Tansania Und die Frau schleppt Steine, sie repariert Ruinen. Im Auftrag der UNESCO hilft Mwajuma Mbalawa, die Geschichte Tansanias vor dem Vergessen zu bewahren
Mit beiden Händen hält Mwajuma Mbalawa den roten Plastikeimer auf Schulterhöhe. Vorsichtig gießt sie ein zähflüssiges Gemisch aus Kalk, Sand und Lehm in die hölzerne Verschalung. Die 32-Jährige arbeitet an einem der Ecktürme des um 1800 im Auftrag des Omanischen Sultans errichteten Forts auf Kilwa Kisiwani, einer kleinen Insel vor der ostafrikanischen Küste. Mangroven-Wälder bilden den Übergang von der ruinösen Festungsanlage zum Indischen Ozean. Auch wenn in Tansania momentan Winter herrscht – die Temperatur sinkt am Tag selten unter 30 Grad.
Reihe für Reihe bedeckt Mwajuma Korallensteine mit dem ockerfarbenen Brei. Beim Auskratzen des Eimers zieht sie die Stirn über der Nase in Falten. Wenn alles trocken ist
ocken ist und die Holzbretter abgenommen werden, sieht das Gebäude wieder ein bisschen mehr aus wie zu der Zeit, als arabische Händler im Rhythmus des Monsuns auf die gerade einmal vier Kilometer lange Insel kamen, um die Gier nach Gold in Europa und Asien für sich auszuschlachten. Neben dem Edelmetall, das im Innern des Landes im heutigen Mosambik geschürft und über Kilwa Kisiwani verschifft wurde, waren es Elfenbein, Schildpatt und im späten 18. Jahrhundert immer wieder Sklaven, die den Ruf Kilwas als bedeutendste Hafenstadt Ostafrikas begründeten.„Der Herrscher von Kilwa ist mächtig. Die Stadt ist voller Gold“, notierte ein portugiesischer Händler. Viel ist davon heute nicht mehr zu sehen. Von den beiden Palästen des Sultans sind noch Grundmauern erkennbar, von den vier Moscheen nur Reste der einstigen Kuppeldächer.Als Seefahrer unter dem Kommando von Don Francisco de Almeida im Jahr 1505 erstmals einen Fuß auf Kilwa Kisiwani setzten, waren sie von Wohlstand und Bildung der Insulaner zwar beeindruckt. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, den Handelsstützpunkt mit Waffengewalt zu unterwerfen. Kilwa Kisiwani lag bald in Trümmern. In angeblich 16 Tagen bauten die Portugiesen danach ihre Festungsanlage. Umliegende Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht und als Baumaterial verwendet. Die Herrschaft währte bis 1698, als Araber aus dem Jemen kamen, das Fort einnahmen und daraus ein noch größeres Bollwerk machten. Die in eine hölzerne Pforte geschnitzten Koran-Suren zeugen bis heute vom Glauben der neuen Herrscher.Mwajuma ist eine von zwölf Frauen, die als Steinarbeiterinnen im Auftrag der UNESCO die historisch wertvollen Ruinen erhalten. Sie ist auf Kilwa Kisiwani geboren, hat hier die Grundschule besucht. Wie die meisten Leute auf der Insel war ihr Mann Fischer, bevor er vor sechs Jahren an Malaria starb. Seitdem kümmert sich die gläubige Muslima allein um die drei Söhne. Fischerei ist Männersache, reagiert sie auf die Frage, weshalb sie nicht selbst aufs Meer hinausfahre, und streicht sich über das kurze Haar. Ihr blieb der Anbau von Mais, Bohnen und Kassava sowie der Handel mit Fisch auf dem Markt. Dreimal pro Woche segelte sie dafür mit dem Einmaster aufs Festland. Stand der Wind günstig, brauchte sie keine 30 Minuten.Als die Inselbewohner vor fünf Jahren von den Dorfältesten zum Meeting gerufen wurden, war auch ein Mitarbeiter der UNESCO erschienen, weil sich die Ruinen auf Mwajumas Heimatinsel seit 1981 als Weltkulturerbe und ab 2004 als von endgültigem Verfall bedrohtes Denkmal gelistet fanden. Seither gaben die UNESCO 200.000 Dollar und die Regierung Tansania noch einmal 50.000. Die Spuren der früheren Handelsstadt sollten auffindbar bleiben. Für Mwajuma eine unvorstellbare Summe. Mit dem Verkauf von Fisch kam sie an guten Tagen auf einen Verdienst von umgerechnet 1,50 Dollar.Zur Andacht nach HauseAnfangs schien ihr das Interesse an den alten Steinen rund um ihr Lehmhaus nicht ganz klar, aber sie wollte helfen und meldete sich als Steinarbeiterin. Eine Woche später gab es im alten Fort eine Unterweisung. Ganz wichtig seien die originalen