FREITAG: Außenminister Fischer hat seinen Kollegen Funke mehrfach für den von ihm ausgehandelten Agrarkompromiß gelobt. Hat der das Lob verdient?
FRIEDRICH W. GRAEFE ZU BARINGDORF: Regierungsmitglieder müssen Regierungsmitglieder loben. Er hat einen Kompromiß erzielt, der scheinbar für die Landwirtschaft Vorteile bringt. Ich bin jedoch der Ansicht, daß hier ein Signal gesetzt wird, das in die verkehrte Richtung geht. Denn: Wenn es bei dem bisher Verhandelten bleibt, dann würde die staatliche Interven tions- und Aufkaufpolitik auch über 2006 hinaus Bestand haben. Das aber ist illusorisch und sollte auch nicht sein.
Warum nicht?
Wenn man den mittel- und osteuropäischen Staaten diese staatliche Aufkaufpolitik anbietet, dann werden sie ihre bisherige Orientierung auf regionale Märkte und auf die Versorgung der eigenen Bevölkerung zugunsten einer kapitalintensiven und weltmarktorientierten Produktion agrarischer Rohstoffe aufgeben. Das gibt eine Überschußproduk tion von ungeahntem Ausmaß. Von der verstärkten Freisetzung »überflüssiger« Arbeitskräfte in den mittelosteuropäischen Staaten ganz zu schweigen.
Das heißt, Sie würden den polnischen Bauern nicht empfehlen, der EU beizutreten.
Doch ich würde. Aber ich würde auch sagen: Verteidigt Euren regionalen Markt und glaubt nicht, daß Eure Chance in der Produktion agrarischer Rohstoffe für den Weltmarkt liegt.
Wie müßte eine europäische Heranführungsstrategie aussehen?
Man müßte, erstens, Mittel bereitstellen, um die vorhandenen Strukturen einer regionalen Landwirtschaft zu modernisieren und weiterzuentwickeln. Zweitens müßten die europäischen Exportsubventionen eingestellt werden. Und drittens bedarf es eines wirksamen qualitativen EU-Außenschutzes vor ökologischen, sozialen oder gesundheitlichen Dumpingprodukten.
Sie haben im Vorfeld der Agrarverhandlungen eine grundsätzliche Umorientierung verlangt - weg von der Subventionierung agrarischer Produktion, hin zur Förderung des ländlichen Raums, der sogenannten zweiten Säule. Schlägt sich das im Kompromiß nieder?
Hier hat eine Weichenstellung stattgefunden. Die zweite Säule ist bestätigt, bleibt allerdings mit zehn Prozent des Agrarhaushaltes viel zu gering ausgestattet, um die riesigen ländlichen Räume in eine vernünftige moderne Entwicklung zu bringen.
Ist mit diesen zehn Prozent der Entwicklungsspielraum ausgereizt?
Nein, auf dem Berliner Gipfel stand noch ein Punkt zur Verhandlung an. Nämlich die lineare Kürzung des Agrarhaushaltes bis 2006. Von den so eingesparten Geldern sollten 50 Prozent in die Entwicklung des ländlichen Raums fließen. Das wäre eine automatische Auffüllung der zweiten Säule. Hinzu kämen dann noch die bei Strukturgeldern übliche 50-prozentige Kofinanzierung durch die Mitgliedsstaaten. So daß am Ende in der Tat die zweite Säule um den linear gekürzten Betrag wachsen würde.
Stichwort Kofinanzierung: Wäre das ein gangbarer Weg zu einem Agrarkompromiß gewesen?
Die Kofinanzierung war in erster Linie eine Möglichkeit, um die Netto-Zahler zu entlasten. Mit der Agrarpolitik hat das jedoch nichts zu tun. Mir geht es um eine grundsätzliche Umorientierung zugunsten einer Strukturpolitik für den ländlichen Raum. Und hier ist die Kofinanzierung ohnehin zwingend vorgesehen.
Also Kofinanzierung durch die kalte Küche?
Ja, aber nicht negativ gemeint. Das ist der Kern des Kompromisses zwischen Deutschland und Frankreich. Paris wollte die Kofinanzierung im traditionellen Bereich nicht. Dafür gibt es nun die lineare Kürzung und die Umwidmung in eine ländliche Strukturförderung mit nationaler Kofianzierung. Eine richtige Weichenstellung also.
Was ist mit der von Ihnen geforderten Umorientierung landwirtschaftlicher Produktion auf den europäischen Binnenmarkt?
Das zeichnet sich ab, weil wir nach 2006 sowohl die Interventionspreise als auch die Exportsubventionen überwinden werden müssen. Dann liegt der Schwerpunkt automatisch auf dem Binnenmarkt. Schließlich hat die EU den nach China größten Binnenmarkt der Welt. Und wer dennoch für den Weltmarkt produzieren will, soll das tun - aber ohne staatliche Hilfen.
