Missmutig schaut Bana auf das träge braune Wasser, auf dem im Minutentakt die Klotoks an seiner Nase vorbeiziehen. Die weiß-blauen traditionellen Holzboote schippern Touristen auf dem Sekonyer-Fluss durch den Tanjung Puting, den ältesten Nationalpark Indonesiens auf der Insel Borneo. Für sie hat Bana das hübsche Holzhaus gebaut, auf dessen Veranda am Ufer des Dschungelidylls er steht. Doch die Zimmer sind leer: „Ich hatte nur drei Gäste in fünf Monaten“, sagt Bana. „Die meisten Leute buchen eine Tour im Paket und übernachten dann in den großen Lodges. Wenn das so weitergeht, muss ich gehen.“
Es wäre nicht das erste Mal. Bana ist Dayak, er gehört zur indigenen Bevölkerung von Borneo und ist einer von 130 Mill
n 130 Millionen Naturschutzflüchtlingen, die die Sehnsucht nach den „letzten Paradiesen“ der reichen Industrieländer hervorgebracht hat. Banas altes Zuhause liegt auf der anderen Seite des Flusses. In den 70er Jahren, als er noch ein Kind war, wurde seine Familie vom Militär im Namen des Naturschutzes vertrieben. Damals legte die indonesische Regierung zwei Wildreservate, die die niederländischen Kolonialherrscher eingerichtet hatten, zum heute geschützten Nationalpark zusammen. „Eine harte Zeit“, erinnert sich Bana, „wir sind von Ort zu Ort gezogen und haben uns monatelang nur von Maniok-Wurzeln ernährt.“ Schließlich wurden sie Reisbauern in Desa Sekoneyer, dem Dorf der Überflüssigen. Ihr Wald ist heute ein Reservat für Menschenaffen. Die Fütterung der Orang-Utans in der Auffangstation Camp Leaky ist das Highlight jeder Tanjung-Puting-Tour. Von Banas Veranda aus kann man sehen, wie sich zur Mittagszeit dicht an dicht die Klotoks an der Anlegestelle schräg gegenüber drängen und mehrere Dutzend Touristen ausspucken, die zum Event strömen. Die Orang Utans sind vom Aussterben bedroht. In den letzten 40 Jahren wurde die Hälfte der Wälder auf Borneo vernichtet – vor allem für Palmölplantagen. Abgeriegelte Nationalparks und kommerzielle Schutzgebiete sollen diese monströse Zerstörung ausgleichen. Der Ökotourismus soll Geld für Infrastruktur und den Erhalt der Schutzgebiete bringen sowie Arbeitsplätze schaffen. Die Vereinten Nationen hatten 2017 zum „Internationalen Jahr des Nachhaltigen Tourismus für Entwicklung“ ausgerufen.Bastelt mal schön, ihr OpferAllerdings ist der Tourismus ganz grundsätzlich eine riesige Umweltsauerei. Der Anteil des Flugverkehrs an den globalen CO2-Emissionen liegt bei fünf Prozent und wird, wenn er weiter in diesem Tempo wächst, bis 2050 ein Viertel ausmachen. Mehr als 6.000 Liter Wasser verbraucht ein Reisender pro Tag. Hotels, Ressorts, Golfplätze, Straßen, Shopping-Malls, Sportanlagen und Flughäfen beanspruchen eine Fläche der Größe Österreichs, bis 2050 könnte sich der Flächenbedarf sogar verdreifachen. In den Ländern des Südens ist der Ausbau der touristischen Infrastruktur fast immer mit Landkonflikten verbunden: die Privatisierung von Stränden schneidet der lokalen Bevölkerung, besonders Fischern, den Zugang zum Meer ab, außerdem kommt es immer wieder zu Vertreibungen für den Bau touristischer Großprojekte wie Flughäfen, Yachthäfen oder Ressorts.Nun also soll „nachhaltiger Tourismus“ diesen Konflikt lösen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen des Fernreisewahns begrenzen sowie „Entwicklung“ in die Länder des Südens bringen. Darin liegt allerdings ein großer Widerspruch. Es ist ja nur ein winziger Teil der Weltbevölkerung, der es sich leisten kann, herumzureisen. Nämlich diejenigen, die ohnehin auf Kosten der Länder des Südens leben: Angehörige der gehobenen Mittel- und Oberschichten aus reichen Ländern. Es liegt eine gehörige Portion Zynismus darin, dass ausgerechnet jene, deren Wohlstand und überbordender Lebensstil Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Süden zur Folge haben, sich via Öko-Fernreise als Weltretter fühlen dürfen. Etwa wenn sie der US-Reiseveranstalter „Natural Habitats“, der sich als führender Anbieter von „verantwortungsvollen Abenteuerreisen und Ökotourismus“ beschreibt, in die „Wildnis von Borneo“ bringt und dort für schlappe 9.895 Dollar pro Nase (ohne Flug) zwei Wochen in der Luxusyacht zu Orang-Utans und Zwergelefanten schippert. Partner des Reiseveranstalters ist die Naturschutzorganisation WWF. Der WWF wiederum hat mit der Palmölindustrie den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl gegründet, unter dessen grünem Deckmäntelchen die brutale Zerstörung von Menschen und Wäldern auf Borneo immer weiter geht. Doch das bleibt gut verborgen hinter der schönen Fassade der „unberührten Natur“, die für Champagner-Naturschützer inszeniert wird.Aber natürlich hat auch der Ökotourismus negative Folgen für die lokale Bevölkerung. Denn 80 Prozent der biologisch vielfältigsten und intakten Gebiete der Welt sind gleichzeitig Heimat indigener Gemeinden. Sie sind der Grund dafür, dass es diese „Naturparadiese“, die sich der gestresste westliche Wohlstandsbürger als Reiseziel aussucht, überhaupt noch gibt. Wenn diese zu Schutzgebieten oder Nationalparks werden, werden Indigene meist dazu gezwungen, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben – oder dazu, zu gehen. Solche Projekte werden meist mithilfe transnationaler Naturschutzorganisationen wie Birdlife International, Conservation International und WWF eingerichtet. Bis heute werden sie dafür kritisiert, die Rechte der lokalen Bevölkerung zu missachten oder indirekt in Vertreibungen verwickelt zu sein. Als Reaktion haben Naturschutz-Multis in Schutzgebieten „Gemeindeprojekte“ eingerichtet. Seither sieht man auf ihren Homepages nicht nur schöne Fotos von Urwaldriesen und tropischen Vögeln sondern auch solche von dankbar strahlenden Eingeborenen bei der Bastelarbeit.Desa Sekonyer sieht aus wie ein Freilichtmuseum. Verschnörkelte Straßenlaternen, selbstredend solarbetrieben, säumen den Weg zwischen den Holzhütten. Vor manchen sitzen Dorfbewohner und versuchen, selbst gemachte Souvenirs zu verkaufen, Rattan-Körbe und aus Eisenholz geschnitzte Orang-Utans.Kulisse für die PalmölplantageEin Besuch im Dorf in der Pufferzone am Rand des Nationalparks gehört ebenfalls zum Programm für die Dschungel-Touristen. Die fotografieren die Pittoreske lieber, als im Open-Air-Weltladen einzukaufen. Auf einem verwitterten Holzschild am Eingang steht: „Trash Management System. Supported by Orangutan Foundation International“. Sie betreibt die Affen-Station im Tanjung Puting. Den Frauen im Dorf bietet sie „nachhaltige“ Jobs an: Bäumchen im Nationalpark zu pflanzen. Und den Müll der Besucher von den Wegen zu klauben. Dazu gibt es Kurse für traditionelle Tänze und Musik, „damit die Kunst vor dem Vergessen bewahrt wird“. Und um den Besuchern aus den reichen Ländern eine Simulation indigener Kultur vorzutanzen, während sie ihre Identität längst verloren haben. Sie sind jetzt nur noch Statisten in der großen Regenwald-Show, während ihr Wald ist für sie eine No-Go-Area geworden ist. Die Floskeln von der „Partizipation“ kaschieren geschickt, dass damit einst unabhängige Gemeinden bevormundet, kontrolliert, in finanzielle Abhängigkeit und Unsicherheit