Finale

Abrechnung Daniel Bielensteins Familiengeschichte "Das richtige Leben" beginnt in der 68er-Zeit

Die Generation der 68er lädt noch immer zu Auseinandersetzungen und Diskussionen ein. Dies lässt sich an der Fülle der Biografien von Uschi Obermaier bis Klaus Rainer Röhl ablesen. Und natürlich streitet das Feuilleton gern noch mal über diese turbulente Zeit.

Für was steht 1968? Das Bedeutende war wohl die Auflehnung gegen die eigenen, dem Nazi-Regime wohlgesonnene Eltern. Alte Werte und Familienbilder sollten aufgebrochen werden. Doch wohin würde das führen? Müssen die unter dem Banner neuer Ideale aufgewachsenen Kinder heute einen Preis dafür bezahlen? Ist ihr Leben nur als Kontrast zum Leben ihrer Eltern zu verstehen?

In Daniel Bielensteins viertem Roman Das richtige Leben geht es genau um diese Fragen. Karl Ho Bob Krämer wird 1967 während einer Ho-Chi-Minh-Demonstration geboren, kurz darauf seine Zwillingsschwester Janis. Es handelt sich um jene legendäre Demo gegen den Schah von Persien, bei der Benno Ohnesorg erschossen wird. Bielenstein verknüpft geschickt eine fiktive Familiengeschichte mit realen Begebenheiten und Personen, die aber nie explizit erwähnt, sondern nur in Charaktereigenschaft und Aussehen der Romanfiguren angedeutet werden. So taucht Ohnesorgs Todesschütze Karl-Heinz Kurras auf und will Hos Vater Kajo verprügeln; Hos Name erinnert an den Nahmen von Rudi Dutschkes Sohn Hosea.

Bielenstein stellt nun Vergangenheit und Realität einander gegenüber und erzählt abwechselnd vom Aufwachsen seines Romanhelden Ho, seiner Jugend und von seinem jetzigen Leben als Chef einer Designagentur im schicken Berlin-Mitte. Mit seiner Zwillingsschwester wächst er in einer Berliner Kommune auf, die der berühmten Kommune 1 verblüffend ähnelt. Es gibt ein Matratzenlager, es wird Marihuana geraucht und viel Wein im Dienste der Revolution getrunken. Hos bei allen beliebter Vater erinnert an Rudi Dutschke. Die freizügige Sexualität seiner Mutter lässt Parallelen zu Uschi Obermeier zu und der zottelige Possi mit all seinen Späßen erinnert an den Kommunarden Fritz Teufel.

Ganz anders hingegen gestaltet sich Hos Leben als Chef der bewussten Agentur. Indem er sein Leben und das seiner Eltern Revue passieren lässt, versucht er seine eigenen Probleme zu analysieren, und er hat gute Gründe dafür. Seit einem Jahr ist er mit Celia zusammen, einer intelligenten und selbstbewussten Frau, die immer mehr auf emotionale Distanz zu ihm geht. Im Umfeld der beiden scheitern Beziehungen und im Gegenzug werden Hochzeiten geplant. Doch der von Bindungsängsten geplagte Ho schlittert immer mehr in eine ausgewachsene Lebenskrise, die er nur zu bewältigen glaubt, indem er seine ganz persönliche Lebensgeschichte und vor allem die seiner Eltern, Schritt für Schritt offen legt.

Bielenstein verknüpft geschickt die innere Unsicherheit und Zerrissenheit seiner Hauptfigur mit der revolutionären Lebensweise seiner Eltern, die vom Leben in der Kommune, vom Trubel um seinen Vater müde geworden, ins schwäbische Exil ziehen, dort zu Spießern mutieren; die Ehe scheitert. Die Familie geht getrennte Wege, Ho landet mit Mutter und Schwester in Köln, wo er die Punkzeit erlebt und langsam erwachsen wird. Schließlich zieht es ihn zum Studium nach Berlin, danach gründet er seine Agentur. Die Eltern haben wieder zusammengefunden, sich aber erneut getrennt, das große Finale des Buches soll die erneute Hochzeit der Eltern besiegeln.

All dies lässt sich wunderbar lesen. Die Familiengeschichte dient als Rahmen für einen Spaziergang von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre. Es scheint eine ironische Analyse der Zeit zu sein, aber vor allem ist es eine Abrechnung mit dem Lebensstil einer Ich-bezogenen Generation. So aufgewachsen, leidet Ho an Bindungsängsten und kann im letzten Moment seine Beziehung retten, indem er - nun seiner Bindungsängste entledigt - seine Freundin Celia heiratet. Hier endet das Buch leider viel zu abrupt. Was für den Leser wie für Ho bleibt, ist die Erkenntnis, dass es sich die nachfolgende Generation zu leicht macht, indem sie den Eltern für alles, was im Leben schief läuft, die Verantwortung zuschiebt. "Es war mir trotz aller Lockerheit wichtig herauszuarbeiten, dass man irgendwann Verantwortung für sich selbst übernehmen muss", so Bielenstein in einem Interview. Aber muss er deswegen Ho am Ende des Buches Celia heiraten lassen?

Daniel Bielenstein: Das richtige Leben. Fischer, Frankfurt am Main 2007, 253 S.,
17,90 EUR


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden