Fernab des Weltgetriebes

Buchmesse Gyrðir Elíassons "Am Sandfluss" ist mehr als die Chronik einer Schaffenskrise. Er zeichnet die Situation des Künstlers in einer Gesellschaft, die materielle Gier antreibt

„Am Sandfluss“ geht er also entlang. Der kleine Fluss fließt durch das letzte Waldgebiet im Südwesten Islands, das der Schafszucht noch nicht zum Opfer gefallenen ist. Sand-à im isländischen Original. Er versucht zu malen. Nach der Natur. Dabei wird ihm klar, dass sein bisheriges Leben wie ein sandiger Fluss gewesen ist, oder auch „karg und verweht wie dürres Ödland in einem schneelosen Winter“.

Mit Gyrðir Elíassons Ich-Erzähler geht da ein nördlicher Neffe von Marcel Prousts Zeitsuchendem durch die karge Lanschaft. Sie spiegelt den Seelenzustand dieses Malers geradezu perfekt; wenn sie ihn nicht sogar maßgeblich mit geformt hat.

Dabei lebt er, obwohl fernab des Weltgetriebes, überraschend fest in der Moderne verankert: auf einem Campingplatz, unter Spießern. Die Kontakte zu dem einsiedelnden Sonderling erschöpfen sich in einsilbigen Grußformeln und unmerklichem Kopfnicken. Und wäre da nicht diese geheimnisvolle Frau, welcher der seinen Gedanken nachhängende Mann hin und wieder unverhofft begegnet, gäbe es am Fuße dieses Waldes und eines verloschenen Vulkanes kaum eine nennenswerte Begegnung mit anderen Menschen. Einmal der Besuch des entfremdeten Sohnes, ein paar Worte mit dem Waldaufseher, später ein wichtigtuerischer potenzieller Käufer, der den Maler hier aufgespürt hat.

Noch ist es Sommer. Die anderen Camper befinden sich selbstvergessen im Urlaub, während sich der Maler seiner immer gewisser wird. „Gelächter schwirrt durch die Abendluft, als versuchten die Leute eine Schallmauer gegen den Tod zu errichten.“ Dem Künstler sind solche Bestrebungen fremd. Er wälzt „große und schwierige Gedanken“, setzt sich dem Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und dem Prekären seines künstlerischen Tuns aus (er kennt ja noch nicht einmal die Bäume richtig). Dieser Text entwickelt einen derartigen Sog, dass wir ihm bereitwillig in die Finsternis dieser Seele folgen.

Doch es wäre zu einfach, diesen fesselnden, allenfalls etwas zu abrupt endenden Roman einfach als Chronik einer Schaffenskrise oder Schilderung einer Depression zu bezeichnen. Im Original, im Jahre 2007 erschienen, kurz bevor sich das Land mit der Finanzkrise an den Rand des Bankrotts gewirtschaftet hatte, schafft Eliasson es, mit wenigen Pinselstrichen die Situation von Künstlern in einer Gesellschaft zu beschreiben, die sich, entgegen allen Klischees von Naturnähe und sympathischer Verschrobenheit, mit Haut und Haar materieller Gier hingegeben hat. Eliasson, der heuer den Literaturpreis des Nordischen Rates für den Novellenband Milli trjánna gewann, schildert in einem Radiointerview, wie man ihm kurz nach der Veröffentlichung von Am Sandfluss Defätismus vorwarf. Stimmen, die wenig später über den Blicken auf ihre Kontoauszüge verstummten. Elíassons Maler lebt in einer Zeit, in der Künstler wenig gelten, in der, wie die Szene mit dem Kunsteinkäufer anschaulich beschreibt, sogar mögliche Kenner nur mit hochmütiger Ignoranz daherkommen.

Mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Islands hat dieser Text ein anderes Gewicht bekommen, und es ist dem Schweizer Walde+Graf Verlag hoch anzurechnen, dass er das Wagnis einging, ihn auf Deutsch herauszubringen. Da ist rein gar nichts von dem mund­gerechten Wellness-Tiefsinn eines Martin Suters zu finden. Dafür eine aufrichtige Auseinandersetzung mit Verlorenheit und Vergeblichkeit, dafür kluge Verweise auf andere Maler, Zitate aus Film und Literatur und nicht zuletzt mit sarkastischem Witz durchsetzte Ironie, wo man sie nun wirklich nicht erwartet. Ein Buch wie ein uralter Bluessong. Zeitlos gültig.

Am Sandfluss Gyrðir Elíasson Walde+Graf 2011, 137 S., 16,95 €

Marc Ottiker stellte im Freitag zuletzt die DVD-Serie Ashes to Ashes vor

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