A
Ach Die deutsche Gelehrtentragödie hebt an mit einem Seufzer: „Habe nun, ach! ...“ Um 1800, als Faust über die Unfruchtbarkeit seiner universitären Studien klagt, steht der Seufzer für das Gegenteil angelesenen Bücherwissens (➝ Goethe): das Sprechen der reinen Seele . Die ausgestoßenen „Achs“ empfindsamer Roman- und Dramenfiguren verweisen auf das authentische Gefühl, das nicht mitgeteilt werden kann, ohne seine Authentizität zu verlieren: „Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr!“
Wie man Unaussprechliches dennoch seufzend artikuliert, konnte man im 18. Jahrhundert in „Seufzer“-Anthologien nachlesen: Sprüche, Gebete und Gedichte, die zum freien Gespräch mit Gott anleiten sollten. Gott, so die Idee, gefällt es am besten, wenn der Gläubige aus tiefstem Herzen seufzt. Ironisch also, dass Faust seine „Achs“ geradewegs in die Arme des Teufels führen. Erika Thomalla
B
Bulgakow How did I get here? Tja. Ein Literaturredakteur hier soll behauptet haben, Meister und Margarita habe etwas mit Faust zu tun, also mit Goethe. Nun weiß man ja, wie Feuilletonisten so sind, sie können, fingerschnippend, Zusammenhänge zwischen beliebigen Punkten im Universum herstellen, und folgst du ihren Fährten, so findest du dich im Nu in Jalta wieder, auf dem Mars, in Pirmasens. Oder im A–Z. Ganz ehrlich? Meister und Margarita hat NULL mit Faust zu tun, und wenn doch, so muss das verschwiegen und bekämpft werden. Ich meine: Bulgakow! Wie er in seiner Stube vor sich hin bibbert und der Liebsten das schon mal verbrannte Manuskript noch einmal diktiert ... Dagegen: Goethe, der feudal alimentierte Polstersesselpupser aus Weimar (➝ Pflaumen); tumper teutscher Itealismus gegen den Witz der Fantasie! Nee, ehrlich. Ich geh da gleich mal hin zu diesem Literaturredakteur, wie aus dem Nichts tauche ich plötzlich auf, da wo er sitzt, und sage ihm, dass Köpfe rollen müssen, das ist hier so unser Umgang miteinander. Klaus Ungerer
F
Fritsch Um 2000 beginnt der Schriftsteller und Filmemacher Werner Fritsch mit „Faust – Sonnengesang“ ein filmisches Hohelied, das einen Bogen von der ägyptischen Antike in die Gegenwart spannt. Dabei nutzt er die durch die Jahrhunderte wandelnde Faust-Figur gekonnt als Bezugspunkt subjektiver Realitätsbewältigung. Ein hochkarätig besetztes Ensemble rezitiert, spricht, murmelt dabei Textmaterial, umweht von einem assoziativen Bilderwind, den Fritsch als Bilderzauberer auf vielen Reisen mit Digitalkameras entfesselte und später zu purer kinematografischer Lyrik montierte. Bis jetzt sind so drei 180-Minuten-Filmgedichte entstanden, die von ARD-alpha jeweils zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden und bei der Filmedition Suhrkamp erhältlich sind. Alleine die Tonspur wäre mit den kunstvoll in Musik aller Genres eingebetteten Texten ein Erlebnis (➝ Instagram), entfaltet aber durch das Bildmaterial einen zusätzlichen Sog, der immer tiefer in den Gedanken- und Wahrnehmungskosmos dieses großen Erzählers hineinzieht. Marc Ottiker
G
Goethe Erfunden hat Goethe die Faust-Figur nicht. Auch nicht die Geschichte des Gelehrten, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht. Das „Volksbuch“ Historia von D. Johann Fausten von 1587 bündelte Legenden und Gerüchte, die sich um den „echten“ Faust, einen Alchemisten und Wunderheiler rankten, der um 1500 lebte.
