FREITAG: Seit langem wird kritisiert, dass der Steuervorteil aus dem Ehegattensplitting nicht gezielt Familien mit Kindern begünstigt. Doch das Gesetz blieb unangetastet, Ehe und Familie seien geschützt, wurde argumentiert. Was hat sich jetzt geändert?
ULRIKE SPANGENBERG: Das Ehegattensplitting ist seit dessen Einführung im Jahr 1958 in der Kritik. Der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie bedeutet zunächst nur, dass diese Lebensformen nicht benachteiligt werden dürfen. Daraus folgt nicht, dass sie mit einer bestimmten finanziellen Leistung gefördert werden müssen. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsgebotes für Frauen und Männer ist außerdem die ndividuelle Entscheidungsfreiheit beider Eheleute zu garantieren. Das Ehegattensplitting steht dem entgegen, denn bereits ein geringer Zuverdienst eines Ehepartners (meist der Ehefrau), hat erhebliche Steuernachteile zu Folge und senkt damit den Anreiz, erwerbstätig zu sein.
Wenn man mit dem Schutz der Ehe argumentiert, dürfte man doch verheiratete Sozialhilfe-Empfänger auch nicht schlechter behandeln als unverheiratete. Der Regelsatz von Verheirateten liegt aber bei 311 Euro, während Unverheiratete 345 Euro erhalten. Ist das ein Verfassungsbruch?
Nicht jede Differenzierung ist eine Benachteiligung. Im Sozialrecht geht man davon aus, dass in einer Lebensgemeinschaft bestimmte Aufwendungen im Haushalt nicht doppelt entstehen. In Sozial- und Steuerrecht gelten damit aber unterschiedliche Maßstäbe, denn diese Haushaltsersparnis ist im Steuerrecht nicht berücksichtigt. Im Gegenteil - die Ehe wird steuerlich bevorteilt. Man sollte perspektivisch bei Steuer- und Sozialrecht die gleichen Kriterien zugrunde legen.
Die Lebensgemeinschaft, die aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar vom Ehegattensplitting profitiert, ist die kinderlose Einverdienst-Ehe zwischen der nicht-erwerbstätigen Ehefrau und dem gut verdienenden Mann. Gibt es die heute überhaupt noch?
Von den im Jahr 2003 gemeinsam veranlagten Ehen waren 39 Prozent Einverdienst-Ehen, auf die 61 Prozent des gesamten Splittingvolumens entfallen. Das Modell der Einverdienst-Ehe ist vor allem in den alten Bundesländern und in der älteren Generation verbreitet. In den neuen Bundesländern arbeiten häufiger beide Eheleute Vollzeit. Infolgedessen kommen die Steuervorteile aus dem Ehegattensplitting dort auch nicht an. Sie gehen zu 93 Prozent, immerhin 19 Milliarden Euro, in den Westen, da dort auch die Einkommen insgesamt höher sind. Vor allem jüngere Paare können sich, gerade dann, wenn sie Kinder haben, den Verzicht auf ein zweites Einkommen gar nicht leisten.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat vorgeschlagen, das Ehegattensplitting in ein Familiensplitting umzuwandeln. Warum lehnen Sie das ab?
Das Familientarifsplitting weitet das Ehegattensplitting nur aus. Wenn bisher das Einkommen zweigeteilt wurde, dann wird es beim Familiensplitting durch die Zahl aller Familienangehörigen geteilt. Bei kinderlosen Ehepaaren würde sich also nichts ändern. Aufgrund des progressiven Steuersatzes kämen - ebenso wie beim Ehegattensplitting - steuerliche Entlastungen vor allem einkommensstarken Familien zugute. Abgesehen davon, dass das Familiensplitting für den Staat teurer wird, verstärkt es Verteilungsungerechtigkeiten. Bereits jetzt bekommen Familien mit niedrigen Einkommen über das Kindergeld weniger finanzielle Leistungen vom Staat als hohe Einkommensgruppen, die steuerliche Kinderfreibeträge in Anspruch nehmen können.
Sie wollen das Ehegattensplitting ganz abschaffen?
