Auf zwei größeren "Reform"-Baustellen ist die Regierung von Premier Raffarin derzeit unterwegs. Auf der ersten geht es um die Privatisierung der beiden Energieversorger EDF (Electricité de France) und GDF (Gaz de France). Die Parlamentsdebatte darüber begann am 15. Juni, während die Protestaktionen der Elektrizitätswerker kaum noch zu zählen sind: Wilde Streiks, Demonstrationen, Stromsperre für den Elysée-Palast oder beim Arbeitgeberverband MEDEF oder bei Abgeordneten der Nationalversammlung, die sich zugunsten der Reform weit aus dem Fenster lehnen. Zugleich begannen die Gewerkschaften mit der "Aktion Robin Hood", bei der private Haushalte einstweilen wieder (kostenlos) mit Strom versorgt werden, denen er gesperrt wurde, weil Rechnungen wegen f
echnungen wegen finanzieller Schwierigkeiten nicht mehr beglichen wurden. Bei dieser Gelegenheit erfuhr man, dass dieses Schicksal in Frankreich etwa 250.000 Haushalte teilen. Es geht wohlgemerkt nicht um Emile Zolas Germinal, sondern das 21. Jahrhundert ...Umbau Nummer zwei trifft die Gesetzliche Krankenversicherung, der Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy, den einige Medien nur noch "Douste-Blabla" nennen, sein Reformpaket zugestellt hat. Unmittelbar nach den Europawahlen verabschiedete das Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf, der ab 29. Juni zur ersten Lesung in der Nationalversammlung ansteht. Das Defizit der Gesetzlichen Krankenkasse für das laufende Jahr wird mit 13 Milliarden Euro veranschlagt - die seit 1990 angehäuften Schulden mit 65 Milliarden. Dazu muss man wissen, dass zwischen 1992 und 2002 den Arbeitgebern insgesamt 113,7 Milliarden Euro an Nachlässen bei Sozialabgaben und Lohnnebenkosten gewährt wurden, stets gerechtfertigt mit dem davon ausgehenden "Beschäftigungseffekt", der nachweislich kaum eintrat. Pikanterweise ist der größte säumige Zahler bei den Sozialversicherungskassen allerdings der französische Staat, der wegen eines defizitären Haushalts Milliardenbeträge an Zuschüssen schuldig bleibt. Nur zum Vergleich: Als im April dem Pharmakonzern Sanofi-Synthélabo die Übernahme des größeren Konkurrenten gelang, blätterte er 55,3 Milliarden Euro auf den Tisch, wovon über 23 Milliarden in bar bezahlt wurden, der Rest über Bankkredite. Die für solche Transaktionen verfügbaren Profite der Pharmaindustrie sind offenkundig - und das nur bei einem einzelnen Konzern! - um ein Mehrfaches höher als das gesamte "Loch" der gesetzlichen Krankenversicherung. Douste-Blazys Reform soll nun bis 2007 jährlich fünf Milliarden Euro einsparen helfen. Davon wird nur ein minimaler Teil, nämlich 900 Millionen Euro, von den Arbeitgebern zu schultern sein, aber nur durch Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 760 Millionen Euro, die eine Sonderabgabe in Höhe von wahrlich gigantischen 0,03 Prozent zu zahlen haben. Der Löwenanteil der verlangten "Anstrengungen" trifft Arbeitnehmer und Rentner. 1990 hatte die damalige sozialistische Minderheitsregierung - zusammen mit den Gaullisten und gegen die Stimmen der Kommunisten - eine Contribution Sociale Généralisée (CSG) genannte Sondersteuer eingeführt, die alle Steuerpflichtigen - nicht mehr nur die Beitragzahler - zur Finanzierung der Sozialversicherung heranzog. In den folgenden Jahren wurde die CSG sukzessive erhöht, vor allem durch die konservative Regierung von Alain Juppé 1995/96. Jetzt sehe man leider einer erneuten Steigerung entgegen, die allerdings nicht Lohn- und Gehaltsempfänger treffen werde, sondern den steuerpflichtigen Teil der Rentner, ließ Minister Douste-Blazy wissen. Inzwischen steht außer Frage: auch Lohnabhängige haben mehr zu zahlen. Zwar wird die nominelle Höhe der CSG nicht angetastet, dafür aber ihre Bemessungsgrundlage erweitert: Bisher wurde die Sondersteuer auf 95 Prozent des Lohns erhoben - künftig auf 97 Prozent. Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro pro Jahr soll das bringen. Darüber hinaus wird eine "Hohe Gesundheitsbehörde", ernannt von Präsident Chirac, ab Herbst einen "Arzneimittel-Warenkorb" definieren. Was nicht hinein fällt, muss künftig die Gesetzliche Krankenversicherung nicht mehr erstatten. Begründung: Der medizinische Nutzen dieser Medikament sei nicht erwiesen - sie deswegen vom Markt zu nehmen, daran denkt der Gesundheitsminister allerdings nicht. Besagte Behörde wird auch all jene Mediziner bestrafen dürfen, die zu oft krank schreiben, und jene Lohnabhängigen, die zu oft krank feiern, dazu verpflichten, ihre Lohnerstattung den Krankenkassen zurück zu zahlen. Schließlich verhandelt der Arbeitgeberverband MEDEF gerade mit der Regierung über seine Rückkehr in den von den Sozialpartnern besetzten Aufsichtsrat der Krankenkasse, den er vor einigen Jahren verlassen hatte. Vorbedingung: Der MEDEF erhält das Recht, den für die Anerkennung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zuständigen Zweig der Krankenkasse zu kontrollieren. Wird diesem Verlangen entsprochen, dürfte zur Jagd auf "Faulenzer und Simulanten" geblasen werden. Laut Philippe Douste-Blazy könnten dank einer "besseren Kontrolle der Krankschreibepraxis" 800 Millionen Euro pro Jahr gespart werden. Immerhin, so der Minister, seien 20 Prozent aller Krankschreibungen nicht gerechtfertigt - die Direktion der Gesetzlichen Krankenkasse spricht hingegen von sechs Prozent, die zweifelhaft seien.Wer künftig in Frankreich einen Arzt aufsucht, sollte sich auf eine Eigenbeteiligung von einem Euro einstellen, hieß es zunächst, bis Gesundheitsstaatssekretär Xavier Bertrand in der Nacht zum 25. Mai die Gemüter zu beruhigen suchte: eine solche Zuzahlung werde zunächst lediglich im Jahr 2005 bei einem Euro liegen. Danach sei dieser Betrag durch den von der Regierung zu ernennenden Direktor der Gesetzlichen Krankenkasse, der nicht mehr wie bisher an die Vorgaben der Sozialpartner im Aufsichtsrat gebunden sein wird, "frei anzusetzen" - nach Kassenlage, versteht sich.