Christopher Marlowes The Tragical History of the Life and Death of Doctor Faustus, das 1589 uraufgeführt wurde, ist eine frühe literarische Bearbeitung des Faust-Stoffes. Sie hat Goethe bei seiner fast 60-jährigen Beschäftigung mit dem Thema inspiriert, ebenso wie die Hinrichtung einer Kindsmörderin, der er wahrscheinlich beigewohnt hat. Die Idee zum Stück könnte dem jungen Goethe durch ein Puppenspiel gekommen sein. Ein bisschen Budenzauber kam auch zum Tragen, als Szenen aus dem „Faust“ zum ersten Mal auf die Bühne gebracht wurden. Am 24. Mai 1819 sah ein ausgewähltes Publikum die Studierzimmer-Szenen aus Faust 1 auf Schloss Monbijou in Berlin. Der Erdgeist, der Faust erscheint, wurde mit einer Laterna magica projiziert. Ein Goethekopf! Man sagt, der Dichter sei geschmeichelt gewesen. Mladen Gladić
H
Hörspiel Bruno Ganz hat ihm den Iffland-Ring vermacht und ihn so zum wichtigsten deutschen Bühnenschauspieler geadelt. Jetzt hat Jens Harzer auch Klaus Manns 1936 im Exil erschienenen „Mephisto“ eingesprochen (Tacheles/Roof Music). Die Geschichte Hendrik Höfgens, dessen Figur dem Mann-Schwager, Mephisto-Darsteller und ➝ Staatsrat Gustaf Gründgens nachempfunden ist, wird hier zu einer auch akustisch beklemmenden, dichten Beschreibung des Mitläufertums der Nazizeit. Das ist lehrreich und absolut hörenswert! Christina Borkenhagen
I
Instagram Den Deutschen Pavillon auf der Biennale zu bespielen, stellt jeden Künstler vor eine Herausforderung. Bei Anne Imhofs „Faust“ zogen sich Glasböden durch das von den Nazis umgestaltete Gebäude. Junge Hipster schufen unter oder auf den Glasflächen ein bewegtes Bild, tauschten Blicke, kämpften, tanzten. Macht und Ohnmacht, Willkür und Gewalt, Widerstand und Freiheit waren Themen der vierstündigen Performance. „Fast zwanghaft versuchen die Besucher das, was sie da sehen, mit der Kamera zu bannen, die Intensität, die manche von ihnen zum Weinen bringt, auf ihren Geräten zu speichern“, schrieb Kunstkritikerin Silke Hohmann: „Was da entsteht, ist tatsächlich so etwas wie ein faustischer Moment.“ Sarah Alberti
K
Krautrock 1970 war das Jahr, als sich Werner „Zappi“ Diermaier, Hans Joachim Irmler, Jean-Hervé Péron, Rudolf Sosna, Gunther Wüsthoff und Arnulf Meifert in Hamburg zu Faust zusammenschlossen. Der erste Auftritt datiert ein Jahr später: ein denkwürdiges Happening voller technischer Probleme, welches das erste Faust-Gründungsmitglied, Arnulf Meifert, die Band sofort verlassen ließ. Die aber gibt es noch heute. In immer neuen Besetzungen feilt die Band noch immer – 2017 erschien das letzte Album fresh air – an einem experimentellen Sound, der im Ausland, vor allem in den USA und England, immer mehr zählte als in Deutschland. „Krautrock“ war der Begriff dafür – und neben Can und Neu! gelten Faust als die wichtigste Band eines Genres, das Postrocker genauso feiern wie Sonic-Youth-Fans. Faust ist eine Band für Spezialisten, denen Sound alles, der Song hingegen nicht so wichtig ist (➝ Metal). Brian Eno war Fan, David Bowie natürlich auch. Obskurer klang Musik aus Deutschland ganz selten. Marc Peschke
M
Metal Der Pakt mit dem Teufel macht den Faust-Stoff hochinteressant für die Metal-Kultur. Eine italienische Death-Metal-Band nennt sich nicht nur Faust, sondern besingt auch gleich die Walpurgisnacht und beschwört gitarrenschwer Dämonen. Die Encyclopaedia Metallum listet fünf weitere Bands gleichen Namens auf. Zudem gibt es Dr. Faust, Hysteria de Faust und Faust in Memory. Die Engländer Akercocke haben ein Tête-à-Tête mit Gretchen vertont. Aus der Ich-Perspektive berichtet Faust hierin von der Anziehungskraft, die die junge Frau auf ihn ausübt (➝ Goethe). Dr. Fausten (Und der höllische Anleihe) heißt eine Platte der italienischen Melodic-Deathler von Graves of Nosgoth: Sie ist dem Faust-Pakt und Mephistos Tun gewidmet. Das ist alles spielerisch-poetisch, nur eben härter als in den Popcharts.
