in der Realität - in einem Prozess, der live in die ganze Welt übertragen wird - Saddam Hussein versuchen könnte, dieses Reglement zu unterlaufen und die Frage der amerikanischen oder französischen Mittäterschaft aufzuwerfen. Werden die irakischen Richter fähig sein, ihn daran zu hindern, ohne den ganzen Prozess zu diskreditieren, der dann als abgekartetes Spiel erscheint? Da die versiertesten irakischen Juristen wegen ihrer Nähe zum ehemaligen Baath-Regime ausgeschlossen sind, ist die Berufserfahrung der Iraker, aus denen sich das Tribunal zusammensetzt extrem beschränkt. Die wenigsten hatten je mit solchen Kapitalverbrechen zu tun, wie sie Saddam Hussein vorgeworfen werden.Die Amerikaner waren sich als Sponsoren des Tribunals dieser Risiken durchaus bewusst und sorgten dafür, dass die irakischen Juristen eine Spezialausbildung erhielten. Ohnehin sind US-Berater hinter den Kulissen präsent, um Ratschläge zu erteilen. Saddam Hussein und die anderen Angeklagten sind zudem verpflichtet, ihre Verteidigung Anwälten zu übertragen. Dies soll die Angeklagten daran hindern, für dramatische Inszenierungen vor Gericht zu sorgen, wenn sie die Zeugen selbst ins Kreuzverhör nehmen oder in eigener Sache plädieren.Das Prozessreglement soll auch Konfrontationen zwischen einem die Regierung vertretenden Staatsanwalt und den Anwälten Saddams abwenden. Es gibt einen so genannten "Magistrat", der stets alle Zeugen zuerst befragt, bevor er sie der Verteidigung und den Anklägern überlässt, deren Fragemöglichkeiten eingeschränkt sind. Auch bezieht sich die im jetzigen Prozess verhandelte Anklage auf eine eher "zweitrangige" Gräueltat bar jeglichen Geheimnisses: die Exekution von 143 schiitischen Männern und Jungen aus dem Dorf Dudschail als Vergeltung für ein versuchtes Attentat auf Saddam 1982. Dieser Fall ist eher dazu angetan, die Ausbildung der Richter fortzusetzen, als über Schuld oder Unschuld zu befinden: Es gibt keinen Zweifel, wer das Blutbad angeordnet hat (Saddam Hussein hat das Dekret selbst unterzeichnet) - eine Verurteilung steht so fest wie Beton.Der Prozess wird auch davon Zeugnis geben, wie Geschichte umgeschrieben werden kannNatürlich wird man nicht den Umstand erwähnen, dass einige Zeit nach dem Gemetzel von Dudschail, im Dezember 1983, Donald Rumsfeld - vollständig auf dem Laufenden über die Methoden des irakischen Regimes und den Einsatz von Chemiewaffen gegen iranische Truppen - in Bagdad eintraf. Er war vom damaligen Präsidenten Reagan entsandt worden, um die Kontakte zwischen beiden Ländern aufzufrischen. Seinerzeit entwickelten sich die USA und der Irak zu De-Facto-Alliierten.Sollten die heutigen irakischen Autoritäten versucht sein, darüber schon mit dem ersten Prozess den Mantel des Schweigens zu decken, indem sie Saddam zum Tode verurteilen und hinrichten lassen, wäre das keine Überraschung. Wenn nicht, dürfte die Auswahl der Anklagepunkte in einem weiteren Verfahren nicht dem Zufall überlassen bleiben. Den Angriff gegen Iran 1980, gefolgt von einem Krieg mit annähernd einer Million Opfern, wird man diskret übergehen. Vermutlich deshalb, weil der Iran heute nach US-Lesart zu den "Schurkenstaaten" gehört. Vielleicht auch, weil die USA, bevor sie Saddam grünes Licht zur Aggression gegen Teheran gaben, Waffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar lieferten.So wird der Saddam-Prozess der Welt auch davon Zeugnis geben, wie Geschichte neu oder umgeschrieben wird. In seinem Roman 1984 schrieb George Orwell: "Wer über die Gegenwart herrscht, herrscht über die Vergangenheit". Wenn das Tribunal seine Urteile gefällt hat, wird man Saddam Hussein und einige seiner Paladine hängen, und George W. Bush wird pompös verkünden, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen konnte.Aber wird die Operation glücken? Die Antwort hängt ebenso sehr von den Ereignissen im Irak wie vom Prozess selbst ab. Sollte es allen gegenteiligen Anzeichen zum Trotz gelingen, einen neuen demokratischen Staat zu schmieden, könnte das Tribunal gegen Saddam von einer Mehrheit der Iraker durchaus als legitimer Akt von Recht und Sühne betrachtet werden. Falls das Land weiter im Chaos versinkt, wird Saddam Hussein am Ende nicht wenigen als Patriot und Märtyrer erscheinen, der einer Siegerjustiz zum Opfer fällt.Barry Lando produzierte 25 Jahre lang die Sendung 60 Minutes im US-Fernsehkanal CBS und lebt heute als Journalist in Paris.Aus dem Französischen von Steffen Vogel
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