Mit 24 lernte sie Skifahren und kletterte vor laufender Kamera auf die höchsten Berge; mit 72 machte sie eine Tauchausbildung und fotografierte Korallenriffe in den Tiefen des Meeres; mit 97 überlebte sie mit ein paar Rippenbrüchen einen Hubschrauberabsturz in Afrika; am 22. August wird sie 100: Helene Bertha Amalie Riefenstahl, Künstlername Leni. "Mich fasziniert, was schön ist, stark, gesund und lebendig", äußerte die Jubilarin einmal als 63-Jährige. Mit den letzten drei Attributen hat sie im Alter auch persönlich noch Bewunderer fasziniert, scheint die rüstige Greisin doch selbst Bestätigung für einen Triumph des Willens - wie ja der Titel ihres meistzitierten, für sie zum Skandalon gewordenen Films lautet. Jenes Credo ch
Jenes Credo charakterisiert ihre ganze künstlerische Arbeit, aber damit erlag sie auch als junge Frau der Faszination des Bösen. Später darauf angesprochen, zeigte Leni sich dann allerdings stets schwach: flüchtete in Ohnmachtsanfälle oder brach in Tränen aus. Die weinte sie aber nicht etwa aus Scham oder Trauer um die Opfer einer Barbarei, die sie fasziniert hatte, sondern aus Selbstmitleid. Und nicht nur damit offenbarte sie immer wieder auch die Kehrseite ihres Faszinosums: dem Körperkult, den sie, wie der Faschismus, zelebrierte, entspricht ein ausgeprägter Antiintellektualismus. Ihrer Schutzbehauptung, sie sei halt ein unpolitischer Mensch und stets habe sie nur die Kunst interessiert, darf man getrost glauben, aber es entschuldigt sie ebensowenig wie andere Zeitgenossen, die trotzdem einer verbrecherischen Politik dienten - freilich im Gegensatz zu ihr kaum einen oder gar keinen Karriereknick erlebten. Intellektuelle Anstifter zum Mord an den Juden gingen nach dem Kriege straffrei aus. Der Textautor des Films Der ewige Jude, Eberhard Taubert, wurde sogar jahrelang in Bonn an führender Stelle als Spezialist für antikommunistische Propaganda verwendet. Der Regisseur von Jud Süß, Veit Harlan, wird von der Anklage des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freigesprochen und kann bis zu seinem Tode 1964 noch neun Filme drehen. Die gebürtige Berlinerin Riefenstahl studierte an der Kunstakademie ihrer Heimatstadt Malen und Zeichnen und erhielt nebenher eine Ballettausbildung, unter anderem bei Mary Wigman. Ab 1923 trat sie schon in Solo-Tanzabenden auf, bis der Film und die Berge zu ihrer neuen Leidenschaft wurden. Für Regisseur Arnold Fanck war beides eins. Durch Luis Trenker mit Leni Riefenstahl bekanntgemacht, engagierte er sie 1926 als Hauptdarstellerin für seinen Film Der heilige Berg. "Das Schönste, was ich jemals im Kino gesehen habe", schwärmte Hitler davon. Ähnliches empfand Leni, als sie ihren Bewunderer 1932 zum ersten Mal im Sportpalast sah und hörte. In ihren Memoiren erinnert sie sich an ein Gefühl, "als ob sich die Erdoberfläche vor mir ausbreitete - wie eine Halbkugel, die sich plötzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde, so gewaltig, daß er den Himmel berührte und die Erde erschütterte". Das liest sich wie die pseudopoetische Beschreibung eines Orgasmus. Kitsch as Kitsch can. Nachdem das Idol kurz vor der Machtergreifung die von ihm als "vollkommene deutsche Frau" Verehrte am Nordseestrand einmal selbst auch körperlich ergriffen hatte, ließ er sie rasch wieder los und gestand ihr: "Ich darf keine Frau lieben, bis ich nicht mein Werk vollendet habe." Dabei half ihm Frau Riefenstahl dann zumindest filmisch. Hatte sie zuvor unter der Regie von Arnold Fanck noch an drei weiteren Bergfilmen mitgewirkt und mit Hilfe des marxistischen Kinotheoretikers Béla Bálasz ihren ersten eigenen Film Das blaue Licht realisiert, so