Auf widerliche Weise wurde Faust zum Metal-Thema in der Person von Bård Guldvik Eithun, der sich Faust nannte. Der norwegische Black-Metal-Drummer tötete einen Homosexuellen mit 37 Messerstichen. Tobias Prüwer
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Pflaumen „Ew. Excellenz bitte ich mir das Glück zu gewähren einige Minuten vor Ihnen zu stehen“, schreibt Heinrich Heine 1824 an Goethe. Heine schwärmt von ihm, hat ihm Gedichte geschickt. Jetzt ist Heine in Weimar. Und Goethe ist gnädig. Heines Bruder Maximilian: „Die Unterhaltung, wenn auch nicht gerade über das Wetter, bewegte sich auf sehr gewöhnlichem Boden, selbst über die Pappelallee zwischen Jena und Weimar wurde gesprochen. Da richtete Goethe plötzlich die Frage an Heine: ,Womit beschäftigen Sie sich jetzt?‘ Rasch antwortete der junge Dichter: ,Mit einem Faust.‘ Goethe, dessen zweiter Teil des Faust noch nicht erschienen war, stutzte ein wenig und fragte in spitzem Ton: ,Haben Sie weiter keine Geschäfte in Weimar, Herr Heine?‘ Heine erwiderte schnell: ,Mit meinem Fuß über die Schwelle Ew. Excellenz sind alle meine Geschäfte in Weimar beendet‘, und empfahl sich.“ Heine selbst schreibt später ironisch: „Ich war nahe daran, ihn griechisch anzureden; da ich aber merkte, daß er deutsch verstand, erzählte ich ihm auf deutsch, daß die Pflaumen auf dem Wege zwischen Jena und Weimar sehr gut schmeckten. Ich habe in so manchen Winternächten darüber nachgedacht, wieviel Erhabenes und Tiefsinniges ich dem Goethe sagen würde, wenn ich ihn mal sähe. Und als ich ihn endlich sah, sagte ich ihm‚ dass die sächsischen Pflaumen sehr gut schmeckten. Und Goethe lächelte.“ 1851 erscheint übrigens als eine von Heines letzten Arbeiten Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem. Behrang Samsami
S
Staatsrat Es war die Rolle seines Lebens und die erste, die Gustaf Gründgens 1932 am Preußischen Staatstheater in Berlin spielte. Sein oberster Dienstherr dort wurde bald Hermann Göring, der ihn in seinen rein dekorativen „Staatsrat“ berief. Auf der Bühne Mephistopheles, im Leben Faust. Der Verführer als Verführter?
Helmut Lethen hat ihn als maskenbesessenen Neurotiker gezeichnet, der nach einem Verriss seines Hamlet im Völkischen Beobachter in die Schweiz flieht und sich von Göring zur Rückkehr überreden lässt – mit seiner Protektion als Lebensversicherung, für einen bekannten Homosexuellen unbezahlbar.
Den Dänenprinzen habe er nicht als Zauderer gespielt, sondern ihm den „gleißenden Hohn eines Höllenfürsten“ verliehen. Auch Klaus Mann lässt in Mephisto (➝ Hörspiel) den Staatsschauspieler Hendrik Höfgen beteuern: „Hamlet ist kein Schwächling.“ In der nationalsozialistischen Kulturpolitik ging es eben auch um die Frage, welches nun das eigentlich „germanische“ Drama sei. Joe Paul Kroll
Z
Zwist In Doktor Faustus (1947) erscheint Mephistopheles als „Theoretiker und Kritiker, der selbst komponiert, soweit eben das Denken es ihm erlaubt“. Thomas Manns zarter Spott gilt Adorno, der ihn musikalisch beriet. Arnold Schönberg, dessen Technik dem syphilitischen Genie Adrian Leverkühn eingeflüstert und so mit dem deutschen Verhängnis verknüpft wird, war nicht amüsiert. Das „apokalyptische Oratorium“ Doktor Fausti Weheklag hat zum Leitthema den Satz: „denn ich sterbe als ein böser und guter Christ“, zwölf Silben, die den zwölf Tönen der chromatischen Skala entsprechen. Schönberg war kaum zu besänftigen, habe man doch aus Renommiersucht seine Ideen zu „Gulasch“ gemacht. Joe Paul Kroll
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