Wie soll die Exportsubventionierung überwunden werden?
Einfach durch die Reduzierung des Systems der Interventionspreise. Der Fehler ist jedoch, daß Einbußen bei den Agrarpreisen durch direkte Prämien an die Bauern ausgeglichen werden, ohne diese Prämien an ökologische oder soziale Bedingungen zu knüpfen. Das ist eine Art versteckte Exportsubventionierung. Bei den Bauern entsteht dadurch der Eindruck, das alte System würde nur neue Spielregeln erhalten, aber im Prinzip so weitergehen.
Und wie sähe eine Alternative aus?
Zum Beispiel, indem man vollständig aus dem System der Interventionspreise und Exportsubventionen aussteigt und für eine Übergangszeit Prämien zahlt, die den Agrarbetrieben eine Umstellung auf die veränderten Marktbedingungen ermöglichen.
Die ostdeutschen Agrarbetriebe sind mit dem Agrar-Kompromiß relativ zufrieden, weil das Thema Degression vom Tisch ist. Das heißt, eine Bindung der Förderung an die Flächengröße wird es nicht geben. Grund zum Jubel?
Das muß man erst noch sehen. Denn die erwähnte lineare Kürzung soll nur Betriebe treffen, die mehr als 5.000 Euro Förderung erhalten. Damit wären zwei Drittel der Betriebe in Europa außen vor. Denn, nur wer eine bestimmt Fördergröße ...
... und das heißt eine bestimmte Betriebsflächengröße.
Ja, wer die übersteigt, wird von linearen Kürzungen betroffen sein.
Aber, daß die Degression vom Tisch ist, macht Sie nicht glücklich?
Nein. Bis jetzt ist es so, daß Betriebe mit einem hohen Rationalisierungsgrad dieselbe Fördermenge bekommen, wie beispielsweise Biobauern, die auf der gleichen Fläche mit dem - sagen wir - zehnfachen an Arbeitskräften tätig sind. Die ursprüngliche Vorstellung war nun, Betriebe mit relativ wenigen Arbeitskräften in der Prämienzahlung einzuschränken. So aber werden die alten Besitzstände gewahrt.
Ist es nicht verständlich, daß ostdeutsche Bauern, die gerade eine Umstellung bewältigt haben, ihre mit Mühe erworbenen Besitzstände - sprich: ihre Existenzgrundlage - bewahren wollen?
Ja, es ist verständlich. Dennoch läuft die Entwicklung in die falsche Richtung. Es gibt hier Großbetriebe, die bezahlen Pacht und Arbeit aus den Prämien und behalten sogar noch etwas übrig. Das kann man nicht gutheißen. Denn diese Betriebe orientieren sich an den Subventionstöpfen und nicht am Markt. Hinzu kommt, daß die mit der Degression eingesparten Gelder nach den Vorstellungen der Kommission in die zweite Säule transferiert werden sollten.
Was ist falsch gelaufen in der ostdeutschen Landwirtschaft?
Hier sind Agrarbetriebe mit der zehnfachen Investitionssumme wie im Westen für den Weltmarkt fit gemacht worden. Sie sind einem System angepaßt worden, das selber keine Zukunft mehr hat.
Insofern ein sehr typischer deutsch-deutscher Vereinigungsvorgang.
Ja. Die Betriebe haben sich sehr systemkonform verhalten. Das heißt, sie haben sich an den Preissubventionen und an der Prämienoptimierung orientiert, aber nicht am Markt. Das ist den Betrieben nicht vorzuwerfen, wohl aber der Politik.
Im Osten versteht sich vor allem die PDS als Interessenvertretung der Bauern und hat bei Wahlen auch entsprechend hohe Stimmenanteile. Wie beurteilen Sie die agarpolitischen Konzepte der PDS?
Die PDS macht im Agrarbereich dasselbe wie in anderen Politikbereichen. Sie transportiert Vorurteile. In diesem Fall lautet es: Die Brüsseler Politik will Euch aus ideologischen Gründen zerschlagen, weil in Euren Betrieben noch ein Stückchen alte DDR-Tradition fortlebt.
Substanzielles sehen Sie nicht?
Wenn die PDS zum Beispiel auf die Notwendigkeit hinweist, daß sich auch größere Betriebe am regionalen Markt orientieren müssen, dann geht das natürlich in die richtige Richtung. Das sind Dinge, die wir ja auch benennen.
Das Gespräch führte Torsten Wöhlert
Zum Thema siehe auch:
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Gabriele Lesser, Warschau
Ackerbau und Viehzucht
Lutz Herden
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