Während manche Kritiker den deutschen Film schönreden, ereignet sich im kleinen, in Sachen Filmförderung weit knausigeren Nachbarland so etwas wie ein österreichisches Filmwunder. Angefangen von drei Hauptpreisen des Cannes-Festivals für Michael Hanekes Klavierspielerin über den Großen Jury-Preis für Ulrich Seidls Hundstage in Venedig bis zu einer gleichen Auszeichnung für Nikolaus Geyrhalters vierstündige Dokumentation über ethnische Minderheiten auf fünf Kontinenten Elsewhere in Amsterdam und ganzen drei Preisen für österreichische Wettbewerbsbeiträge beim Saarbrücker Max-Ophüls-Festival: die Bilanz des Produktionsjahres 2001 konnte sich auf der Diagonale, der alljährlichen Werkschau des österr
ichen Werkschau des österreichischen Films in Graz, sehen lassen. Mit Jedermanns Fest von Fritz Lehner zeichnete die Jury ein gegen den Trend segelndes Werk aus, das erst kürzlich nach jahrelangen Schwierigkeiten fertiggestellt werden konnte. In den siebziger Jahren gehörte der Regisseur zu den Pionieren des Fernsehfilms und wurde auch in Deutschland durch seine Schubert-Trilogie Mit meinen heißen Tränen (1986) bekannt. Seinen ersten Kinofilm, der Hofmannsthals Theaterstück in die Gegenwart transponiert, begann er bereits 1996, hatte das Budget aber schon nach wenigen Monaten verbraucht. Erst nach gerichtlich ausgetragenem Streit mit der Produktionsfirma konnte Lehner den Nachdreh 1999 beenden und setzte sich schließlich auch mit der Beharrung auf eine Länge von 173 Minuten durch. Seine Hartnäckigkeit hat sich gelohnt. Auf der Leinwand entfaltet sich ein barockes Filmgedicht, wie man es in dieser optischen Opulenz und Bildfantasie (Kamera Gernot Roll) lange nicht mehr sah. Lehners Jedermann Klaus Maria Brandauer, der das Original 1983 bis 1989 selbst in Salzburg verkörperte, ist ein erfolgreicher Mode-Designer, der vom Sprung nach Paris träumt, weshalb er von dort zur Begutachtung einer von ihm inszenierten Show eigens eine Grand Dame der Haute Couture (Juliette Greco) eingeflogen hat. Das danach arrangierte Fest aber ist sein letztes. Im Milieu einer Branche, "wo der Tod, das Alter, das Kranksein und das Nichtschönsein keinen Platz hat" (Lehner), spiegelt der Film die Hohlheit einer für unsere Zeit typischen Welt des schönen Scheins, in der sozial Deklassierte allenfalls als Werbegag vorkommen. Den Kontrast zu Lehners perfektem Kinodebüt lieferte der unbeholfene Eröffnungsfilm Gebürtig. Auch dies eine schwere Geburt. Robert Schindels mit Lukas Stepanik als Co-Regisseur realisierte eigene Romanadaption sollte ursprünglich von Axel Corti verfilmt werden. Sein Tod verzögerte das Projekt um Jahre, wodurch die im Wien der Waldheim-Affäre angesiedelte Vergangenheitsaufarbeitung zwar angesichts der schwarz-blauen Koalition neue Aktualität, aber nicht an Überzeugungskraft gewonnen hat. Bei den Dreharbeiten zu einem amerikanischen Holocaust-Film vor den Toren von Auschwitz trifft ein als Komparse engagierter jüdischer Kabarettist auf den als Täterkind traumatisierten Sohn eines KZ-Arztes (Daniel Olbrychski). Die Freundin des Kabarettisten wiederum begegnet einem ehemaligen KZ-Wächter, zu dessen Überführung sie einen in New York lebenden ehemaligen Häftling schließlich zu einer Reise in sein heimatliches Wien überreden kann. Leider präsentierte sich die filmische Umsetzung des Romans von Schindel, selbst Sohn jüdisch-kommunistischer Eltern, dessen Vater in Dachau hingerichtet wurde, nur als Aneinanderreihung von Klischees - nichts Schlimmeres als gut Gemeintes schlecht gemacht. Gleichwohl zeugte die Wahl dieses Auftakts wieder vom politischen Engagement der Diagonale. Unmittelbar nach dem Einzug der Haider-Partei am Ballhausplatz bewiesen es die Leiter Christine Dollhofer und Constantin Wulff mit dem Motto "Die Kunst der Stunde ist Widerstand". Das Ergebnis eines damals initiierten Projekts war jetzt zu besichtigen. Barbara Albert, Michael Glawogger, Ulrich Seidl und Michael Sturminger liefern in sechs unterschiedlich geglückten Kapiteln Zur Lage ein Sozioprogramm österreichischer Befindlichkeit. Ob das Hoch des österreichischen Films allerdings von Dauer ist, scheint angesichts der Kürzung staatlicher Filmförderung von zwölf auf acht Millionen Euro fraglich. Dazu verengt ein Kinosterben in Wien den Marktzugang für heimische Produktionen, und von den jährlich rund 15 Spielfilmen erreicht die Hälfte weniger als 5.000 Zuschauer. Die fast 25.000 Diagonale-Besucher - eine Steigerung von 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr - sind eine Ausnahme. Aber dass die Aufmerksamkeit für europäisches Kino eines "Eventcharakters" bedarf, ist keine österreichische Besonderheit.