Feudale Abstrafung

GESCHICHTSBILD Der späte Sieg einer Hetzkampagne

Gleich mehrfach hat der Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemstma, der aufklärenden Geschichtsforschung schweren Schaden zugefügt: In den vergangenen vier Jahren, seitdem die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 das öffentliche Geschichtsbewußtsein spaltete, betrieb das Institut eine rege justiziable Klagetätigkeit. Es war nicht mehr in der Lage zu unterscheiden zwischen wissenschaftlich berechtigter Kritik und dem Geschäft des investigativen Kommerz-Journalismus. Alles und jeder wurde beklagt, der wirklich oder vermeintlich Falschaussagen verbreitete. Das vermittelte den Eindruck von "Unberührbarkeit", also die Anmaßung des Elitären. Der für ein sozialwissenschafliches Institut ungewöhnlich häufige Gang zum Gericht ließ auch bei Kritikern der Ausstellung, die aber im Prinzip der Aussage vom Vernichtungskrieg und von den Verbrechen zustimmten, den Eindruck entstehen, es handele sich bei Haltung der Leitung des Instituts um einen "Herr-im-Hause-Standpunkt". Irgendwann musste das scheitern.

Nun ist der Leiter der Ausstellung, Hannes Heer, fallen gelassen worden. Im Nachklang scheinen Kommunistenhatz und persönliche Diffamierung zumindest partiell von Erfolg gekrönt, einer der lange Gejagten ist erledigt. Früher verteidigten Reemstma, Greiner, Naumann, Boll und Hannes Heer gemeinsam das Ausstellungskonzept, jetzt lässt man den verantwortlichen Leiter die Gewalt inner betrieblicher Machtstrukturen spüren. Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern ein schlimmes Eingeständnis. Denn der späte Erfolg der geschichtspolitischen Hetzkampagne gegen Reemtsma, Heer und die Ausstellung durch die konservative und extreme Rechte, die am Ausstellungsort München Anfang 1997 jene Dokumentation des verbrecherischen Vernichtungskriegs zum gesellschaftlichen Skandalon erhoben hatte, wird nun zum Sieg der konservativen Geschichtspolitik. Es wird - und in Bezug auf diese Ausstellung muss jeder an Aufklärung Interessierte hinzufügen - leider - klar, dass es dem Zusammenwirken von drei Historikern, vor allem den jungen polnischen und ungarischen Forschern Musial und Ungváry, einigen Medien und der konservativen deutschen Historikerschaft gelungen ist, nicht nur die Ausstellung, sondern auch deren Botschaft in Misskredit zu bringen, der das Ende ihrer Reise bedeuten kann. Das drohende Ende der "Erfolgsstory" Wehrmachtsausstellung ist weniger den neurechten Strömungen anzulasten als den "Vorboten des Kommenden", die sich in Martin Walsers Friedenspreisrede und in Sloterdjiks Verkündung vom Tod des Humanismus zu Wort melden. Gleichzeitig ist die Reemtsmasche Konstruktion der anthropozentrischen Aufklärungsphilosophie an ihre Grenzen gestoßen.

Das "Hamburger Institut" ist nun Opfer der eigenen Forschungsmethoden und jener Strukturen geworden, die man bis heute sich weigerte wahrzunehmen, die strukturelle Gewalt der gesellschaftlichen Machtverhältnisse nämlich, zu denen auch die Ideologie gehört. Drastisch gesagt: Die Fotos waren das Eindrückliche, das Schockierende, das, was unsere heutige Zivilisation noch rührt, sofern es um die eigene Nation oder die richtige Präsentation von schwersten Menschenrechtsverletzungen und Völkermord geht. Das Faktische des Vernichtungskriegs, die Verbrechen der Wehrmacht und die einfache, aber beschwiegene Tatsache, dass es ohne Wehrmacht keinen Holocaust gegeben hätte, bleiben bestehen, ob 10, 20 oder 100 Bilder Verbrechen der Wehrmacht dokumentieren oder nicht.

Es rächt sich eben, das strukturelle System des deutschen Faschismus, seine Funktionen, seine verbrecherischen imperialistischen Planungen und kriegerischen Mord - und Raubzüge von den Tätern und Opfern gelöst zu haben. Denn unbezweifelbar hat die massenhafte Täterschaft gewöhnlicher Wehrmachtssoldaten und der Wehrmachtsführung als anweisendem Initiativorgan auch weiterhin Bestand. Nur haben die Ausstellungsmacher im Fotografischen den individuellen Beweis der Täterschaft deutscher Soldaten enorm überhöht. Korrekturen bei falschen Dokumenten sind im Forschungsprozess Normalität. Doch hier soll die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht im öffentlichen Geschichtsbewusstsein korrigiert und dem deutschen Wehrmachtssoldaten die Ehre wiedergegeben werden.

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