Firmenland in Arbeiterhand

Arbeitskampf Vor 25 Jahren hielt die Belegschaft der Firma Mönninghoff in Hattingen nicht nur den Betrieb besetzt, sondern führte die Produktion in eigener Regie fort

Mit seiner Fachwerk-Altstadt ist das idyllisch an der Ruhr gelegene Hattingen sicherlich keine typische Ruhrgebiets-Stadt. Die dort ansässige Metallbau-Firma Mönninghoff gehörte mit ihren rund 800 Beschäftigten in den achtziger Jahren auch nicht gerade zu den Schwergewichten der Region. Dennoch zogen Stadt und Betrieb vor einem Vierteljahrhundert die Aufmerksamkeit der gesamten Bundesrepublik auf sich: Am 31. Januar 1984 beschloss die Belegschaft, das Unternehmen zu besetzen, nachdem die Banken die Kreditzahlungen für den sich im Vergleichsverfahren befindenden Flanschenproduzenten gestoppt hatten. Sorge um die Existenz, aber auch Empörung waren es, die die Kollegen diese Entscheidung treffen ließ. Denn das Unternehmen war von der Schließung bedroht, obwohl es an sich intakt war und über gut gefüllte Auftragsbücher verfügte. Die Krise war einerseits durch offensichtliches Missmanagement, zum anderen durch die Insolvenz der Bomin-Gruppe herbeigeführt worden, zu der die Firma seit ein paar Jahren gehörte.

Gerd Grevel, der damalige Betriebsratsvorsitzende, erinnert sich, dass die Belegschaft wie ein Mann hinter der Werksbesetzung stand. "Wir wollten ja weiterarbeiten. Als erstes ging es darum, zu verhindern, dass Lieferanten Material oder Maschinen aus dem Betrieb holten. Deren Lkw standen ja schon vor den Toren bis in die Stadt hinein. Da haben wir gesagt: Schluss, die Tore bleiben zu!"

Mitarbeiter übernehmen Direktion

Betriebsbesetzung, das war ein Schritt heraus aus der arbeitsrechtlichen Legalität, dem ein zweiter, mindestens ebenso ungewöhnlicher folgte: Die Belegschaft setzte die Produktion in eigener Regie fort. "Aufträge waren ja reichlich da. Die mussten nur abgewickelt werden", sagt Fritz Hillers, 1984 Abteilungsleiter bei Mönninghoff. Die Geschäftsführung spielte dabei keine Rolle. "Die Betriebsleitung - in dem Moment waren das nur Statisten. Geleitet wurde der Betrieb durch die Techniker, die Verkäufer, den Einkauf, die Arbeitsvorbereitung. Das waren ja alles Angestellte der Firma, die auch ein Interesse daran hatten, dass der Betrieb weiterlief." Manches habe viel besser geklappt als vorher, als alles über die Geschäftsführung gegangen sei, sagt Otto König, der die Auseinandersetzung als Ortsbevollmächtigter der IG Metall miterlebte. Das Direktionsrecht habe die Belegschaft eine Phase lang selbst in die Hand genommen. "Zum Teil sind auch Leute zu den Kunden gefahren und haben am Vergleichsverwalter vorbei Gelder geholt, mit denen Material gekauft und ein Teil der Löhne bezahlt worden ist." Unversehens befand sich die Belegschaft eines mittleren Betriebes in der 60.000-Einwohner-Stadt mitten in einem Lehrstück, dessen Hauptdarsteller sie selbst war. Zumindest einem Teil der Kollegen dämmerte die Erkenntnis: Produktion organisieren - das können wir auch selbst.

Die Auseinandersetzung blieb nicht auf den Betrieb beschränkt. Zielsetzung war zunächst, die Banken - im wesentlichen die Westdeutsche Landesbank (WestLB), die Bank für Gemeinwirtschaft sowie die Dresdner Bank - durch öffentlichen Druck zu einem Verzicht auf die Forderungen und zu einer dauerhaften Finanzierung des Betriebs zu zwingen. So waren die Finanzin-stitute Adressaten zahlreicher Mahnwachen, Demonstrationen und Kundgebungen. Manche Aktionsform, die von den Mönninghoff-Kollegen entwickelte wurde, hatte Vorbildcharakter für die späteren Kämpfe der Stahlarbeiter des Reviers. Vorbildfunktion hatten auch die Aktivitäten der Frauen der Beschäftigten, die sich - erstmals im Ruhrgebiet - zu einer eigenen Fraueninitiative zusammenschlossen. "Ohne die Frauen hätten wir diesen Kampf nicht führen können", sagt Gerd Grevel rückblickend, "sie waren manchmal aktiver als die Männer und haben mitunter Druck auf die Männer ausgeübt, dass die weiter ihren Arbeitsplatz verteidigen."

