Feigenblatt

SPD-PARTEITAG Dietmar Bartsch, PDS

FREITAG: Schröder hat die SPD hinter sich versammelt, die Partei-Linke spricht von Annäherung. Die PDS will sich bis 2002 koalitionsfähig machen, lohnt das Putzen noch

DIETMAR BARTSCH: Die PDS führt ihre programmatische Diskussion nicht mit dem Ziel der Koalitionsfähigkeit, sondern um eigene Identität und programmatische Substanz zu gewinnen. Klar ist, dass wir in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern Mitte-Links-Optionen anstreben, klar ist aber auch, dass die Sozialdemokratie dazu zur Zeit wenig in der Lage ist. Die weitere Entsozialdemokratisierung der SPD wurde auf dem Parteitag auch dadurch sichtbar, dass schwerwiegende Probleme dieser Gesellschaft, zum Beispiel die gestiegene Zahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, so wenig eine Rolle spielte, wie die Tatsache, dass die Zahl der Vermögensmillionäre steigt. Es gibt keine personelle Erneuerung, Scharping ist der jüngste... Dennoch: Wenn die SPD den Kompromiss nicht in Richtung CDU, sondern Mitte-Links sucht, müssen wir selbstverständlich zur Zusammenarbeit bereit sein. Dazu gehört Klarheit der eigenen Positionen und Zuverlässigkeit in der Politik. Entscheidend ist aber, dass es gesellschaftlichen Druck für eine solche Perspektive gibt.

Die Debatte der SPD-Linken um die Vermögensteuer ist ausgebremst ...

Ich habe sowieso das Gefühl, dass sie eine Art Feigenblatt darstellt. Frau Hildebrand zum Beispiel wird auf dem Parteitag vorgezeigt, eine Linke - die Schau läuft -, aber in der realen Politik soll sie keine Rolle spielen. Das mit der Neuen Mitte ist in jeder Hinsicht ernst gemeint. Ideen, die über den jetzigen Rahmen hinausgehen, die aus der Neoliberalisierungslogik ausbrechen, sind nicht mehr up to date. Wer sich allerdings vollständig der Sachzwanglogik unterwirft, kann Gesellschaft nicht nach vorne entwickeln. Wir wollen noch über die derzeitige Gesellschaft auf demokratische Weise wirken, Veränderungen vollziehen, im Land, in Europa und in der Welt.

In welche Richtung?

Klar in Richtung mehr soziale Gerechtigkeit, hin zu einer zivilen Gesellschaft. Ich will das an einem symbolischen Beispiel festmachen. Im Wahlkampf 1998 wurde von der SPD gesagt, wir werden das, was die Kohl-Regierung auf dem Rentengebiet verbrochen hat, zurücknehmen und über eine Vermögensteuer, zumindest eine private, nachdenken. Das Gegenteil ist der Fall. Ich übersehe nicht, dass diese Regierung auch Positives geleistet hat: Kindergelderhöhung, Senkung des Eingangssteuersatzes, Schließung einiger Steuerschlupflöcher ... Umverteilung von oben nach unten aber wird nicht thematisiert, ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit spielt kaum eine Rolle. Ich will ein zweites Thema nennen, das der Friedenspolitik. Für mich ist unverzeihlich, dass eine sozialdemokratisch geführte Regierung, und der SPD-Parteitag hat es nicht einmal erwähnt, wieder einen Krieg geführt hat. Der Beschluss zu den Panzerexporten ist ein kleiner Lichtblick. Und noch etwas: für die Angleichung der Lebensverhältnisse Ost-West ist bislang von der Regierung faktisch nichts getan worden.

Reinhard Höppner versichert, die Ostförderung bliebe stabil.

Wenn man sich den Eichel-Streichhaushalt ansieht, sind für den Osten Kürzungen auf vielen Gebieten vorgesehen. Für mich ist die Frage der besonderen Verantwortung für die ostdeutschen Länder aber keine nur fiskalische. Sie müssen in die Lage versetzt werden, eigenverantwortlich zu handeln, besonders auch die Kommunen. Auf jeden Fall kollidieren die verkündeten Kürzungen mit dem Schröder-Spruch von der Chefsache Ost.

Herr Müntefering will die kontroversen Diskussionen künftig hinter der Tür führen, die PDS will mit ihrer Programmdiskussion forciert in die Öffentlichkeit. Wird es am Schluss so sein, dass die SPD als geschlossene, die PDS als zerstrittene Partei erscheint?

Es geht uns darum, einen mehrheitlichen Willen zu demokratischen Veränderungen in der Gesellschaft zu erzeugen. Das ist nicht grundsätzlich neu, wir haben das auch in den letzten zehn Jahren schon versucht. Aber es zwingt uns, mehr in die Gesellschaft hinein zu wirken. Deswegen müssen wir den Dialog problembewusst und öffentlich führen. Wenn die SPD das anders machen will, ist das deren Problem. Wir wollen unsere Partei fit machen für das neue Jahrhundert. Den Wunsch nach Ruhe mögen Generalsekretäre manchmal haben, die lebendige Diskussion, das Ringen um Positionen, ist Parteien bekömmlicher, und die PDS hat das ganz gut hingekriegt. Eine Partei, die nicht debattiert, entscheidet und handelt, bewegt sich nicht und hat verloren.

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