Filbingers Ehre in höchster Gefahr

Kommentar Wie Günther Oettinger einen erfolgreichen Marinerichter zum Gegner des NS-Staates machen wollte

Noch am Montagvormittag, als Günther Oettinger sich ein Wochenende lang gedreht und gewendet hatte, wollte er von einem Satz aus seiner Trauerrede für Hans Filbinger nicht lassen, auch wenn er schon einräumen musste, dass ihm "die Wirkung" dieser Rede "leid" tat: Filbinger sei ein "Gegner des NS-Staates" gewesen, ein Antifaschist also.

In Baden-Württemberg kann der Vorwurf des Antifaschismus zum Berufsverbot führen. Obwohl inzwischen die Gerichte eingegriffen haben, orientiert der baden-württembergische Verfassungsschutz noch immer auf seiner Website, dass Antifaschismus "ein Agitationsfeld für Linksextremisten" sei, auf dem sie "langfristig für die Zukunft aufbauen" könnten. "Politische Wachsamkeit und kritische Reflexion" seien bei diesem Thema deshalb angezeigt. Ministerpräsident Oettinger hat keine politische Wachsamkeit gezeigt, als er Filbinger im Sarg zu einem Gegner des NS-Staates machen wollte. Der erfolgreiche und hocheffizient arbeitende Marinerichter hat den NS-Staat über dessen Kapitulation hinaus gegen seine Zersetzung durch Deserteure zu bewahren versucht - er war nie und nimmer ein Antifaschist.

In seinem eindeutigen Bemühen aber, sich an die Gefühle der rechtskonservativen Trauergemeinde heranzuarbeiten, war Oettinger vorübergehend jeder Sinn für kritische Reflexion abhanden gekommen. Er wollte bei diesen Leuten Punkte sammeln für seine Wiederwahl. Das aber ist unmöglich, wenn er den Gegenstand ihrer aufrichtigen Trauer als Gegner des NS-Staates herabsetzt und ihm so gerade bei seinen treuesten Anhängern die Ehre abschneidet.

Doch am Montagnachmittag gewann er seinen politischen Instinkt zurück, tat unter Angela Merkels Knute Buße für seine Behauptung, Filbinger sei nicht der Nazi gewesen, der er war. Aber reden wir nicht von Filbingers bekannten Leistungen im NS-Staat. Reden wir doch nur von den Verdiensten, die er sich beim Wiederaufbau erworben hat, wie vorbildlich er als Ministerpräsident im baden-württembergischen Landtag mit der - sagen wir - rechtskonservativen NPD zusammenarbeitete. Reden wir von der großartigen Sammlungsbewegung, die er nach seinem erzwungenen Rücktritt mit seinem Studienzentrum Weikersheim schuf, der exzellenten Denkfabrik zur "geistig-sittlichen Erneuerung" unseres Staatswesens.

Als einfacher Journalist durfte ich dort Hans Filbinger zweimal als genialen Gesprächsführer erleben. Erstmals 1980, als sein Studienzentrum auf Einladung des Rüstungskonzerns Dornier im Schloss Meersburg tagte. An diesem passenden Ort wurden am Vormittag die Möglichkeiten eines Dritten Weltkriegs beraten und am Nachmittag, wie man der "Exzesse des Sozialstaates" Herr werden könne. Unvergesslich wird mir sein, wie der als Vier-Sterne-General und Oberbefehlshaber der Verbündeten Streitkräfte Europa-Mitte (bis 1968) reaktivierte Wehrmachtsmajor Johann Adolf Graf von Kielmansegg - er hatte Geheime Kommandosachen abgezeichnet wie "Sühneerschießungen von 40 Kommunisten" - die damalige Lage einschätzte: Nach dem Verlust der bis dahin "an den Westen angegliederten Ordnungsmacht Persien" wäre es richtig, wenn die Bundesrepublik "nicht mit ängstlichem Seitenblick nach dem Osten von Solidarität nur reden würde, sondern auch die notwendigen Maßnahmen ergriffe." Der General: "In unserem Grundgesetz steht kein Wort, das wir das nicht dürfen." Als der aufbrausende Beifall verebbt war, sprach Filbinger: "Ich bin überzeugt, dass das, was heute gesagt wurde, eine Folgewirkung haben wird."

Im März 1983 feierte Filbinger mit seinem Studienzentrum Weikersheim im Rittersaal ein Wendefest zum Wahlsieg Helmut Kohls und der mit ihm verbundenen geistig-moralischen Erneuerung. Neben zahlreichen Offizieren der Bundeswehr war auch Rolf Kosiek da, der langjährige NPD-Chefideologe und Stuttgarter Abgeordnete, mit dem Ministerpräsident Filbinger im Landtag hervorragend zusammenarbeiten konnte. Zukunftsweisend war die Rede von Manfred Wörner, der als neuer Verteidigungsminister klagte, er müsse sich bei den christlichen Gemeinden draußen im Land mit ihrem Verständnis vom menschlichen Leben herumschlagen: "eine Verabsolutierung des Überlebens", die kaum mit dem "Grundgehalt des christlichen Glaubens" übereinstimmt.

Filbinger hatte damals die Hoffnung geäußert, dass "von dieser Tagung etwas ausgehen" werde. Ja, in diversen Kriegseinsätzen hat die Bundeswehr inzwischen dafür gesorgt, dass der Grundgehalt des christlichen Glaubens wieder Geltung gewonnnen hat.


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