Feminismus-Ausstellung „Empowerment“ in Wolfsburg: Wer kotzt die Leute an?
Kunst Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt noch bis Januar über 100 Werke feministisch orientierter Kunst. Das ist glamourös anzusehen, die Schau „Empowerment“ zeigt aber noch etwas anderes auf
Feminismus ist nicht fun / er ist komplex und er kotzt die Leute an“, sang die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger unlängst in ihrem Musical Planet Egalia. Schlimmer noch: „Er ist nicht cool und seine Themen sind alt / Ausbeutung, Sexismus, strukturelle Gewalt“. Wie jetzt? All die Bestrebungen, die viel geschmähte soziale Bewegung endlich „hip“ und „glamourös“ und damit anschlussfähiger zu machen, sollen umsonst gewesen sein? Die stylishen „The future is female“-T-Shirts, die rotzigen Selbsthilfebücher, die mit Stinkefinger klarmachen, dass Frauen niemandem irgendwas schulden, die schick designten feministischen Tarot-Sets – all das für nix?
Alle Genres, alle Kontinente
Wer dieser Ta
tinenteWer dieser Tage den Ausstellungsraum des Kunstmuseums Wolfsburg betritt, bekommt in Form der Ausstellung Empowerment über feministisch orientierte Kunst ab dem Jahr 2000 viele Antworten auf diese Frage. Und die sind – wie der Feminismus eben selbst – vielfältig und komplex. Allein die Anzahl der gezeigten Positionen in der luftigen Halle wirkt überwältigend. Auf 2.000 Quadratmetern sind Arbeiten von über 100 Künstler*innen aus allen Kontinenten zu sehen, alle Genres von Malerei über Skulpturen und Installationen bis zu Fotos, Videos und Performances sind vertreten. Überdimensionierte Stickrahmen von LIN Tianmiao mit abwertenden Begriffen wie „Bitch“ und „Ho“ baumeln bunt und nach Einspruch schreiend von der Decke. Aus einem Druck von Pushpamala N grüßt grinsend die Göttin Kali mit ihrer Halskette aus abgerissenen Männerköpfen. Senzeni Maraselas identische rote Kleider an einer Stange erinnern an das Warten ihrer Großmutter auf den Ehemann. Alexandra Birckens nach US-Raketen benannte, schwarz-phallische Skulpturen ragen so bedrohlich wie ironisch in den Raum. Big Names wie Kara Walker, Monica Bonvicini, Pipilotti Rist, Teresa Margolles oder Yael Bartana sind ebenso zu finden, wie unbekanntere Artists zu entdecken sind. Neben Einzelpositionen hat das fünfköpfige kuratorische Team viel Wert auf den Austausch mit internationalen Netzwerken aus Wissenschaft und Kunst gelegt – und zudem fünf Kollektive aus Ländern des Globalen Südens zum Kuratieren ihrer eigenen Spaces eingeladen. Alle fünf sind bei der Presseführung durch zumindest eine Person vertreten und stellen die von ihnen ausgesuchten Beiträge vor. Das Sandbox Collective aus Indien, das gerade mit der Goethe-Medaille 2022 ausgezeichnet wurde, erläutert die Fotoserie des queeren Inders Sandeep, der in Solidarität mit der massiv diskriminierten Trans-Community seines Landes trans Personen in den Berufen inszeniert, die sie gerne ergriffen hätten, wenn sie in einer vorurteilsfreien Gesellschaft leben könnten: Sängerin, Bodybuilder oder Polizist? Die neben den Fotos ausgelegte Declaration of Empathy zeigt, wie symbolische Solidarität auch funktionieren kann: Schwarze US-Amerikaner*innen hatten sich damit vor einigen Jahren gegen die Unterdrückung der Dalit in Indien ausgesprochen und so deren Diskriminierung zu ihrer gemacht.„Nach drei Jahren der Abdeckung des Glasdaches kommt endlich wieder Licht von oben“, frohlockt Direktor Andreas Beitin bei der Führung. Nachdem die zuvor gezeigten Werke zu lichtempfindlich gewesen seien, konnte für diese Schau die Verdunkelung wieder abgenommen werden (und man fragt sich sogleich, woran es liegen könnte, dass ausgerechnet feministische Kunst weniger empfindlich ist). Drei Jahre haben auch die Vorbereitungen der Ausstellung gedauert, im Prozess haben sich sieben Themenfelder herauskristallisiert (z. B. Protest & Empowerment, Labour & Care, Feminist Futures etc.), die im Raum selbst durch Stahlkonstruktionen und wallende Vorhänge, die von raumlabor-berlin stammen, subtil voneinander getrennt beziehungsweise miteinander in den Dialog gebracht werden. Im kleineren oberen Raum der Ausstellung, der hauptsächlich der Vermittlung gewidmet ist und in dem es sich gemütlich auf einer 24 Meter langen Stoffschlange von Joulia Strauss sitzen lässt, wird klar, dass Feminismus