Baumaterialien, bekam Mwajuma zu hören. Das Fort wurde aus Korallensteinen errichtet, die entweder am Strand eingesammelt oder im knietiefen Wasser geschlagen wurden. Zwar verbietet das Artenschutzgesetz heutzutage, Korallensteine im großen Stil abzubauen, doch gibt es zur Restauration dieser Ruinen eine gesonderte Erlaubnis.Obwohl Mwajuma muslimisch ist, sind ihre Tage nun ganz christlich geregelt. Von Montag bis Freitag konserviert sie vom Morgen bis zum Nachmittag Ruinen. Zeit zum Beten gibt es früh eine Viertelstunde, später noch einmal eine ganze. Da Mwajuma keine fünf Minuten entfernt wohnt, geht sie zur Andacht nach Hause, wo in der Regel ihre Mutter mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden sitzt und Erbsen in eine geflochtene Schale liest. Sie müsse um die 50 sein, sagt die Mutter von sich, wisse es allerdings nicht so genau.Das Haus der Familie Mbalawa hat zwei Räume, doch spielt sich das Leben fast nur im Garten ab. Schattig ist es dort und ein zarter, fächelnder Windhauch zu spüren. Große Bastmatten auf dem Lehmboden garantieren den staubfreien Untergrund. Gekocht wird ebenfalls draußen, mit Kohle und verbeulten Töpfen.Von acht bis neun Fürs Nachmittagsgebet vergisst Mwajumas Mutter für einen Augenblick ihre Erbsen, während Mwajuma zur Baustelle eilt, ihren Overall überstreift und bald wieder auf dem hölzernen Gerüst am Fort steht. Eine Frau fällt um diese Stunde unter den Arbeitenden auf. Lange zum Zopf gebundene Haare und eine westlich anmutende helle Bluse über Jeans: Isaya Prisca sitzt als Site Managerin eigentlich in Kilwa Masoko, dem Städtchen auf dem Festland gegenüber. Was sie verdient, will sie nicht sagen, aber man sieht ihr an, dass sie sich einen anderen Lebensstil leistet als die Insulanerinnen. Einmal in der Woche steuert sie die Dhow an der Küste entlang, um sich einen Eindruck von Fortkommen auf der Baustelle zu verschaffen. Mit Block und Bleistift notiert sie, wie viel Holz in den nächsten sechs Wochen gebraucht wird, wie viel Kalk und Sand und so weiter.Ihr Büro in Kilwa Masoko – Masoko sind in der Landessprache Swahili „die Märkte“ – ist im Vergleich zu den Behausungen auf der Insel um einiges komfortabler. Im luftigen Hof muss man an drei Gelände-Wagen vorbei und steht in einem kleinen Raum mit Computer und Drucker, bis einem einfällt, dass Strom auch in Kilwa Masoko nur abends von acht bis neun zu haben ist. Kein Generator weit und breit. Man sei ein Relais zwischen den Baustellen, der Regierung und der UNESCO, meint Isaya. Auch müssten alle Neugierigen, die sich die Insel ansehen wollten, durch dieses Büro, um den Eintritt von einem Dollar zu bezahlen. Im nächsten Jahr werde man diesen Betrag anheben, damit auch die Inselbewohner etwas abbekämen. Schließlich sei es ihre Insel, die so viel koloniale Geschichte bewahre.Drei Dollar Lohn am TagIm Fort zeigt die Steinarbeiterin Mwajuma auf einen dunklen, zweistöckigen Raum. „Dort wurden die Sklaven eingesperrt, die vom Festland gebracht wurden.“ Bis zur Verschiffung nach Arabien oder zu einer französischen Zuckerplantage auf der Ile de France oder Bourbon (heute Mauritius und Réunion) mussten sie dort ausharren. An eine Rückkehr war nie gedacht.„Jahr für Jahr kommen mehr Besucher“, erzählt Mwajuma, „nicht nur Touristen aus dem Ausland, auch immer mehr Tansanier.“ Inzwischen ist sie stolz darauf, etwas für die Erinnerung an eigene Geschichte zu tun. Sie verdient 5.000 tansanische Schilling am Tag, etwas mehr als drei Dollar. Sehr viel mehr, als wenn sie weiter auf dem Markt der Insel sitzen und mit Fischen handeln würde. Ihr ältester Sohn Paul (19) betreibt inzwischen einen kleinen Laden für Mehl, Reis und Bohnen auf Mafia, der nächsten Insel im Norden von Kilwa. Kazimoto, der 18 wird, fährt als Fischer hinaus, und Said, der Elfjährige, ist bald mit der Grundschule fertig. Trotz der Arbeit am Fort, eine höhere Schule wird sich seine Mutter auch für ihn nicht leisten können. Es reicht eben nur für das Nötigste.
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