Ja, ich halte die Individualbesteuerung - der Normalfall im Steuerrecht - mit übertragbarem Grundfreibetrag für das bessere Konzept. Über den Grundfreibetrag wird das steuerliche Existenzminimum von der Besteuerung ausgenommen. Ein zweiter Grundfreibetrag in Höhe von 7.600 Euro könnte auf den Partner oder die Partnerin übertragen werden, wenn diese den Grundfreibetrag nicht selbst in Anspruch nehmen. So würden die sozialrechtlichen Unterhaltspflichten und damit verfassungsrechtliche Vorgaben für die Besteuerung der Ehe beachtet werden.
Was ist der Vorteil davon?
Beide Eheleute werden unabhängig von der Erwerbstätigkeit des Partners oder der Partnerin und entsprechend der Höhe ihres eigenen Einkommens besteuert. Ihnen fließen auch alle Steuerentlastungen direkt zu. Beim Ehegattensplitting profitiert unmittelbar nur die erwerbstätige Person. Man könnte diskutieren, ob beispielsweise die Altersversorgung des Ehepartners oder der Ehepartnerin zusätzliche Steuerentlastungen rechtfertigt. Besserverdienende, mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 120.000 Euro erhalten nur noch einen maximalen Steuervorteil von 3.200 Euro statt derzeit knapp 8.000 Euro. Für niedrige Einkommensgruppen ändert sich wenig, weil zunächst 15.000 Euro steuerfrei sind. Die Einverdienst-Ehe mit einem zu versteuernden Einkommen von 30.000 Euro hätte nur geringe Abschläge hinzunehmen: Ihr Steuervorteil sinkt von bislang circa 2.700 Euro auf circa 2.300 Euro.
Warum halten Sie Ihren Vorschlag für gerechter und zeitgemäßer?
Zur Zeit profitieren Familien nur sehr bedingt und in unterschiedlicher Höhe vom Ehegattensplitting. Alleinerziehende, Lebensgemeinschaften mit Kindern oder auch Lebenspartnerschaften können das Ehegattensplitting überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag macht finanzielle Mittel frei, die zielgerichtet für eine Familienförderung eingesetzt werden können. Die eingesparten acht Milliarden Euro könnten entweder in die institutionelle Kinderbetreuung fließen oder in eine Erhöhung des Kindergeldes. Letzteres würde die Entlastungsschere schließen zwischen hohen Einkommensgruppen, die von steuerlichen Kinderfreibeträgen profitieren, und niedrigen Einkommensgruppen, die ausschließlich Kindergeld beziehen. Alle Familien und auch Lebenspartnerschaften würden steuerlich weitgehend gleich gestellt.
Frauen, die jahrelang Kinder erzogen haben und mit 45 nicht mehr in den Beruf kommen, waren bislang wenigstens durch ihren Mann und den enormen Splittingvorteil abgesichert. Wären sie die Leidtragenden Ihres Konzepts?
Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Gerade in Ehen zwischen 50 und 60 Jahren sind hohe Einkommen konzentriert, die auf finanzielle Entlastungen gerade nicht angewiesen sind. Im Rentenalter profitieren Eheleute aufgrund geringer Steuerzahlungen generell wenig vom Ehegattensplitting. Außerdem fließt die Steuerentlastung nicht den Ehefrauen selbst zu, sondern der erwerbstätigen Person, also zumeist dem Ehemann. Damit gewährleistet das Ehegattensplitting gerade keine unabhängige soziale Alterssicherung für Frauen.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
Ulrike Spangenberg hat im Auftrag des DGB-Bundesvorstands 2005 ein Konzept der Ehebesteuerung vorgelegt.
Ehegattensplitting
Das Einkommen jedes Ehegatten wird getrennt ermittelt, zusammengezählt (Zusammenveranlagung) und schließlich halbiert. Für die Hälfte des zu versteuernden Einkommens wird der Steuerbetrag errechnet und mal zwei genommen (Splittingverfahren). Damit wird der Grundfreibetrag verdoppelt und die Progressionswirkung verringert. Einverdienst-Ehen und Besserverdienende haben den größten Vorteil, Doppelverdienstehen, in denen beide gleich verdienen, gar keinen Nutzen. Im Ehegattensplitting steckt ein Steuervolumen von jährlich etwa 21 Milliarden Euro.
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