Feinde

Was ist Identität? Ein israelisch-palästinensisches Autorentreffen in Mainz

Ratlosigkeit herrscht im Nahen Osten, ein Krieg scheint nicht fern. Und da wollen die Dichter ein Zeichen setzen? Es war in der Tat nicht leicht, so Hans-Georg Meyer von der Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz, in den Zeiten der emotionalen Verhärtung israelische und palästinensische Schriftsteller zu bewegen, ihren 1994 in Deutschland begonnenen Dialog wieder aufzunehmen. Schließlich aber kamen sie doch, um miteinander über das Thema »Identitäten und die Freiheit des Wortes« zu diskutieren.

Auch deutsche Schriftsteller waren eingeladen, unter ihnen Hilde Domin, Hans Christoph-Buch und Peter Härtling. Aber wie bei den vorangegangenen Treffen im Kibbuz Givat Haviva, in Speyer oder in Jericho reduzierte sich ihre Mitwirkung auf die Rolle des Zuhörers. Der Holocaust als Katalysator für die Gründung des Staates Israel und sein existenzieller Einfluss auf die jüdische Identitätsfindung: er wurde ohnehin kaum mehr thematisiert, sondern vorausgesetzt. Wichtig war allein die Kommunikation zwischen den israelischen und palästinensischen Autoren, über deren Zustandekommen in der Landeszentrale in Mainz man sich nur wundern konnte, nachdem sich selbst »Friedenskämpfer« wie Yoram Kaniuk oder David Grossmann zuvor nur noch in Resignation geübt hatten.

Das Medieninteresse war denn auch entsprechend hoch. Die Kameras surrten, die Mikrophone hatten Bataillonstärke, wer weiß, was die Journalisten erwarteten, Tätlichkeiten gar. Romanciers, Poeten und Essayisten aber gehen einander nicht an die Gurgel. Allenfalls der Ausdruck von Ahmad Harb, »dass er fast explodiert« sei bei der unwürdigen Behandlung durch israelische Grenzkontrollen, löste bei Schriftstellern wie Lea Fleischmann oder Asher Reich Assoziationen an die Sprengstoffattentate aus und führte zu heftigen Reaktionen. Wie überhaupt die mühselige Klärung der sprachlichen Minenfelder es immer wieder erschwerte, sich mit dem Tagungsthema auseinander zu setzen. Denn: Was ist Identität? Und was passiert, wenn Individuen sich entschließen, jene scheinbar überlebenswichtigen Mythen aufzugeben, die dazu beitragen, dass man sich mit seinen »Nachbarn« nicht verträgt? Dass es zumindest kurzfristig möglich sein muss, aus dem Teufelskreis eines verordneten So-Seins herauszuspringen, postulierte jedenfalls der Historiker Moshe Zimmermann gleich zu Beginn mit seiner Theorie über kollektive Identitäten als von »Gedächtnisagenturen« konstruierte Gemeinschaften. Das heißt: nicht als Palästinenser oder Israeli, als Jude oder Araber sollten sich die Schriftsteller gegenübersitzen, sondern als Menschen mit einem gemeinsamen humanistischen Auftrag.

Um Literatur ging es also nicht oft in den leidenschaftlich geführten Debatten, allenfalls Gedichte hatten Chancen, aus den Wortgefechten heil herauszukommen. »Meine Lyrik ist sehr persönlich«, sagte etwa der poetus doctus Amir Or kategorisch, »aber ich möchte, daß ihr sie politisch versteht!« So vermieden es beide Seiten tunlichst, in einen »Wettstreit des Leidens« zu treten, wenn sie über ihre jeweilige Geschichte sprachen und distanzierten sich von jedem Fanatismus. Und vor allem die vielen Gespräche am Rande ließen jene grundsätzliche Dialogbereitschaft aufschimmern, die im Nahost-Konflikt mittlerweile so nachhaltig verdorrt erscheint. Zuletzt verfassten die israelischen und palästinensischen Autoren in Abwesenheit ihrer hilflosen deutschen Kollegen sogar eine gemeinsame Resolution, nachdem die Nachricht eines neuerlichen Selbstmordattentats die Tagung erreicht hatte und deren Abbruch erwogen worden war. Darin forderten sie die Politiker auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und ermahnten die Intellektuellen beider Seiten, auf Frieden zu dringen. Zur Unterschrift konnten sich freilich dann doch nicht alle aufraffen, obgleich man zur Entschärfung der Sprachminen annähernd drei Stunden gebraucht hatte. Und die Erklärung zahm genug blieb.

Oder etwa doch nicht angesichts der Zwangsläufigkeit von Rache und Vergeltung, die derzeit im Nahen Osten herrscht? Die Sensation, auf welche die Journalisten zwei Tage gewartet hatten, bestand von Anfang an in der Tatsache des Gesprächs. Und in der Erkenntnis, wie nötig es ist, die Sprache des anderen zu lernen, um zu einem echten Dialog zu gelangen. Immerhin zwei arabische Autoren - Ghanem Mazal und Salman Marsalha - lasen ihre Texte auf Hebräisch vor: in der Sprache des »Feindes«.

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