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A–Z Ohne sie gäbe es keine Post-Its, wäre die Wende vermutlich anders verlaufen und hätten „Star Wars“-Fans weniger zu lachen. Unser Lexikon
Ausgabe 51/2016
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Montage: der Freitag; Material: NASA, jgroup/iStock

A

Alberner Kitt Während des Zweiten Weltkrieges suchten US-amerikanische Forscher nach einem synthetischen Ersatz für Kautschuk, der aufgrund der japanischen Eroberungen im Pazifik immer knapper wurde. Herausgekommen ist dabei „Silly Putty“ („alberner Kitt“), eine nicht-newtonsche Flüssigkeit, die langsam zerfließt, sich aber bei starker Krafteinwirkung verhärtet und wie ein Flummi springt, wenn man sie zum Beispiel gegen eine Wand wirft.

Anfangen konnte man damit zunächst leider nur sehr wenig, Silly Putty wurde lediglich als Spielzeug vermarktet. In Deutschland ist das Material als „intelligente Knete“ erhältlich, obwohl es nicht sonderlich klüger als normale Knete ist. Erst 2014, also rund 70 Jahre nachseiner Erfindung, fanden wiederum amerikanische Forscher eine sinnvolle Verwendung für Silly Putty: Es vermag die Energiedichte (➝ Viagra) und Lebensdauer von Lithium-Ionen-Batterien zu erhöhen. Uwe Buckesfeld

C

Cola John Pemberton, ein Apotheker aus Atlanta, hatte schon länger an einem Sirup geforscht, der Kopfschmerzen und Müdigkeit (➝ Sichelzellenanämie) vertreibt. Am 8. Mai 1886 mixte er schließlich eine Rezeptur, die als Zutaten auch Kokablatt und Kolanuss enthielt. Zu diesen Zeitpunkt ahnte Pemberton noch nicht, dass er den Grundstein für eine Weltmarke gelegt hatte: Coca-Cola. Zunächst war der Sirup ziemlich ungenießbar, weshalb man ihn in „Jacob’s Pharmacy“, wo er von Anfang an verkauft wurde, mit Leitungswasser verdünnte. Pembertons Helfer mixte den Sirup dann einmal zufällig mit Sodawasser – und fertig war ein Erfrischungsgetränk, das in sogenannten Sodabars schnell Absatz fand. Den Namen der Brause prägte Pembertons Buchhalter Frank Robinson, der das in Schönschrift geschriebene „Coca-Cola“ für gut vermarktbar hielt. Anna Brazhnikova

E

Ed Wood Es ist nicht schwierig, einen schlechten Film zu drehen. Die Kunst ist, einen Film zu machen, der so wahnsinnig schlecht ist, dass er Kult wird. Edward „Ed“ D. Wood war der König dieser Disziplin. Was dem Regisseur an Talent und Geld mangelte, kompensierte er durch Enthusiasmus, Alkohol und Größenwahn. Sein „Meisterwerk“ schuf er 1951 mit Plan 9 aus dem Weltall: Tag- und Nachtszenen wechseln sich willkürlich ab, die UFOs hängen offensichtlich an Fäden, Grabsteine fallen um, wenn ein Schauspieler sie streift.

Als Woods Hauptattraktion, der abgehalfterte und drogenabhängige Ex-Dracula-Darsteller Bela Lugosi kurz vor Drehbeginn stirbt, schnitt er kurzerhand übrig gebliebene Aufnahmen Lugosis in den Film und ersetzte ihn in den restlichen Szenen durch den unbeholfenen Chiropraktiker seiner Ehefrau. Trotz oder gerade wegen seiner zweifelhaften Qualität gilt Plan 9 inzwischen als Kultfilm (➝ Stormtrooper), und Ed Wood als Trash-Ikone. 1994 kam mit Ed Wood sogar ein Biopic von Tim Burton heraus. Wood wird darin von keinem Geringeren als Johnny Depp verkörpert. Simon Schaffhöfer

