Die Einschaltquoten waren monumental und die Ereignisdramaturgie exquisit: Die amerikanischen Präsidentschaftsdebatten lieferten uns in mancher Hinsicht voyeuristische Blickkonstellationen nach dem Erfolgsrezept des Reality-TV. Während die Welt gespannt darauf wartete, ob George Bush es schaffen könnte, seine rechtspopulistische Politik zu verteidigen, verfolgte Amerika vor allem, ob der Präsident unter dem politischen Druck seines Herausforderers vollends die Contenance verlieren würde.
Der Zeitgeist, der wirtschaftliche Erfolge und kulturelle Leistungen im Paradigma der Performance bewertet, hat auch die politische Debatte nicht verschont. Der öffentliche Fokus zielt nicht mehr nur auf die inhaltlichen Aussagen der Kandidaten, sondern giert zunehmend nach den
d nach den charakterlichen Stärken und Schwächen der Männlichkeitsinszenierungen im Kamerabild. Der eigentliche politische Akteur solcher Rededuelle ist dabei in gewissem Sinne das Fernsehsofa. Auf dem häuslichen Bildschirm, ausgestattet mit Chipstüte und Rotweinglas, können die Kandidaten endlich Seite an Seite gesehen werden, nachdem schmutzige Werbekampagnen und virtuelle Gefechte für Monate die Spannung haben ansteigen lassen.Die amerikanischen Fernsehstationen, die einen Formatwechsel vom Rednerpultduell zum eher boxkampfähnlichen Zusammentreffen im Townhall-Ring unternahmen, strahlten Teile der Debatten erstmals in einer Bild-an-Bild-Übertragung aus, so dass beide Gegner gleichzeitig auf dem Bildschirm verfolgt werden konnten. Was an John Kerry bestach, war sein geradezu klassisches, demokratisches Diskussionsethos. Die agilen Bewegungen seiner großen Hände führten die Zuschauer durch komplexe Argumentationen. Kontrolliert inszenierte er sich als sauberer und moderater Kriegsheld. Überzeugend gab er den eloquenten Staatsmann, der sich mühelos im politischen Faktenwirrwarr zurechtfindet, das Gegenargument höflich in die Schranken weisen kann und sich an die Namen der Fragen stellenden Zuschauer erinnert. Etwas angespannt, doch hochgewachsen, schlank und von einer markanten Bestimmtheit, fehlte ihm nur ein gewisser Alain-Delon-Appeal zum definitiven Charme.Das Hauptaugenmerk der Debatten lag auf George W. Bush, dessen Kumpel-Image sein bisher größtes politisches Kapital gewesen war. In den diesjährigen Debatten schien die Inszenierung als texanischer Cowboy an ihre Grenzen zu stoßen. Grimassen schneidend schaute er irritiert in die Runde und schüttelte störrisch den Kopf. Er redete oft davon, wie hart sein Job sei, wiederholte seine simplen politischen Slogans bis zur nervenaufreibenden Redundanz und erweckte häufig den Eindruck eines trotziges und zu Wutanfällen neigenden Kindes, das seinen Spinat nicht essen will. Kerry spielte gekonnt in diese Performance-Falle hinein und schürte "Georgies" ödipalen Komplex, indem er mehrmals die bei weitem erfolgreichere Irakpolitik des Präsidentenvaters erwähnte. Nach dem nonverbalen Desaster der ersten Debatte bemühte sich der Präsident zwar redlich, nicht mehr so zornig dreinzuschauen, und wurde dafür auch von den dankbaren und eher am Spannungserhalt des Wahlkampfes interessierten amerikanischen Medien belohnt. Seine nach vorn gebeugte Körperhaltung jedoch, sein in die Leere starrender Blick, sein heftiges Atmen und seine oftmals unangebrachte Lautstärke ließen auf eine Menge aufgestauter Aggressionen schließen. Am deutlichsten blieb das stetige Knirschen seines Unterkiefers in Erinnerung. Der mächtigste Mann der Erde sah trotz seiner auf Hochtouren laufenden politischen Maschinerie verletzlich aus.Präsidentschaftsdebatten sind weniger ein spontanes Zusammentreffen als ein minutiös geplantes Schauspiel, in dem geschickte Wahrnehmungsmanipulation und psychologische Kriegsführung nur zwei der eingesetzten Strategien sind. Ein monatelang ausgehandelter, 32-seitiger Vertrag zwischen den Parteien legte nicht nur die Winkel der Kamera-Aufnahmen, das Makeup, die Requisiten und andere eher divenhafte Anforderungen fest, sondern regelte auch den bildlichen Körpergrößenausgleich der Kandidaten. Letzteres sah im Endergebnis ob der ins Auge fallenden Missproportionierung des amtierenden Präsidenten ein wenig skurril aus. Nach dem Ausklang des Kriegs der spin-doctors, die Journalisten mit detaillierten E-Mails bombardierten und auf allen Kanälen verkündeten, dass der eigene Kandidat der Überlegene gewesen wäre, sind letztlich aber vor allem die wenigen dramatischen Großaufnahmen und Wortfetzen erfolgsentscheidend, die von allen Fernsehsendern über Wochen wiederholt werden. Es wird dann unaufhörlich zu sehen sein, dass Kerrys roter Seidenschlips zu weißem Hemd und dunkelblauem Anzug zwar ein ausgezeichnetes Flaggenzitat abgab, sich George W. Bushs hellblaue Krawatte jedoch wesentlich aparter ins Fernsehambiente einfügte.