Fehlerhafte Gesellschaft

Aufbau-Verlag Das Drama um den Aufbau-Verlag ist eine Spätfolge der verfehlten Einheits-Politik

Treuhand. Kaum jemand wird sich noch daran erinnern, dass ein Roman von Günter Grass einmal diesen Arbeitstitel trug. Denn darum ging es in Ein weites Feld. Lange hat man dem Nobelpreisträger die literarisch verkleidete Attacke auf die Zentralagentur von Helmut Kohls Einheitspolitik übel genommen. Jetzt scheint die Realität den damals als ihr Zerrbild geschmähten Stoff zu übertreffen. Denn das bizarre Drama um den Aufbau-Verlag dieser Tage bestätigt genau das, was Grass in einem Werkstattgespräch über seinen umstrittenen Roman 1998 zu Protokoll gegeben hatte. "Man möge bitte heute mit Abstand prüfen, das, was ich dort über die ›Treuhand‹ geschrieben habe - ich fürchte, dass diese kriminelle Vereinigung namens ›Treuhand‹ mehr Schaden angerichtet hat, als ich geahnt habe und ahnend aufgeschrieben habe, als das Ganze anfing."

Zieht man den Ton prophetischer Selbstgefälligkeit einmal ab - Recht hat er. Wie anders soll man es bezeichnen, dass die so genannte "Treuhand" im Zuge der DDR-Abwicklung dem Frankfurter Investor Bernd F. Lunkewitz 1991 einen Verlag verkaufte, der gar kein "Volkseigentum" war, sondern Eigentum des Kulturbundes der DDR - dem übrigens auch der Freitag-Vorgänger Sonntag gehörte. Sehr genau hat man es in der Behörde mit Recht und Gesetz offenbar nicht genommen. Noch als der Fehler ruchbar wurde, versuchte man, ihn mit Gefälligkeitsgutachten zu vertuschen.

Aufbau war übrigens kein Einzelfall. So musste 1993 der Rudolstädter Greifenverlag aufgeben, einer der führenden Literaturverlage der DDR, der sich in den fünfziger Jahren mit Werken linker Autoren aus der Weimarer Republik, aus der Exil- und Weltliteratur einen Namen gemacht hatte. Die Treuhand war unseriösen "Sanierern" auf den Leim gegangen. Ihr Dogma war ihr wichtiger als die geistige Substanz, um die es ging. Und dieses Dogma lautete: Privatisierung um jeden Preis. So ist nichts ist geblieben von der ansehnlichen Verlagslandschaft der DDR. Außer Aufbau.

Der Schaden lässt sich heute besichtigen: Verlust an geistiger Substanz. Denn auch wenn es so aussieht, dass der Verlag, der inzwischen Insolvenz anmelden musste, weitergeführt werden kann. Jetzt wird ein Kampf um die Rechte einsetzen, die der aus Angst vor Schadenersatzforderungen von Lizenznehmern getürmte Verleger in dem Besitz seines - 1995 sicherheitshalber zum zweiten Mal gekauften - Verlages wähnt, der nur ihm allein gehört. Das einzigartige kulturelle Erbe des "Suhrkamp des Ostens" droht zwischen zwei Häusern zu zersplittern. Den Aufbau-Verlag, den wir kennen, gibt es nicht mehr.

Dass Ex-Treuhand-Chefin Birgit Breuel, der Günter Grass in seinem Buch Mein Jahrhundert ein boshaftes Porträt gewidmet hat, kein Wort der Selbstkritik über die Sanierungsschäden ihrer Truppe über die Lippen kommen würde, war zu erwarten. Dass Peer Steinbrücks Finanzministerium, dem einst die Treuhand unterstand, an dem "Verkauf" nachträglich nichts Falsches finden kann, ist zwar skandalös, aber auch nicht wirklich überraschend. Hier hat niemand Interesse an einer Grundsatzdiskussion um die verfehlte Privatisierungspolitik nach der Wende.

Dass der Ex-Verleger Lunkewitz nun aber genauso hemdsärmelig vorgeht, wie die von ihm geschmähten Behörden, das macht den Schaden nicht geringer. Der Rachefeldzug gegen die untote Treuhand ist ihm wichtiger, als seinen durchaus lebensfähigen Verlag über die Klippen jener Scheinexistenz zu helfen, die im Juristendeutsch so schillernd wie paradigmatisch "fehlerhafte Gesellschaft" heißt. Er habe immer im Zentrum des intellektuellen Lebens stehen wollen, hatte Lunkewitz einst als Motiv für den Kauf angegeben. Nun steht er wieder in dem Ruf des gerissenen Investmenthais, von dem er sich - trotz aller verlegerischen Leistungen - nie so recht befreien konnte. Eine "Treuhand" des intellektuellen Erbes, die diesen Namen auch verdient, stellt man sich dann doch anders vor.

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