Das von ihm selbst genannte Kriterium von nicht mehr als 3,5 Millionen Arbeitslosen hat Kanzler Schröder bekanntlich verfehlt. Gemessen an diesem Anspruch fällt die Bilanz der Regierung ernüchternd aus: Im vergangenen Jahr zählte die Bundesanstalt für Arbeit im Schnitt 3,85 Millionen Arbeitslose, und in diesem Frühjahr fällt die saisonale Belebung am Arbeitsmarkt so gering aus wie schon seit Jahren nicht mehr. Zwar brüstet sich die Regierung damit, dass die Arbeitslosigkeit 1998 - im letzten Jahr der Regentschaft Kohl - um fast eine halbe Million höher lag, doch mag ihr dies niemand so recht als Erfolg anrechnen. Dafür gibt es gute Gründe. Der langfristige Trend einer eher steigenden statt sinkenden Arbeitslosigkeit scheint ungebrochen
hen. Lediglich im Rhythmus der konjunkturellen Entspannungen gehen die Arbeitslosenzahlen zurück, um in der nächsten Krise wieder kräftig zuzulegen. So liegen die Arbeitsmarktzahlen derzeit auf dem Niveau von Mitte der neunziger Jahre. Auch der Graben zwischen Ost und West ist auf dem Arbeitsmarkt noch tiefer geworden. So fand die konjunkturelle Entspannung in den vergangenen vier Jahren ausschließlich in Westdeutschland statt. Die Arbeitslosenquote im Osten lag 2001 mit 18,9 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Westen mit 8,3 Prozent. Ebenso wurde der langfristige Trend einer zunehmenden Verfestigung der Arbeitslosigkeit nicht gestoppt. Ein Drittel der Arbeitslosen war im vergangenen Jahr bereits länger als ein Jahr ohne Arbeit. Vor allem ältere und gering Qualifizierte haben kaum Chancen. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegt mit über 30 Wochen erheblich über derjenigen während der vorherigen Wahlperiode. Bei den Arbeitsmarktzahlen darf auch nicht übersehen werden, dass die registrierte Arbeitslosigkeit nicht das ganze Ausmaß der Misere wiedergibt. Zählt man die in Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarkts Beschäftigten und die stille Reserve derjenigen, die zwar vergeblich eine Arbeit suchen, sich aber nicht arbeitslos melden, hinzu, so klafft eine Beschäftigungslücke von knapp 6,8 Millionen regulären Arbeitsplätzen in Deutschland. Dem gegenüber stehen etwa 500.000 gemeldete und - nach Schätzungen von Experten - eine weitere Million nicht gemeldeter, offener Stellen. Die Reaktion der Bundesregierung auf das Dilemma entspricht altbekannten Mustern der vorherigen Regierung. Der Kanzler hat sich von seinem Wahlversprechen von 3,5 Millionen Arbeitslosen verabschiedet und mit seinem epochalen Satz "Es gibt kein Recht auf Faulheit" eine Drückebergerdebatte eröffnet, die auch den Resonanzboden für die Vorschläge der Hartz-Kommission bildet. Die Botschaft ist klar: Die Arbeitslosen wollen nicht arbeiten und sind selbst schuld an ihrer Lage. Die Kontinuität in der Arbeitsmarktpolitik bleibt damit gewahrt. Die klassischen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik wurden sogar in ihrem Volumen zurückgefahren. Lag die Entlastungswirkung aller Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik Mitte der neunziger Jahre noch bei über zwei Millionen Stellen, so ist sie im vergangenen Jahr auf 1,74 Millionen zurückgefahren worden. Von der im Wahlkampf 1998 versprochenen Verstetigung der Arbeitsmarktpolitik ist nichts zu spüren. Das Ziel, für Beschäftigungsmöglichkeiten zu sorgen, hat diese rot-grüne Bundesregierung offenbar längst aufgegeben. Stattdessen geht es nur noch um das "Fördern und Fordern" der Arbeitslosen. Kernstück rot-grüner Arbeitsmarktreformen war deshalb das zu Jahresbeginn 2002 in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz (Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln). Positiv daran ist der Anspruch, minderwertige Beschäftigung vermeiden zu wollen, die Abschaffung von Wartezeiten bis zum Einsetzen von Fördermaßnahmen und die Anrechung von Mutterschafts- und Erziehungszeiten. Auch die verstärkte Förderung älterer Arbeitsloser und MigrantInnnen sowie die Möglichkeiten zur Jobrotation sind zu begrüßen. Sinnvoll ist auch die Koppelung von Infrastrukturmaßnahmen und Arbeitsförderung; die Beschränkung dieses Instruments auf gewinnorientierte Unternehmen ist allerdings nicht zu akzeptieren. Die Ausdehnung der Vermittlung auf Dritte, die letztendlich eigene Gewinninteressen verfolgen, ist dagegen eher problematisch. Auch das sogenannte Profiling der Arbeitslosen - die Bewertung ihrer Chancen mit dem Ziel einer Eingliederungsvereinbarung - ist nur theoretisch ein Fortschritt. Praktisch existieren weder bei den Arbeitsämtern noch bei beauftragten Bildungsträgern die Kapazitäten, um individuelle Bewertungen durchführen zu können. Deshalb wird dieses Instrument derzeit als eine völlig nutzlose, standardisierte Kurzschulung umgesetzt. Das birgt die Gefahr, die bereits vorhandenen Repressionen gegen die Arbeitslosen zu verstärken.Trotz positiver Ansätze im Job-AQTIV-Gesetz hat sich die generelle Stoßrichtung der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik nicht geändert. Je schwieriger die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird, um so stärker wird das gesellschaftliche Problem geleugnet und zu einem individuellen umgedeutet: Arbeitslose sind nicht qualifiziert genug, wollen nicht arbeiten, sind zu teuer und die Vermittlung der Arbeitsämter funktioniert schlecht. Auch das hektisch eingeführte "Mainzer Modell" subventionierter Niedriglöhne zielt mehr auf die Absenkung von Lohnniveaus als auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Vorschläge der Hartz-Kommission setzen ebenfalls bei der Verschlechterung der Leistungen für Arbeitslose an. Wer unterstellt, dass Arbeitslosigkeit mit der Aktivierung von Arbeitslosen bekämpft werden kann, hat die strukturellen und konjunkturellen Ursachen der Erwerbslosigkeit aus dem Blick verloren. Die ist nicht durch die Passivität der Arbeitslosen (oder mangelnder Anreize) bedingt oder gar entstanden. Wer tatsächlich an den Ursachen ansetzen will, muss Strategien vorlegen, die den vorhandenen Bedarf an ortsnaher und kleinräumiger Versorgung, an Umweltschutz und am Ausbau öffentlicher Verkehrsinfrastruktur befriedigen. Ebenso sollte die steigende Nachfrage nach sozialen, persönlichen und pflegerischen Dienstleistungen systematisch für neue Arbeitsplätze genutzt werden. Deshalb braucht dieses Land einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, der längerfristige Beschäftigungen zu tariflichen Bedingungen bietet.