Fast ein kalter Staatsstreich

Schröders Spiel mit dem Bundestag Eine Vorlage für den Bundespräsidenten, sich als Entscheidungsträger und Machtpolitiker ins Spiel zu bringen

Dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, er wolle sich durch ein unechtes Misstrauensvotum zu Neuwahlen mogeln. Er praktiziere voluntaristischen Rechtsnihilismus. Das trifft zu und regt niemand auf. Jenseits der rechtlichen Würdigung gilt, dass Gerhard Schröder nicht mehr das Vertrauen der Bundestagsmehrheit hat.

Da ist zunächst die Opposition. Sie kann ehrlichen Herzens gegen ihn stimmen. Hinzu kommen die Linken in der SPD-Fraktion, die er in der Vergangenheit zur formalen Loyalität genötigt hat, obwohl sie mit seiner Politik - insbesondere mit der Agenda 2010 und Hartz IV - nicht einverstanden waren.

Bei Licht besehen hat Schröder niemals seit 1998 eine homogene Mehrheit gehabt, er wollte sie auch nicht. In seinen ersten Wahlkampf zog er einerseits mit dem Unternehmer Jost Stollmann, den er zum Wirtschaftsminister machen wollte, andererseits mit Oskar Lafontaine. Nach wenigen Monaten war er beide los. Unverzichtbar blieb für ihn, der Genosse der Bosse zu sein. Für diese war er aber nur insofern wertvoll, als er auch eine Basis in den Unterklassen hatte und diese sich im Interesse des Kapitals von ihm führen ließ. Das ist jetzt auch vorbei. Die kleinen Leute haben gegen Schröder nicht aufbegehrt, aber sie wählen ihn nicht mehr. Damit ist er nicht länger nützlich zum Beispiel für den Bundesverband der Deutschen Industrie.

Wahrscheinlich fällt Schröder der Abschied von der Macht, die er ohnehin nicht mehr hat, nicht schwer. Er wollte Kanzler werden, und das ist er geworden. Mittlerweile hat er nichts mehr zu verteidigen und nichts zu verlieren. Es gibt bei ihm keine Konstante. Er macht postmoderne Politik. Seinen Abgang organisiert er in derselben Konstellation, in der er regiert hat.

Angela Merkel hat einen Bundespräsidenten durchgesetzt, der in seinem Amt ungenierter für einen marktradikalen Umbau wirbt als sogar Roman Herzog. Er ist ein Parteigänger - entweder mit Bedacht oder aus Tolpatschigkeit. Von ihm hat sich nun Schröder in der Suche nach einer Auflösung des Bundestages abhängig gemacht. Damit schob er dem Präsidenten eine Funktion zu, die im Grundgesetz für ihn nicht vorgesehen ist: als Entscheidungsträger und Machtpolitiker. Köhler kann, wenn er will, Schröder blamieren, indem er das von diesem gewünschte Misstrauensvotum nicht akzeptiert.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland hat den Präsidenten doppelt ermahnt. Erstens: Er dürfe nicht aus reiner Gefälligkeit den Bundestag auflösen, denn dann setzte er sich dem Verdacht aus, er wolle Angela Merkel, der er sein Amt verdankt, einen Gegendienst erweisen. Zweitens aber: Deutschland brauche schnell eine Regierung, die das verfehlte Entgegenkommen im Verhältnis zur Türkei beende und stattdessen auf eine privilegierte Partnerschaft setze. Insofern könne Köhler jetzt, indem er den Personalwechsel herbeiführe, über Europas Zukunft entscheiden, und das solle er tun. Dies legitimiere die Auflösung des Bundestages. Das klingt fast nach kaltem Staatsstreich. Schröder hat dazu die Vorlage geliefert.

Sollte er zurücktreten, damit ein verfassungskonformes Verfahren ermöglichen und zugleich den Machtzuwachs des Präsidenten zurückschneiden?

Dazu ist es jetzt auch zu spät. Sofort würde kolportiert, Schröder sei durch Köhler zu diesem Schritt gezwungen worden. Auch hat er keinen Ersatzmann, der Kanzler werden könnte. Müntefering wurde verschlissen: seine Kapitalismuskritik war kein Plädoyer für einen Politikwechsel, sondern lediglich Flankenschutz für Hartz IV. Damit ist keine Wahl zu gewinnen. Schröder hat die Partei, die er immer wieder gepresst hat, zerrüttet. Zu einer solchen Mesalliance gehören allerdings immer zwei. Das Ausrasten der Fraktionslinken in der vergangenen Woche zeigt, dass sie sich betrogen vorkommen, weil sie sich in die Tasche gelogen haben und viel zu lange loyal blieben. Es fehlen sämtliche Voraussetzungen für einen rot-grünen Lagerwahlkampf. Schröders Grundsatzlosigkeit war lange Zeit vorteilhaft für ihn. Sie verschaffte ihm Optionen. Die hat er jetzt nicht mehr.


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