Landesregierung gefordert

Immer wieder wandte sich die Belegschaft mit ihren Aktionen auch an die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen und an Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), der von 1980 bis 1995 über eine absolute Mehrheit verfügte. Das Düsseldorfer Kabinett wurde von der Arbeiterschaft an Rhein und Ruhr als ihre Regierung betrachtet, beauftragt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. So war es ein geradezu selbstverständlicher Schritt für die Hattinger Kollegen, von der Landesregierung zu verlangen, eine "eindeutige öffentliche Willenserklärung für den Erhalt der Arbeitsplätze" abzugeben, eine Landesbürgschaft zu gewähren und darüber hinaus gegenüber den Banken ihr ganzes politisches Gewicht für die Erhaltung des Betriebes einzusetzen. Das gab der ganzen Auseinandersetzung von Anfang an eine ausgeprägt politische Dimension. Die in diesem Sinne nach Düsseldorf entsandten Delegationen schienen zunächst auf offene Ohren zu stoßen. Johannes Rau - ganz Landesvater - zögerte wie sein Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen (SPD) nicht, vor den Demonstranten sein Verständnis für die Mönninghoff-Belegschaft zu versichern. "Volle Solidarität hat man immer bekundet", sagt Otto König, "Johannes Rau ist immer sofort herausgekommen, um mit der Belegschaft zu reden. Das war das eine." Anders sah es bei den konkreten Verhandlungen mit den Beamten im Wirtschaftsministerium aus, die die Vorstellungen der Belegschaft zur Fortführung des Betriebes für nicht realisierbar hielten. Den Weg nach Hattingen, um vor der Belegschaft Stellung zu nehmen, ging Johannes Rau dann auch nicht.

Der politische Konflikt, der auf Landesebene wohl vermieden werden sollte, brach in Hattingen dagegen offen aus. Dem sozialdemokratischen Stadtdirektor erschien der Widerstand bei Mönninghoff als ein derart unglaublicher Verstoß gegen die geheiligten Regeln der Marktwirtschaft, dass er ihn kurzerhand zu einer "Lumperei" erklärte. Es sei "unanständig, gefeuerten Arbeitern und Angestellten eine heile Welt vorzugaukeln", die es nicht mehr gebe. Die Belegschaft forderte die Ablösung des Stadtdirektors, die SPD-Betriebsgruppe bei Mönninghoff dessen Ausschluss aus der Partei - vergebens.

Unterdessen war in Hattingen mit Hilfe von Beratern der IG Metall ein Modell ausgearbeitet worden, mit dessen Hilfe der Betrieb auf Dauer gesichert werden sollte. Allerdings bei deutlich reduzierter Mitarbeiterzahl.

Hattinger Modell

Vorgesehen war die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung durch die Belegschaft, die zusammen mit anderen potenziellen Geldgebern über eine Fortführungsgesellschaft das Unternehmen weiter betreiben sollte. Die Belegschaft sollte für die Zukunft maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen haben. Eine ebenfalls durch die Stiftung und in Kooperation mit der Stadt Hattingen zu bildende Berufsförderungsstätte hätte die Aufgabe gehabt, die Kollegen aufzufangen, die in der Produktion nicht weiter beschäftigt werden konnten. Die Konstruktion hätte allerdings nur dann funktioniert, wenn sich die Banken bereit erklärt hätten, das Betriebsvermögen unter Verzicht auf einen Teil ihrer Ansprüche zu einem annehmbaren Preis an die Stiftung abzutreten.

