Familie auf Chinesisch

Alltagskommentar Man könnte seine Eltern natürlich auch öfter besuchen - wenn man will. In China werden erwachsene Kinder nun gesetzlich dazu verdonnert. Kann das den Zerfall stoppen?
Ausgabe 30/2013
Familie auf Chinesisch

Bild: AFP

Die meisten erwachsenen Kinder im modernen China besuchen ihre Eltern zwar gern. Doch der Arbeitsstress, die kurzen Wochenenden, die eigenen Kinder – mehr als ein paar Mal im Jahr schaffen auch sie es nicht. Neuerdings sind sie dazu verpflichtet.

Seit diesem Monat sind erwachsene Kinder gesetzlich dazu angehalten, regelmäßig ihre Eltern und Großeltern zu besuchen. Mit dem Gesetz zum „Schutz der Rechte und Interessen älterer Menschen“ hat jeder Senior über 60 einen Anspruch auf regelmäßigen Kontakt mit Verwandten. Wie oft das sein soll, ist nicht präzisiert. Chinesische Staatszeitungen schreiben von „allen zwei Monaten“. Dass es die Führung mit dieser Regelung ernst meint, zeigte sich schon am zweiten Tag nach Inkrafttreten der Regelung: In der ostchinesischen Stadt Wuxi verdonnerte ein Gericht die Tochter einer gehbehinderten 77-Jährigen dazu, ihre Mutter mindestens an zwei der elf nationalen Feiertage zu besuchen. Sollte sich die Tochter nicht daran halten, drohen ihr und ihrem Mann Geldstrafen oder gar Gefängnis. Immerhin, auch Arbeitgeber werden in die Pflicht genommen. Sie sollen ihren Mitarbeitern für Familienbesuche freigeben.

Schuld ist die Einkindpolitik

Hintergrund ist die rapide voranschreitende Überalterung der chinesischen Gesellschaft. Die erhöhte Lebenserwartung führt zu einem wachsenden Ungleichgewicht zwischen Jung und Alt. Schätzungen zufolge gibt es bis Jahresende mehr als 200 Millionen Chinesen, die 60 Jahre und älter sind – rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch in Deutschland werden ältere Menschen zunehmend vollstationär in Heimen betreut statt von ihren Angehörigen. Selbst wenn sie dort besucht werden: Einsamkeit im Alter droht eines der zentralen Probleme der nächsten Jahre zu werden: Bis 2030 werden die Single-Haushalte mit älteren Menschen wachsen – die jüngere Generation, die sie pflegen könnte, schrumpft.

In China haben sich in den vergangenen Monaten die Berichte über allein gelassene und misshandelte alte Menschen gehäuft. Das schockiert – gerade Chinesen gelten traditionell als sehr familienverbunden. Dass sie diesen Anspruch nicht mehr erfüllen, ist auch der 1980 eingeführten Einkindpolitik geschuldet. Auf ein Ehepaar kommen vier Elternteile und die Großeltern. Unter Geschwistern aufteilen kann man die Fürsorge nicht – und eine staatliche Altenversorgung entwickelt sich gerade erst. Wie so oft in China, wenn der Staat nicht weiter weiß, versucht er es mit Zwang. Den Zerfall der Familien wird er so aber kaum stoppen können.

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