Es war Connie Mack, der das Thema auf die Tagesordnung setzte. Vor dem US-Kongress warnte der republikanische Abgeordnete Anfang Mai zum wiederholten Mal vor "einem der größten Feinde der Freiheit in der Welt". Gemeint war Venezuelas Präsident, der nach einer "neuen sozialistischen Achse" zwischen Kuba, Venezuela und Bolivien strebe, die sich "gegen die Interessen der Vereinigten Staaten und der freien Menschen überall auf der Welt" wende.
Anlass für Macks alarmistische Prophezeiungen war ein Gipfeltreffen vom letzten Aprilwochenende in Havanna, bei dem sich Fidel Castro, Hugo Chávez und Evo Morales auf etwa 20 Handels- und Wirtschaftsabkommen geeinigt hatten. Auf Boliviens Vorschlag hin wurde vor allem der "Handelsvertrag der Völker" (TCP) und damit eine vitale Alternative gegen den US-dominierten Freihandel aus der Taufe gehoben. Kuba und Venezuela werden auf Waren aus Bolivien demnach keine Einfuhrzölle mehr erheben, Havanna kann weiterhin zu Vorzugskonditionen venezolanisches Öl beziehen. Zudem wird den Kubanern der Einsatz von mehr als 30.000 Medizinern in Venezuela vergütet.
Mit dem TCP haben sich erklärte Gegner der US-Handelspolitik südlich des Rio Bravo erstmals für das Prinzip des "solidarischen Handels" entschieden, der sich auch von tradierten Kooperationsformen wie dem MERCOSUR - dem gemeinsamen Markt Argentiniens, Uruguays, Brasiliens, Paraguays und Chiles - abhebt.
Ohne Zweifel ist der "Handelsvertrag der Völker" ein Indiz für die ökonomische Neuordnung Lateinamerikas. Unmittelbar vor dem Treffen in Havanna hatte Venezuela seinen Austritt aus der Andengemeinschaft (CAN) verkündet. Als Grund führte die Regierung in Caracas die jüngst geschlossenen Freihandelsabkommen der USA mit den bisherigen Partnern Kolumbien und Peru an. Diese Verträge widersprächen dem Geist des Anden-Bündnisses, hieß es in Caracas, insofern ergebe weitere Kooperation keinen Sinn. Einmal mehr ließ Hugo Chávez erkennen, wie sehr ihm schnelle und konsequente Entschlüsse liegen.
Die inneramerikanische Debatte ließ nicht lange auf sich warten. So versuchte das peruanische Wirtschaftsblatt El Comercio die "Sinnlosigkeit" der neuen Bündnispolitik zu belegen. Das Gesamtvolumen des Handels, den Kuba, Venezuela und Bolivien untereinander abwickelten, belaufe sich gerade einmal auf 1,05 Milliarden US-Dollar. Die Mitgliedstaaten der CAN kämen hingegen auf über neun Milliarden. Die Adressaten dieser Polemik gaben sich unbeeindruckt, in einer offiziellen Präsentation des TCP verwies Boliviens Regierung auf die Erfahrungen des neoliberalen Freihandels in Mexiko nach dessen Beitritt in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) 1994: "Obgleich Mexiko den Bedarf des Binnenmarktes mit Agrarprodukten zuvor decken konnte und landwirtschaftliche Erzeugnisse sogar exportierte, wurden im Jahr 2000 rund 40 Prozent dieser Güter importiert", heißt es in dem Dokument. Allein die Reiseinfuhren seien um 242 Prozent gestiegen. "Binnen acht Jahren sind so 1,8 Millionen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft vernichtet worden.".
Beide Positionen bezeugen, wie gegensätzlich Handelspolitik auf dem Subkontinent derzeit sein kann. Während eine Mehrheit der Staaten nach wie vor der neoliberalen Doktrin von einer Deregulierung der Märkte folgt, forcieren Kuba und Venezuela Alternativen, von denen inzwischen auch die Europäische Union nicht mehr unberührt bleibt. Das vierte Gipfeltreffen zwischen der EU, Lateinamerika und der Karibik in Wien scheiterte im April nicht zuletzt deshalb, weil Brüssel auf einer fortgesetzten Liberalisierung der Märkte beharrte. "Der Handel existiert eben nicht für die Welthandelsorganisation, sondern für die Menschen", sagte nach dem Gipfel Kubas Vizepräsident Carlos Lage. Solange sich dies in der EU nicht durchsetze, werde auch die angestrebte Allianz zwischen Europa und Lateinamerika eine Illusion bleiben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.