bis heute vor allem eins ist: mit Mühsal verbunden.Denn wer von der Schlange aus den Blick wandern lässt, trifft auf eine gigantische Infowand, auf der versucht wurde, alle feministischen Kunstausstellungen und Vereinigungen – seit 1900 und weltweit! – akribisch zusammenzutragen. Dieser kleinteilige, mühevolle, oft repetitive Arbeitsmodus, der mit einer solchen Recherche verbunden ist, spiegelt sich auch in zahlreichen Kunstwerken wider. Auf die Frage, wie lange es gedauert habe, die schwarzen Wolken aus von Freund*innen gespendeten Afrohaaren für die gemeinsame Installation herzustellen, antwortet Sonia E. Barrett vom Kollektiv What the hELL she DOin! nur lächelnd: „Viele, viele Tage.“ In Wura-Natasha Ogunjis Video Will I Still Carry Water When I Am A Dead Woman? zieht eine Gruppe von Frauen in modernen Waxprint-Overalls und bunt verhüllten Gesichtern auf einer staubigen Straße goldene Wasserkanister wie Mühlsteine hinter sich her. Gamer Girl von Irena Jukić Pranjić zeigt weibliche Care-Arbeit als endlose Reproduktionsschleife in einem Fake-Videogame, bei dem am Ende der Akku des Girls leer ist, während ihr männlicher Partner von einem „Game over!“ weit entfernt ist. Kawita Vatanajyankur unterwirft sich in ihrem Video The Scale Of Injustice einer Tortur, indem sie im Handstand kopfüber ein Brett balanciert, an dessen Enden zwei Mädchen mit Körben auf und ab wippen, um auf die Ausbeutung weiblicher Körper in Thailand hinzuweisen. Gemeinsam mit vor den Massakern im Bosnienkrieg geflohenen Frauen wäscht Maja Bajević in Women At Work – Washing Up so lange mit Tito-Zitaten bestickte Stoffstücke von Hand aus, bis diese in Fetzen zerfallen – und so die Idee der fürsorglichen, nährenden Hausarbeit in ihr Gegenteil verkehren.Während diese Werke den oft so zermürbenden wie gesellschaftlich unsichtbaren Charakter sich endlos wiederholender Arbeit mit und am Körper thematisieren, dreht Patricia Kaersenhout mit ihrer raumgreifenden Installation Guess Who’s Coming To Dinner Too? den Spieß bewusst um: Die dreieckige Festtafel ist eine explizite Neubearbeitung von Judy Chicagos berühmter Dinner Party aus den 1970ern, zu der damals, in Anlehnung an das rein männlich besetzte letzte Abendmahl, nur berühmte Frauen geladen waren. Allerdings war von den 39 Heldinnen von der Antike bis zur Jetztzeit mit Sojourner Truth nur eine einzige nicht weiß, was Kaersenhout zu einer dekolonialen Version mit Platz für bis zu 60 Women of Colour animierte. Wer ihren Tisch ausstellen möchte, muss sich zu einem begleitenden Rahmenprogramm verpflichten – und die Installation vor der Eröffnung von einer Priesterin der afrosurinamesischen Winti-Religion, der die Künstlerin sich durch ihre eigene Herkunft verbunden fühlt, segnen lassen.Abseits der ShowmomenteBeides hat das Kunstmuseum getan und stellt so einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Bestandteil feministischen Handelns mit aus, wenn auch für die meisten Besucher*innen wohl unbemerkt: kontinulierliche Kooperation beziehungsweise Kollektivität, auch abseits der Showmomente (die hier mit spektakulären Arbeiten wie den Real-Life-Geburtsvideos von Candice Breitz oder der knuffigen Artificial-Intelligence-Eule von Ann Lislegaard selbstverständlich auch zum Zug kommen). Auch wenn manche Werke einen latent didaktischen Charakter haben, sollte die Ausstellung sowohl dem bereits informierten wie auch einem eher feminismusskeptischen Publikum auf anschauliche Weise klarmachen, dass Feminismus im Zeitalter der „Planetary Challenges“ wie Ungleichheit, Klimakrise und Despotismus eine der wenigen Möglichkeiten ist, wie mit globaler Solidarität vielleicht doch noch das Ruder herumgerissen werden könnte. Und ja, natürlich ist die Kunst, die sich dieser Fragen annimmt, auch super-hip und glamourös anzusehen, war das nicht klar? Wem das noch nicht reichen sollte, die oder der findet im Museumsshop eine reichhaltige Auswahl an „My Boobs, My Business“-Shirts, „Free The Nipple Socks“ oder ein Buch mit Häkelanleitungen zu Powerfrauen wie Beyoncé oder Angela Merkel. Kein Witz jetzt. Und funktioniert diese Popularisierung und Vereinnahmung nicht vielleicht perfekt als Spiegel der in der Ausstellung debattierten Ambivalenzen? Wie Rösinger singt: Es bleibt komplex.
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