An den autofreien Sonntagen am 25. November 1973 und nochmals am 2., 9. und 16. Dezember konnten auf bundesrepublikanischen Autobahnen Familien gemütlich Kinderwagen schieben oder Radrennen fahren. Auf dem Ku-Damm in Westberlin gab es Fußballspiele, Rollschuhfahrer zogen ihre Kreise, und Spaziergänger flanierten, wo sonst „freie Bürger“ mit ihren Autos das Recht der „freien Fahrt“ wahrnahmen. Doch die Idylle dauerte nicht lange. Bereits am vierten autofreien Sonntag waren „so viele Ausnahmen durchgesetzt, dass es auf den Straßen wieder zu Staus kam“, schließt resigniert der entsprechende Wikipedia-Eintrag. Und wer heute einen autofreien Tag propagieren würde, hätte Bild, Tagesthemen und die scheußlichste Blogg
eußlichste Bloggerei auf dem Pelz.Dabei sollte der autofreie Sonntag seinerzeit nur eine Antwort auf die sogenannte Ölkrise sein. Die arabischen Förderstaaten hatten wegen der israelischen Besetzung der Sinai-Halbinsel und der Golan-Höhen den Ölpreis von 2,89 Dollar pro Barrel (159 Liter) auf über 11,65 Dollar fast vervierfacht. Der Jom-Kippur-Krieg vom 6. bis 26. Oktober 1973 hatte insofern – weit entfernt von den Schlachtfeldern – seine Auswirkungen.Deutschland kam vergleichsweise gut dabei weg. Denn die „Öl- und Sandstaaten“ auf der arabischen Halbinsel kauften weiterhin industrielle Ausrüstungen bei deutschen Produzenten, die D-Mark gewann an Wert, und die Aufwertung verbilligte die Ölimporte. Die Bevölkerung in Ländern wie Italien mit hoher Inflation und abgewerteter Lira-Währung hingegen litt unter einer beachtlich gestiegenen Ölrechnung. Die war schließlich in harten und teuren Devisen zu begleichen.Phänomen PeakoilDoch war die Ölpreis-Explosion mehr als eine Folge vorübergehender Knappheit nach einem Nahost-Krieg. Sie taugte zum Fanal und verkündete das Ende eines Zeitalters. Das Öl als Treibstoff der Industriegesellschaft wurde im Herbst 1973 nicht nur wegen der – wie es damals in den Medien hieß – „Erpressung der Ölscheichs“ teurer. Es ging vielmehr zur Neige. Schon in den fünfziger Jahren hatte der US-Geologe Marion King Hubbert den Höhepunkt der amerikanischen Ölproduktion für das Jahr 1972 prognostiziert. Und exakt so kam es. Die USA konnten ihre Ölextraktion trotz steigender Nachfrage nicht erhöhen. Wieder einmal zeigte sich: Die Ausbeute jeder endlichen Ressource hat einen Höhepunkt, und danach geht es zumeist rapide bergab. Das Phänomen wird nach dem US-Ölexperten Colin Campbell „Peakoil“ genannt.Wo soll dann aber die Energie herkommen, um die von fossilen Energieträgern vollständig abhängigen Ökonomien der Industrieländer zu versorgen – so die Schicksalsfrage vor vier Jahrzehnten. Nach 1973 wurde es zur Mission der Öldiplomatie, die Förderländer in eine feste Allianz mit den Öl-Großverbrauchern zu binden. Die nahöstlichen Ölproduzenten hatten zwar das energetische Monopol in politische Macht und klingende Münze umgesetzt – aber ausbrechen aus der fossilen Allianz konnten und wollten sie nicht.Der Ölpreis stieg weiter, je länger die siebziger Jahre dauerten. So begann die Suche nach neuen Energiequellen, nach „unkonventionellem Öl“, die bis heute andauert: Schweres Öl, Teer, Ölsand und Ölschiefer, Offshore- und Tiefseeöl stehen auf der Fahndungsliste der Ölkonzerne. Damals konnte sich Großbritannien zu den Glücklichen zählen, weil mit einem steigenden Ölpreis die Exploration des Nordseeöls, von dem man seit etwa 1950 wusste, rentabel wurde. Die Förderung begann 1975 in großem Stil. Norwegen folgte, und das Nordseeöl der Marke Brent wurde zu einem Standard im internationalen Ölgeschäft.Dies verminderte nicht allein die Abhängigkeit von arabischen Ölexporteuren – die neuen Ölfunde halfen zugleich der inzwischen ins Amt gekommenen neoliberalen Regierung unter Margret Thatcher, die streikenden Bergarbeiter ins Leere laufen zu lassen. Die wegen der