Nach drei Wochen Betriebsbesetzung spitzte sich der Konflikt zu. Das Vergleichsverfahren ging in den Anschlusskonkurs über, der Konkursverwalter sprach kurzerhand die Entlassung fast der gesamten Belegschaft aus. Diese antwortete mit einer Verschärfung der Besetzung. Nicht nur die Tore waren nun bewacht. Trupps von Kollegen patrouillierten am Tag und vor allem nachts über das Werksgelände. Eine Alarmkette war organisiert, über die in kurzer Zeit ein Großteil der Belegschaft mobilisiert werden konnte, um die Ausplünderung des Betriebes durch Gläubiger abzuwehren. Das zeigte Wirkung. Unter der Leitung von Wirtschaftsminister Jochimsen führten Verhandlungen mit dem Konkursverwalter und den beteiligten Banken am 24. Februar 1984 zu einer Entscheidung: Der Betrieb sollte vorerst bis zum 30. Juni 1984 fortgeführt werden. Die Kehrseite des Erfolges: Es blieben nur 300 der 800 Arbeitsplätze erhalten. Die Spaltung der bisher in vorbildlicher Geschlossenheit agierenden Belegschaft drohte. Und tatsächlich kam es bald zu Reibereien zwischen den Kollegen, die weiterbeschäftigt wurden, und denen, die zu Hause bleiben mussten. Es war umstritten, ob unter dieser Voraussetzung die Betriebsbesetzung fortgesetzt werden solle. Ein nicht unbedeutender Teil der Mönnighoff-Arbeiter war dafür, wurde aber überstimmt, so dass die Besetzung des Betriebes am 1. März nach insgesamt vier Wochen ausgesetzt wurde. Der Kampf aber war damit noch nicht zu Ende. Insgesamt überwog die Hoffnung, dass es mit der Verwirklichung des Hattinger Modells zu Wiedereinstellungen kommen würde und in Verbindung mit der Berufsförderungsstätte niemand außen vor bliebe. Außerdem sorgte die Gewerkschaft dafür, dass diejenigen, die vorerst draußen waren, vom weiteren Geschehen nicht abgeschnitten wurden, sondern in die Entscheidungsprozesse einbezogen blieben.

Es folgte ein nervenaufreibendes Auf und Ab um die Frage, ob das Hattinger Modell Wirklichkeit werden könnte: Erst schienen die Banken auf Verschleppungstaktik zu setzen. Dann lehnten sie am 27. April 1984 den Forderungsverzicht ab, was das endgültige Aus für die Hoffnungen der seit Ende Januar kämpfenden Belegschaft bedeutete. Durch einen Streik Anfang Mai erzwangen die Mönninghoffer noch einmal Verhandlungen, die zum Durchbruch zu führen schienen. Die Banken erklärten sich schließlich bereit, auf sechs Millionen von insgesamt 11,5 Millionen Mark an Forderungen zu verzichten und das Anlagevermögen der Firma Mönninghoff für 5,5 Millionen Mark an die Mönninghoff-Belegschaft zu übertragen. Die Bank für Gemeinwirtschaft sagte zu, ihren Anteil von 2,75 Millionen Mark langfristig zu kreditieren, die Dresdner Bank versicherte, ihren ebenso hohen Anteil für ein Jahr zu stunden. Die Landesregierung schließlich versprach, die Finanzierung der laufenden Geschäfte durch die WestLB zu 100 Prozent per Bürgschaft zu sichern. Doch der Jubel erwies sich als verfrüht. "Es war alles so weit klar", erinnert sich Gerd Grevel an das letzte Gespräch am 8. Mai 1984 im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium, "dann stand der Vertreter der Dresdner Bank auf und erklärte: ›Ich habe den Auftrag, ihnen mitzuteilen, dass wir die Finanzierung nicht mitmachen.‹ Damit war die Sache geplatzt." Für ihn und seine Kollegen steht bis heute fest, dass die anderen beteiligten Banken das Veto der Dresdner Bank insgeheim mit großer Dankbarkeit zur Kenntnis nahmen. "Das durfte ja nicht passieren, dass ein Betrieb in Arbeitnehmerhand geführt wurde. Das war ja unmöglich in dieser Wirtschaftsordnung. Deshalb haben sie das an lächerlichen 2,75 Millionen scheitern lassen."

"Wer regiert in diesem Land?"

"Wer regiert in diesem Land, Johannes oder Bänkers Hand?", lautete nach 16 Wochen Kampf die ebenso rhetorische wie bittere Frage auf einem Transparent. Bis Ende Juni lief die Produktion noch weiter, dann war endgültig "Schicht" bei Mönninghoff in Hattingen. Manche Kollegen, unter ihnen der Betriebsratsvorsitzende, fanden danach nirgendwo mehr Arbeit. Dennoch fällt die Bilanz im Rückblick nicht nur negativ aus. Otto König sieht 1984 mit dem Hattinger Modell erstmals den Kampf um jeden Arbeitsplatz mit strukturpolitischen Initiativen seitens der Gewerkschaft verknüpft. Die Frage der Arbeitnehmerweiterbildung sei hier erstmals aufgeworfen worden, was bis heute nachwirke. Und Gerd Grevel betont, der Kampf habe trotz allem etwas gebracht, "eben indem wir als erster Betrieb in der Bundesrepublik überhaupt bewiesen haben, dass wir den Betrieb weiterführen konnten".

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