G

Grenze „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich.“ Es ist einer der berühmtesten Sätze deutscher Geschichte (➝ Luther). Und die meisten haben sofort Günter Schabowski vor Augen, wie er am Abend des 9. November 1989 bei einer Pressekonferenz Rede und Antwort stammelt. Schabowski hatte eigentlich die Öffnung der innerdeutschen Grenzübergänge für den kommenden Tag bekannt geben sollen. Stattdessen ließ er die Reisefreiheit sofort in Kraft treten, von der festgelegten Sperrfrist wusste er nichts. So erreichte der Ansturm die Grenzbeamten völlig unvorbereitet. Die berühmten Bilder des „Mauerfalls“ wären ohne diesen Versprecher so wohl nie entstanden. Benjamin Knödler

K

Kartoffelchips Im Jahr 1853, so die Legende, hatte sich der launische Railroad-Tycoon Cornelius Vanderbilt in einem Restaurant (Cola) in Saragota Springs wiederholt über die zu dicken Bratkartoffeln beschwert. Als diese schließlich so dünn wurden, dass sie sich nicht mehr mit der Gabel essen ließen, beschwerte Vanderbilt sich zunächst, dass das nun wiederum zu viel des Guten sei. Doch zur Überraschung des Kochs George Crum änderte er nach ein paar Bissen seine Meinung und war begeistert. Andere Gäste verlangten nun auch nach Crums Kreation, sodass diese bald als „Saragota Chips“ in die Speisekarte aufgenommen wurden. Die Kartoffelchips waren geboren. Anna Brazhnikova

L

Luther Dass das „Glas mit Salben“ in Wahrheit ein „Alabastergefäß“ war, kann man Martin Luther durchgehen lassen. Hauptsache, die Sünderin hat darin Öl aufbewahrt. Auch wenn der Reformator ein akribischer Philologe war, sind manche seiner Übersetzungsfehler (➝ Zitat) bis heute Allgemeingut. In der Bibel ist etwa nirgends vom Biss in einen Apfel die Rede, dort liest man nur über die „Frucht vom Baum der Erkenntnis“. Und das Paradies war ursprünglich ein eingehegter Ort in der Wüste Eden. Luther erst machte daraus den sprichwörtlichen Garten.

Zudem soll ihm der oft zitierte Satz nie über die Lippen gekommen sein: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Und so historisch unwahrscheinlich sein Thesenanschlag sein mag, mit Gewissheit ist Luthers kolportiertes Stoßgebet vorm Kaiser in Worms Erfindung: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ Tobias Prüwer

N

Neoliberalismus „Erfolg haben heißt, einmal mehr aufstehen, als man hingefallen ist“, soll Winston Churchill gesagt haben. Seit dem Siegeszug des Neoliberalismus haben solche Mutmachsprüche Hochkonjunktur. Scheitern als Chance und Wachstum durch Krise, jedem Bankrott wohnt ein Anfang inne: Die neoliberale Anrufung popularisiert selbst Totalversagen noch zur kapitalistischen Mobilmachung. Ein ganzer Zweig von Wirtschaftsberatern und Motivationstrainern dient sich dem gestrauchelten unternehmerischen Selbst als Aufstehhelfer an.

Längst hat auch die Rede von der „Fehlerkultur“ Einzug ins Business (➝ Kartoffelchips) gehalten. Nachsicht mit menschlichen Schwächen bei Mitarbeitern ist damit allerdings weniger gemeint. Klar, ein bisschen soll der Druck auf die Angestellten vermindert und ein Wohlfühlklima erzeugt werden. Meist endet die Fehlerkultur aber im Fehlermanagement: Hier werden Routinen erstellt, die Fehler ausschließen und eben doch ahnden. Oder man baut den Faktor Mensch gleich aus, denn „Irren ist menschlich“. Nice try. Tobias Prüwer

P

Post-It 1968 widmete sich der Chemiker Spencer Silver einem neuen Superleim – heraus kam aber nur eine klebrige Masse (Alberner Kitt), die sich leicht wieder entfernen ließ. Eine daraus entwickelte Pinnwand ohne Pinns floppte. Erst Art Fry, ein Kollege Spencers, erinnerte sich als Mitglied im Kirchenchor an die Masse, die aufgetragen auf Zettel die perfekte Alternative für aus den Notenheften flatternde Lesezeichen war. Jederzeit entfernbar, bietet die Haftnotiz seither Raum für spontane Einfälle, Passwörter und die wirklich wichtigen To-dos. In Sex and the City beendete ein Herr sogar mal die Beziehung zu Carrie auf den gelben 76 mal 76 Millimetern. Sarah Alberti

S

Sichelzellenanämie Lapidar gesprochen verfährt die Evolution nach dem Trial-and-Error-Prinzip: Was sich bewährt, bleibt. So wie die Sichelzellenanämie. Die Erbkrankheit tritt vor allem in Afrika auf und wird durch eine Mutation im Hämoglobin verursacht: Aufgrund der Veränderung zur Sichelform wird der Sauerstofftransport im Blut behindert. Die Belastungsgrenze der Betroffenen wird dadurch vermindert. Zudem können durch Gefäßverstopfung Gelenkschwellungen, Herzfehler und andere Organschäden auftreten. Allerdings schützt der Gendefekt vor Malaria. Deren Erreger werden zusammen mit den Sichelzellen aus dem Blut gespült – ein klarer evolutionärer Vorteil in Verbreitungsgebieten (➝ Grenze). Auch die Laktosetoleranz ist eine stammesgeschichtlich junge Anpassung, aber praktisch. Wer Milchzucker verträgt, kann sich das Studieren von Inhaltsstoffen sparen – und muss nicht fürchten, mit jenen in einen Topf geworfen zu werden, die Laktoseintoleranz nur als hippen Distinktionsgewinn sehen. Tobias Prüwer

Stormtrooper Star-Wars-Fans kennen und lieben jene Szene in Krieg der Sterne (1977), in der sich ein Stormtrooper seinen Kopf am Türrahmen stößt. Bis heute weiß niemand mit Sicherheit, wer der Schauspieler in dem Kostüm war. Aber die bloße Tatsache, dass es der Take in den Film (Ed Wood) schaffte, reichte, um den „Head Bump“ zum Insiderwitz der Saga zu machen. Auch Star-Wars-Erfinder George Lucas huldigte der tollpatschigen Sturmtruppe: In Angriff der Klonkrieger (2002) stößt sich Jango Fett ebenfalls den Kopf an der Tür. Und als wäre das noch nicht genug, gibt seit 2004 ein nachträglich eingefügtes, völlig überzeichnetes „Klonk“-Geräusch den Stormtrooper der imperialen Lächerlichkeit preis. Simon Schaffhöfer

V

Viagra Gemeinhin erfreuen sich unerwartete Erektionen nicht gerade größter Beliebtheit. Aber es kommt eben immer auf die Umstände an. Die waren im Jahr 1992 wohl recht günstig. Damals wollten ein paar beseelte britische Forscher ein Mittel gegen eine Herzerkrankung entwickeln und experimentierten mit dem Wirkstoff Sildenafil. Es lief wohl nicht alles nach Plan ( Post-It), denn bei ihren Versuchen sahen sich die Wissenschaftler plötzlich Probanden gegenüber, die eine veritable Erektion vorwiesen.

Manchen mag dieser Fehler in der Medikamentenentwicklung ernüchternd erscheinen, doch auch nach gesteigerter Potenz sehnen sich viele. Angeblich wollten einige überaus glückliche Probanden das Mittel gar nicht mehr zurückgeben und Unbekannte brachen in ein Sildenafil-Labor ein. 1998 brachte das Pharmaunternehmen Pfizer schließlich Viagra auf den Markt. Bis heute ist es das prominente Flaggschiff unter den Potenzmitteln. Eine wahre Goldgrube für Pfizer und obendrein Inhalt tausender Spam-Mails. Benjamin Knödler

Z

Zitat „Schau mir in die Augen, Kleines!“ Was hierzulande als eines der populärsten Zitate der Filmgeschichte (➝ Ed Wood) gilt, ist ein Übersetzungsfehler. In die Augen mag Humphrey Bogart seiner Ingrid Bergmann zwar geschaut haben, gesagt hat er es im Original aber nie. Casablanca gilt als die filmische Romanze schlechthin. Neben der Liebe hat der Streifen aber noch einen weiteren Star: Alkohol. Denn in Casablanca wird viel getrunken.

„Here’s looking at you, kid“, sagt Bogart im Original. Ein schnöder Trinkspruch, der eher ans Glas denn an die Liebe appelliert. Zustande kam der „Fehler“ wohl durch das früher übliche Übersetzungsprozedere. Eine erste Wort-für-Wort-Übersetzung („Hier ist anschauen an dich, Kind“) wurde in einem zweiten Schritt in verständliches Deutsch gebracht – und bescherte uns damit einen (deutschen) Klassiker. Daniel Böldt

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