Fantasy, aber unkompliziert

Serie Michael Pekler entdeckt „Brief für den König“ als Ritterroman light. Spoiler-Anteil: 22%
Ausgabe 36/2020

Du denkst wohl, etwas führt dich an? Das Schicksal, nicht wahr? Bestimmung. Das denken alle Ritter, wenn sie dem Ruhm entgegenreiten, überzeugt, dass sie endlich Ordnung in die Welt bringen. Und wo endet es immer? Im Tod und im Gemetzel.“ Da hat die Witwe des Schwarzen Ritters, der sein Leben für die gute Sache geopfert hat, wohl recht. Denn auch wenn sie nicht von der traurigen Gestalt sind und wie ihr Gemahl bis zum letzten Atemzug gekämpft haben, zählen Ritter doch fast immer zu den Verlierern. Was die arme Frau, die dem Burschen da ins Gewissen redet, aber nicht wissen kann: Erstens ist das dem jungen Helden Tiuri, der von ihrem toten Mann gerade noch rechtzeitig einen Auftrag bekommen hat, ziemlich egal. Und zweitens enden solche Abenteuer oft als Jugendroman und wie Der Brief für den König als Netflix-Serie.

Wer sich von der Erfolgsformel Mittelalter und Fantasy prinzipiell abgeschreckt fühlt, an der Glaubwürdigkeit von Game of Thrones und The Witcher zweifelt und sich seit Peter Jacksons Filmtrilogie Der Herr der Ringe vor der gleichnamigen Amazon-Serie fürchtet, dem sei gesagt: In Der Brief für den König, entstanden nach dem 1962 erschienenen Jugendbuch von Tonke Dragt, ist das alles halb so schlimm. Die handelsüblichen Ingredienzien sind sparsam eingesetzt, es gibt keine Drachen, nur einen und deshalb gut überschaubaren Bösen – wir rechnen hier dessen Rote Ritter genannte Schergen mal ab –, ebenfalls nur eine magische Prophezeiung für die Special Effects und vor allem eine Handvoll kleiner Leute, die statt einem Ring einen Brief überbringen muss.

Das klingt nicht nur ein wenig nach eher klassischem Entwicklungsroman in sechs Folgen – sondern das ist es auch. Tatsächlich ist das Interessante an der Heldenreise des 15-jährigen Schildknappen Tiuri, dem in der Nacht vor seinem Ritterschlag die Umsturzpläne des Prinzen in die Hände fallen, die er dann sechs Folgen lang quer durchs Königreich Dagonaut bis an den Herrscherhof schleppen muss, die Leichtigkeit, mit der dieser die Bürde trägt.

Natürlich entkommt er immer nur ganz knapp seinen Verfolgern oder Andy Serkis als geizigem Bürgermeister; natürlich wird er von verrückten Mönchen in ein Kloster am Ende der Welt gesperrt und muss wiederholt Pfeilhagel und Schwertstreiche über sich ergehen lassen. Doch irgendwie hat man das Gefühl, dass Tiuri nicht allzu sehr unter dem Gewicht der Verantwortung leidet. Natürlich, die Gesamtlage ist ernst, aber die Situation nicht unbedingt. Im Gegenteil ist das Grüppchen, das sich im Laufe der Folgen um ihn bildet – allen voran die fesche und willensstarke Bürgermeistertochter Lavinia (Ruby Ashbourne Serkis) –, immer wieder für einen Spaß auf Kosten des anderen zu haben. Und weil man hier zielgruppenorientiert produziert hat, darf sogar die erste Liebe flüchtig keimen.

Daran, dass Jugendliche im Seriendschungel derzeit hauptsächlich als Geisterjäger gegen Monster aus der Unterwelt kämpfen (Stranger Things) oder sich als Schlüsselwächter zu einer magischen Parallelwelt verdingen (Locke & Key), hat man sich gewöhnt. Aber auch daran, dass sich die Adoleszenz im Mittelalter erfahrungsgemäß selten gut für Adaptierungen eignet: Zu häufig geraten die mit Burgen und Unholden bestückten Welten entweder zu märchenhaft oder, wie das ultimative Negativbeispiel Die Chroniken von Narnia, überhaupt reaktionär. Der Brief für den König macht das als Serie nun deutlich besser: überraschend modern, ohne dabei in übertriebene Selbstironie zu verfallen. Dass Tiuri und seine Gefährten mitunter wie bei einem Schulausflug am Lagerfeuer sitzen und über die Größe des kleinsten Pferdes diskutieren, passt jedenfalls gut zum insgesamt lockeren Tonfall.

Prinz Viridian, der die dunkle Macht als graue Wolke inhaliert, hat aber auch etwas zu sagen. Mit seiner Armee, mit der er einen langen Krieg gegen die Feinde des Königs gewonnen hat und die er nun nicht aufzulösen gedenkt, rückt er wie Tiuri gegen die Hauptstadt vor. Und dann sitzt er neben dem Vater und seinem langweiligen Bruder im Thronsaal und hält eine kleine Rede. „Das Leben, das ihr führtet, das Leben im Komfort und im Luxus. Das Leben, errichtet auf Leichen von Soldaten, wie ich es bin, dieses Leben ist nun vorbei.“ Man möchte fast glauben, hier spricht in Wahrheit ein Guter, ein echter Rebell, aber so kompliziert macht es die Serie dann doch nicht.

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