getrieben und zu Befehlsempfängern – meist weißer – Naturschützer degradiert werden, während ihr Lebensraum privatisiert wird. Beteiligt sind sie an solchen Plänen und Umsetzungen in der Regel nicht. Indigene in marktwirtschaftliche Systeme wie den Tourismus einzubinden, vermag aber ihre Armut, die durch die Vertreibungen erst entstanden ist, allenfalls zu lindern. Eher zementiert es die Ungleichheit, denn die rund 280 Millionen Jobs, die der Tourismus weltweit bietet, sind meist prekär oder im informellen Sektor. „In fast jedem Fall werden Indigene an das unterste Ende der Geldwirtschaft geschoben, wo sie als Parkranger, Pförtner, Kellner, Ernterarbeiter verpflichtet werden, oder, wenn sie es schaffen, eine europäische Sprache zu sprechen, als Guide für Ökotouristen“, schreibt Mark Dowie in seinem Buch „Conservation Refugees“.Wenn für Indigene und Kleinbauern nur noch Platz ist, wenn sie sich in die Wertschöpfungsketten von kommerziellen Schutzprojekten zwängen lassen, führt das zwangsläufig zu Konflikten: vor allem in Indonesien. Dort werden 70 Prozent der Wälder und des Agrarlandes von Konzernen kontrolliert, Nationalparks und Wälder, die geschützt sind oder restauriert werden sollen, bilden fast den ganzen Rest und dienen auch als Legitimation dafür, dass die Palmöl-Monokulturen erhalten bleiben und weiter wachsen können. Demgegenüber stehen etwa 50 Millionen Indigene, die von den Wäldern abhängig sind, und 50 Millionen landlose Kleinbauern. Mindestens 5.000 ungelöste Landkonflikte gibt es in Indonesien, wo nicht einmal die Hälfte der Menschen verbriefte Landrechte hat. Für die Errichtung von Nationalparks werden fast immer Menschen umgesiedelt oder gewaltsam vertrieben – und zwar in Gebiete, in denen sie sich nicht oder nur schlecht selbst versorgen können. Der Vertreibung folgt eine Verelendung, die rund um Nationalparks manifest ist. Armut und Hunger zwingen viele Heimatlose, illegal Holz zu schlagen oder Tiere zu jagen, um überleben zu können. Als „Wilderer“ kriminalisiertwerden ihnen Wildhüter auf den Hals gehetzt, oft finanziert von Spenden westlicher Naturliebhaber. In ihrer Studie „Parks need peoples“ schreibt die Bewegung für indigene Völker, Survival International, dass sich der Zustand von Nationalparks seit ihrer Gründung verschlechtert hat. Das ist auch in Tanjung Puting der Fall.Hinter den Hütten von Desa Sekonyer liegen Reisfelder, dahinter beginnen endlose Palmölplantagen. Sie ragen bis in den Nationalpark hinein. Das ist zwar verboten. Doch dem Palmölkonzern Bumitama Agri – Mitglied am Runden Tisch für Nachhaltiges Palmöl – ist es gelungen, den verarmten Leuten, die an den Rand des Parks umgesiedelt wurden, ihr Land abzuschwatzen. Auch in Desa Sekonyer ist den Dorfbewohnern ihre Lebensgrundlage weggebrochen. Nur noch ein Fünftel des Waldes, von dem sie einst lebten, ist ihnen geblieben. Darüber hinaus sind sie in einen Landkonflikt verwickelt, nach dem eine Palmölfirma 22 Quadratkilometer ihres Landes illegal gerodet hat. Doch davon bekommen die seligen Ökotouristen nichts mit. Sie haben ja das Privileg, sich nur die schönen Orte der Welt aussuchen zu können. Die Klotoks schaukeln weiter den Fluss hinunter – vermutlich in eines der vielen Öko-Ressorts. Bana schaut ihnen nach sagt: „Ich werde vielleicht auch bald in den Palmölplantagen arbeiten. Mein Haus werde ich wohl verkaufen müssen.“ Interesse gibt es dafür durchaus. Der Palmölkonzern Bumitama Agri jedenfalls kratzt schon lange an seiner Tür.Placeholder link-1
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