Feindbild Vorurteilsforschung

Kulturkommentar Fragliche Deutungshoheit in Sachen Antisemitismus - Zum Streit um die Nachfolge von Wolfgang Benz

Das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung genießt einen hervorragenden Ruf. Nur ganz wenigen deutschen Hochschuleinrichtungen ist es gelungen, sich international ein solches Renommé zu erarbeiten. Doch nun, kurz vor seiner Emeritierung, kommt plötzlich heraus, dass der langjährige Leiter Wolfgang Benz ein schlimmer Finger ist. Das zumindest will ein Autoren-Kollektiv vermitteln, das mit großem Engagement eine Enthüllung nach der anderen über den 68-jährigen Historiker raushaut. Kaum wurde der Öffentlichkeit demonstriert, dass Benz an seinem Institut den Antisemitismus mit der Kritik am Islam gleichsetzt und den Holocaust trivialisiert, wurde auch schon bewiesen, dass der Forscher selbst Antisemit ist. Der 68-Jährige ignoriert die Vergangenheit seines toten Nazi-Doktorvaters. Wissenschaftler, die Benz kritisieren, ließ er mundtot machen. Wen kann es da noch wundern, dass er mit Taschenspielertricks das Berufungs­verfahren zu seiner Nachfolge manipuliert, wie nun bekannt wurde.

Wenn es denn stimmte. Tatsächlich aber sind publizistische Winkeladvokaten am Werk. Bruchstückhafte Informationen werden so zugerichtet, dass am Ende der „Beweisführung“ das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die Protagonisten des seltsamen Tribunals sind engagierte Privatforscher wie der Berufsschullehrer Mathias Küntzel und der Post-Doktorand Clemens Heni, die es geschafft haben, in vorwiegend rechten Zirkeln so etwas wie wissenschaftliche Reputation zu erwerben.

Feindbild Moslem

Journalistisch heizt Benz’ ehemaliger Doktorand Benjamin Weinthal die Gerüchteküche an. Was den brillanten Polemiker Henryk Broder treibt, diese unausgegorenen Konstrukte zu fördern, ist auf den ersten Blick rätselhaft. Mit Weinthal gemeinsam verfasste Artikel lancierte er ebenso beim Spiegel wie jetzt die etwas unvollständigen Recherchen von Matthias Küntzel zum an der TU Berlin anhängigen Berufungsverfahren. Hätte Küntzel an der TU die richtigen Fragen gestellt, wäre ihm seine schöne Hypothese von der inszenierten Benz-Nachfolge wie ein Kartenhaus zusammen gebrochen.

Aber vielleicht ist der Furor ja doch nicht so rätselhaft. Tatsächlich geht es um die Deutungshoheit in Sachen Antisemitismus. Küntzel und Broder wollen der Öffentlichkeit klar machen, wie skandalös Benz „Treiben“ sei. Die Tagung „Feindbild Moslem – Feindbild Jude“ war das Sakrileg: Es wurde die ungeheuerliche Frage gestellt, wann Kritik am Islam in Islamophobie umschlägt! Dass überhaupt dieser Kampfbegriff des radikalen Islam verwendet wurde! Das Zentrum für Antisemitismusforschung soll den Antisemitismus erforschen – und Punkt. Die Vorurteils- und Paradigmenforschung seien überhaupt nicht Aufgabe des Zentrums. Dass während der Tagung auch antisemitische Feindbilder von Muslimen Gegenstand der Betrachtungen waren, blenden die Kritiker einfach aus.

Die Forscher vom Zentrum und ihre Verteidiger können noch so häufig darauf hinweisen, dass vergleichen nicht gleichsetzen bedeutet und dass der Vergleich zweier Phänomene nicht nur dem Herausarbeiten von Parallelen dient, sondern auch von Unterschieden. Ihre Argumente werden mit schlichten Denkverbote gekontert. In ihrer Bereitschaft, alles auszublenden, was der Bestätigung einmal vorgefasster Meinungen zuwiderlaufen könnte, schaffen die „Dissidenten“ (so spricht Küntzel über sich selbst) und die Strukturen, in denen sie wirken, prachtvolles Anschauungsmaterial – für die vergleichende Vorurteilsforschung.




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