Die Vorstadt Créteil im Südosten von Paris ist ein bizarrer Ort. Um von der Metrostation ins steinern-wüste Stadtzentrum mit Rathaus und Kulturhaus - Maison des Arts - zu gelangen, muss die Besucherin erst einen großen Parkplatz und dann das giganteske Einkaufszentrum Créteil Soleil durchqueren. Ganz auf der Höhe der Zeit also, und doch eine waschbetonechte Gründung der siebziger Jahre. Ähnlich - wenn auch positiv gewendet - lässt sich auch das hier ansässige Festival International de Filmes de Femmes beschreiben, das mit seinen nunmehr 26 Jahren das dienstälteste und wohl immer noch bedeutendste Frauenfilmfestival Europas ist. Wie viele auch kleinere solcher Frauenfilmfestivals es auf dem Kontinent überhaupt gibt, wird vor allem
vor allem wegen der durch spontane Neugründungen und ebenso plötzliche Abgänge unübersichtlichen und bewegten Festivallandschaft wohl kaum eindeutig festzustellen sein. Während etwa das traditionelle Cinewomen-Festival in Norwich seit kurzem nicht mehr zu existieren scheint, sind anderswo gerade wieder neue Projekte im Entstehen. Manche Veranstaltungen legen aus der fast überall grassierenden akuten Finanznot auch mal eine längere Ruhepause einAber was ist überhaupt ein Frauenfilmfestival? Werden hier Filme von Frauen gezeigt? Über Frauen? Für Frauen? Oder sind diese drei Aspekte "irgendwie unentwirrbar miteinander verbunden" wie es Virginia Woolf einmal gesagt hat. Die Antworten sind wohl so vielfältig wie es solche Festivals auf der Welt gibt und differenzierter, als es hier darstellt werden kann: Vom Showcase weiblichen Filmschaffens des traditionsreichen Florentiner Laboratorio Immagine Donna bis zur Dortmunder Femme Totale, die sich jedes Jahr einem mehr oder weniger eng gesteckten Festivalmotto widmet und auch einmal den Film eines männlichen Regisseurs zeigt, wenn er denn Erhellendes dazu beiträgt. Vom gelassenen Laisser-faire der Grand Dame in Paris-Créteil mit Wettbewerb, abendlichen Galas und frankophonem Sprachmachismo bis zum Separatismus des italienischen Lesbenfilmfestivals Immaginaria in Bologna, das, Journalisten und andere Akkreditierte ausgenommen, männliche Zuschauer - aus vermutlich guten Gründen - aus dem Publikum ausschließt. Währenddessen ziehen sich die Frauen vom Flying Broom (Fliegender Besen) in Ankara mit vielen männlichen Praktikanten eine neue Generation feministisch geschulter Cineasten heran.Neun der größeren kontinuierlich arbeitenden Frauenfilmfestivals aus Europa, die sich in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Europäischen Filmfestival-Koordination zusammengeschlossen haben, haben sich letzte Woche am Rande des diesjährigen Festivals in Créteil zu einem Arbeitstreffen versammelt, um gemeinsame Aktionen wie eine Website (www.womenfilmnet.org) und eine Datenbank zu Frauen in Europa (f_films: female filmworkers in europe) weiterzuentwickeln. Neben den zwei deutschen Festivals Feminale und Femme Totale - übrigens beide in NRW beheimatet - reichte das geographische Spektrum dabei von Ankara bis Barcelona, die Tricky Women aus Wien waren ebenso vertreten wie die Frauenfilmtage aus der Schweiz, die seit fünfzehn Jahren als feministisch-cineastischer Wanderzirkus durch die Kantone ziehen und jetzt aus Finanznot pausieren müssen.Auffällig ist, wie viele der auch regional gut vernetzten Festivals sich neben der jährlichen oder zweijährlichen Veranstaltung kontinuierlich film- und medienpädagogischer Bildungsarbeit widmen. Auffällig auch ein auf den ersten Blick überraschendes Nord-Süd-Gefälle. So führt ausgerechnet in Schweden die angeblich glücklich vollendete Gleichstellung zur Verhinderung frauenpolitischer Aktivitäten nicht nur im Filmbereich, wie Moira Sullivan von den Women in Film and Television in Sweden berichtete, die in Stockholm auf versprengtem Posten für ein Frauenfilmfestival kämpft. So gleichberechtigt sind die Schwedinnen, dass sie nur noch ganz Mensch sein dürfen. In Barcelona dagegen fließt für das DragMagic-Festival öffentliche Unterstützung im Rahmen städtischer und katalanischer Anti-Diskriminierungs-Institutionen recht großzügig. Und das Flying Broom ist nach dem Filmfestival in Istanbul das zweitgrößte der Türkei. Die Tücken solch abstrakten Humanismus zeigen sich auch darin, dass die oben erwähnte äußerst erfolgreiche Immaginaria in Bologna bis jetzt vergeblich um Anerkennung durch die Europäische Filmfestival-Koordination kämpft, weil ihre separatistische Politik angeblich gegen ethische Grundsätze demokratischer Kulturpolitik verstößt. So pervertiert sich vorgebliche Toleranz in Intoleranz.Und auch anderswo speisen sich die Vorbehalte gegen Frauenfilmfestivals mittlerweile meistens aus der Idee, dass wohl spätestens der Oscar für Caroline Links Nirgendwo in Afrika gezeigt habe, dass das Ziel aller frauenpolitischer Kämpfe im Kino doch längst erreicht sei. Doch erst einmal garantiert selbstverständlich eine Regisseurin - leider - lange noch keine explizit weibliche Perspektive. Und andererseits sollten solche Erfolge nicht übersehen lassen, dass es gerade viele ungewöhnliche und besondere Filme von Frauen nicht einmal bis in den ganz gewöhnlichen Verleih schaffen. Immer noch auch mangelt es vor allem in den technischen Filmberufen wie Kamera und Ton an weiblicher Kompetenz. Doch warum immer nur auf die Defizite schauen? Selbst wenn kein Mangel zu beklagen wäre, gäbe es immer noch tausend kommunikative und konzeptionelle Gründe, die Leinwand einmal kollektiv von der anderen Seite aus zu betrachten. Dabei dürfte die internationale Vernetzung zwischen Frauen und Festivals ein wichtige Aufgabe für die Zukunft sein. Nein, ein "Auslaufmodell", wie es Silke Räbiger von der Femme Totale es bei einem ähnlichen Anlass 1997 einmal provokativ nannte, sind Frauenfilmfestivals auch im neuen Millennium sicherlich nicht. Akuter Bedarf ist weltweit offensichtlich auch da: Nicht nur in Stockholm, auch in Rio de Janeiro etwa und in Wellington, Neuseeland stehen neue Festivals in den Mädchenschuhen. Dass es dabei nicht ausreichend ist, einfach nur "Filme von Frauen" zu zeigen, haben wohl mittlerweile alle begriffen.