glorifizierte sie nun die, die manche ihrer einstigen Freunde aus dem Lande trieben. Ihr Film über den Reichsparteitag 1933 Sieg des Glaubens verschwand zwar schnell wieder, weil er noch den ein Jahr später erschossenen SA-Chef Röhm zeigte, aber der dann folgende Triumph des Willens, bei dessen Dreharbeiten in Nürnberg die Regisseurin über 30 Kameras und 120 Helfer gebot, blieb als Zeugnis eines perfekten Nazi-Propagandafilms. Kaum 40 Jahre später konnte er bei Rein-Ästheten des Auslands sogar zum Kultfilm avancieren: Als die Riefenstahl Mick Jagger fotografierte, erfreute der Rock-Star seine Besucherin mit der Bemerkung, er habe dieses ihr Werk fünfzehn Mal gesehen. Vielfache Bewunderung gilt bis heute aber vor allem ihren beiden Olympia-Filmen von 1936. Deren Mystifizierung kraftvoller Männlichkeit, von Kampf und Sieg findet sich wieder in den Bildbänden über den Stamm der schwarzen Nuba im Süd-Sudan, mit denen Leni Riefenstahl Anfang der siebziger Jahre ihre zweite Karriere als international renommierte Fotografin begann. Da entbehrt es nicht der Ironie, dass ausgerechnet US-amerikanische Feministinnen vorher maßgeblich an der Rehabilitierung der einstigen NS-Propagandistin beteiligt waren. Lenis (tiefenpsychologisch interessanter) größter Wunsch, Penthesilea zu verfilmen, erfüllte sich nie. Die Realisierung anderer neuer Filmpläne - in Italien wieder über Berge, in Afrika über Sklavenhandel - blieben während der fünfziger Jahre in den Anfängen stecken. Ihr 1940 bis 1942 gedrehter letzter Film Tiefland erwies sich bei der nachgeholten Uraufführung 1954 als Flop und machte nur von sich reden, weil das Engagement später in Auschwitz vergaster Sinti aus einem KZ für die Dreharbeiten Gegenstand zweier Prozesse wurde. Auf einem Foto, das Leni Riefenstahl uniformiert unter Soldaten als Zeugin der Erschießung von 31 Juden in einer polnischen Stadt im September 1939 zeigt, spiegelt ihr Gesicht Entsetzen. Sie beschwerte sich auch beim zuständigen General und gab ihre Tätigkeit als Kriegsberichterstatterin auf. Aber wenige Monate später schreibt sie dem Hauptverantwortlichen: "Meine Bewunderung für Sie, mein Führer, steht über allem, was ich sonst zu denken und zu fühlen vermag." Prototypisch steht Leni Riefenstahl für eine Meisterschaft in Verdrängung und das Verhalten "unpolitischer" Künstler in Diktaturen. Ihr Werk und die Reaktionen darauf reflektieren beispielsweise kultur- und geistesgeschichtliche Phänomene unserer Zeit. Ein ihrem Schaffen gewidmetes Museum, wie es sich die Jubilarin nahe ihrem Wohnhaus in Pöcking am Starnberger See wünscht, dürfte freilich wohl nur die eigene Version der Allround-Begabung präsentieren. Und eine MDR-Dokumentation zum 100. Geburtstag konzentriert sich offensichtlich auf ihre filmischen Anfänge in den Dolomiten, auf deren Spurensuche die vom Volksmund einst als "Reichsgletscherspalte" Titulierte vom Bergsteigerfreund Reinhold Messner begleitet wurde. Die Höhenflüge auf dem Bildschirm ergänzen Tiefseebilder auf der Leinwand. Mit Impressionen unter Wasser, die in rund sechs Jahren bei mehr als 2.000 Tauchgängen entstandene Aufnahmen zeigen, erlebt Leni Riefenstahl mit 100 auch noch die Genugtuung eines eigenen Kino-Comebacks. Ob sie ebensoviel Freude an einem Hollywood-Projekt der Verfilmung ihres Lebens haben wird, das nächstes Jahr im Studio Babelsberg realisiert werden soll - Produktion, Regie und Hauptrolle: Jodie Foster -, ist weniger gewiss. Jedenfalls wurde ihr kein gefordertes Widerspruchsrecht für den Fall eingeräumt, dass Tatsachen im Drehbuch ihrer Meinung nach falsch dargestellt werden.
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