Arbeitsniederlegung ausbleibende Kohle konnte durch das Öl aus der Nordsee ersetzt werden. Der Neoliberalismus hatte im Verein mit einem neuen Schub des „Fossilismus“ (wegen des Nordsee-Öls) der britischen Arbeitermilitanz der siebziger Jahre den Stachel gezogen. Von der Niederlage im Bergarbeiterstreik sollten sich die Gewerkschaften auf der Insel nie mehr erholenAlternative AtomkraftAuch in anderen Weltregionen begann nach dem Herbst 1973 eine fieberhafte Suche nach alternativen Energieangeboten. In Brasilien legte die Militärdiktatur ab 1975 das Proalcool-Programm auf, das die Produktion von Ethanol aus Zuckerrohr und die Umstellung der Automobilflotte auf sogenannten Biosprit massiv förderte. Riesige Areale wurden in großflächige Agro-Treibstofffabriken verwandelt und die bisher dort ansässigen Bauern vertrieben. Zudem versprach die Kernkraft den Energiehunger, sofern er sich mit Elektrizität befriedigen ließ, zumindest teilweise zu stillen. In Brasilien wurden mehrere Atomkraftwerke an der Atlantikküste nahe der Hafenstadt Angra dos Reis geplant. Dabei erwies sich das AKW Angra dos Reis I – errichtet vom US-Konzern Westinghouse – von Anfang an als Pleitemeiler, der anderthalb Jahrzehnte nach Baubeginn Anfang der neunziger Jahre nur 14 Tage lang Strom lieferte. Der Siemens-Reaktor Angra dos Reis II ging 2001 nach 25 Jahren Planungs- und Bauzeit mit einem Störfall ans Netz. Bei Angra dos Reis III musste Siemens technische Ausrüstungen in einem Wert von 750 Millionen Euro einmotten.Auch in anderen Ländern sollten sich Atomkraft und Agrosprit als Alternativen zum fossilen Kraftstoff nicht bewähren. Tschernobyl und Fukushima wurden zu lange strahlenden Erinnerungsstücken. Man musste schon konsequent sein und den Übergang zur solaren Energie – eine andere steht der Menschheit dauerhaft nicht zur Verfügung, wenn die fossilen Reserven erschöpft sind – als solare Revolution oder eine große Transformation begreifen und organisieren. Dieser Auffassung folgten inzwischen auch der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung oder Physikprofessor Ugo Bardi von der Universität Florenz in seinem Bericht vom Mai 2013 an den Club of Rome.Die Ölkrise von 1973 war der Beginn einer neuen Ära, in der Öl plötzlich zu einer Mangelware wurde. Zugleich wollte alle Welt immer gieriger darauf zurückgreifen, weil Alternativen der Energieversorgung und des Energieverbrauchs viel zu wenig entwickelt waren. Die neoliberale Ideologie, man könne das Öl mit Investitionen in Exploration, Förderanlagen, Transport- und Leitungsnetze bis in eine weite Zukunft verfügbar halten, wurde durch die neoliberale Realpolitik korrigiert. Die verließ sich gerade nicht auf Marktmechanismen, sondern auf politische Erpressung oder militärischen Druck. Weit vor der Krise von 1973 hatte der britische Ökonom Roy Harrod im Jahr 1958 das Öl ein „oligarchisches Gut“ genannt und angedeutet, wenn in der Welt der Politik ein natürlicher Mangel nicht mehr durch Preisbildung auf dem Markt regulierbar erscheine, werde er als Sicherheitsrisiko wahrgenommen.So werden „oligarchische Güter“ bis heute durch den Gebrauch militärischer Macht verteilt. So kommt es, dass in der fossilen Welt neoliberale Marktrhetorik und neokonservatives Säbelrasseln kombiniert werden. Seit der Zäsur vor vier Jahrzehnten ist aus den Hauptstädten der großen Industrieländer von Washington bis London zu vernehmen: Für Öl werde notfalls Blut vergossen. Insofern wirkt es keinesfalls übertrieben, die Ölkrise von 1973 als Einschnitt für die kapitalistische Weltwirtschaft zu betrachten. Sie bezeichnete das Ende der leichten Verfügbarkeit fossiler Energieträger – bis dahin ein wesentlicher Grund für die Dynamik des Kapitalismus –, verwies auf die Notwendigkeit, erneuerbare Energieträger zu nutzen und deshalb Produktions- und Lebensweise radikal umzubauen.