Flamme bin ich

Umwelt Nicht erst wenn sie brennen, stellen Wälder unsere Kultur radikal in Frage. Auch deshalb lohnt es sich, sie zu erhalten
Ausgabe 33/2018
Aus sicherer Distanz mag auch ein Buschbrand ein Spektakel sein. Aber Vorsicht! Niemand ist eine Insel
Aus sicherer Distanz mag auch ein Buschbrand ein Spektakel sein. Aber Vorsicht! Niemand ist eine Insel

Foto: Valery Hache/AFP/Getty Images

Angst geht ihren eigenen Weg. Ängste ziehen ihre Bahnen durch unseren Körper und unseren Geist, ohne dass wir sie kontrollieren könnten. Jeden Sommer, wenn die Flammeninfernos durch die Medien prasseln, werde ich zurückgeworfen in den kleinen Körper des Vier- oder Fünfjährigen vor einem riesigen Granitfindling, auf den ein kleines Kreuz gepflanzt ist. Auf einer Tafel steht lapidar vermerkt, dass hier am 6. September 1966 25 Feuerwehrmänner starben. Sie waren im Sintra-Gebirge von einer Feuersbrunst eingekesselt worden und erstickten. Wir lebten damals in Lissabon und kamen oft in das kleine Gebirge eine knappe Zugstunde nördlich, um dem Staub der Großstadt zu entkommen. Hier regnen die Westwinde ab und lassen an den Hängen eine üppige subtropische Vegetation sprießen und blühen, die Romantiker wie Lord Byron hingerissen besangen. Hier fegen die Atlantikstürme die Nordabdachung hinauf und werfen sich als kalte Fallwinde in die Stadt an der Tejo-Mündung. Der Pena-Park mit seinen schwarzen Schwänen und der Monserrate-Garten mit seinen Palmen an den Südostabhängen des Sintra-Gebirges waren für mich der Inbegriff von Harmonie und Geborgenheit. Und nur wenige Kilometer davon entfernt dieses Mahnmal der ständigen Gefährdung des Kindheitsparadieses – diese Stein gewordene Urangst, bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Waldbrände im Mittelmeerraum sind Teil von eng miteinander verwobenen Natur- und Kulturgeschichten. Die natürliche Bewaldung dieser Region ist durch die Veränderung der klimatischen Rahmenbedingungen seit der letzten Eiszeit besonders anfällig für natürliche Feuerursachen, doch auch hier liegen diese nur unbeträchtlich über den vier Prozent weltweit. Der Großteil der Brände geht auf den Menschen zurück, sei es durch bewusste Brandlegung, etwa um Weideland von Verholzung freizuhalten oder Bauland zu gewinnen, sei es durch Unfälle. Ob nun schon, wie Platon im Kritias schrieb, vor 2.400 Jahren der „dürre Körper des Landes“ infolge von Rodungen so stark auserodiert war, dass das attische Griechenland nur mehr dem „Knochen eines erkrankten Körpers“ glich, oder ob dies erst viel später geschah: Fernand Braudels These der longue durée des Mittelmeerraums als kulturellem und ökologischem Raum lässt sich am Leitfaden des Waldes sicher nicht beweisen.

Licht wird alles, was ich fasse

Gerne wird die historische Entwaldung in Griechenland auf die Herrschaft der Osmanen geschoben, doch – wie Joachim Radkau ausführt – „selbst Kolokotronis, der griechische Freiheitsheld, klagte darüber, dass Berge auf der Peleponnes, die zu türkischer Zeit noch bewaldet gewesen wären, nach der Befreiung in kurzer Zeit zu Kahlhängen geworden seien“. Die meisten Historiker gehen heute davon aus, dass die Bewaldung Griechenlands seit der Unabhängigkeit von 40 auf 14 Prozent gefallen ist. Jared Diamond spricht in diesem Zusammenhang vom „ökologischen Selbstmord“ des gesamten östlichen Mittelmeerraums.

Heute nun wird diese Erosionslandschaft durch einen enormen Siedlungswildwuchs überformt. Zwischen den Siedlungen beginnt, soweit es die Böden noch zulassen, wieder die natürliche Sukzession der Vegetation, da in diesen Bereichen keine Weidewirtschaft mehr betrieben wird. Das macht die diesjährigen Waldbrände in Griechenland so gefährlich: die Kombination eines schleichenden „ökologischen Selbstmordes“ mit den Folgen einer überhitzten, spekulativen Privatisierung von Fläche, oft in ökologisch sensiblen Lagen. Wenn man die Bilder der griechischen Feuersbrünste heute sieht, wird man den Eindruck nicht los, dass hier der Titan Prometheus an dem Feuer regelrecht erstickt, durch dessen Macht der Mensch in der antiken Mythologie erst zur Kultur befähigt wurde.

Die Wälder müssen jedoch nicht erst lichterloh brennen oder abgeholzt worden sein, um zum Politikum zu werden. Sie sind schon allein aufgrund ihres bedächtigen Wachstums ein solches. Jedenfalls sieht das Karl Marx so. Im Kapital notiert er bissig: „Wie komisch von den Bäumen, ihren Nachwuchs unabhängig von ihrem Tauschwert einzurichten!“ Wälder sind für ihn aufgrund der Eigenzeit ihrer Wachstumszyklen eine lebende Kritik an zwei Dingen: einerseits an der totalen Vernutzung allen Lebens durch die instrumentelle Rationalität, andererseits an einem Weltbild, das allein in der Arbeit Wertschöpfung und Sinnstiftung erkennt. Im zweiten Teil des Kapitals setzt Marx gewissermaßen die Zeit des Waldes gegen die Zeit der Produktion: Die langsamen Wuchszeiten (und, würden wir heute ergänzen, die ökologischen Mosaikzyklen) stehen im ständigen Konflikt mit den sich beschleunigenden Zyklen von Produktion und Konsum. Sie widersetzen sich selbst als Wirtschaftswälder einer völligen Vereinnahmung durch die Logik des Tauschwertes. Vorher fallen sie allerdings sowieso aus dem ökologischen Stoffwechsel – als anfällige Monokulturen, „unnecessary outdoor geometry“, wie der US-amerikanische Forstwissenschaftler Aldo Leopold über die deutschen Forste in den 1930er Jahren urteilte.

Kohle alles, was ich lasse

Wenn Markus Söder beispielsweise Ende Juli von der Zugspitze aus mit landesväterlicher Huld das Füllhorn ökologischer Segnungen über seine Gauen ausgoss, ging es nur darum, naturschutzfachliche Weitsicht durch den Mythos zu ersetzen, dass Bayern auch dann „die Vorstufe zum Himmel“ (Horst Seehofer) bleibt, wenn alle Fluren mit Nitraten getränkt oder versiegelt sind. Kein einziges seiner Projekte dient dem Natur-, nur wenige dem Umweltschutz: Es geht um technokratische Effizienzsteigerung und Infrastrukturmaßnahmen und darum, jeden ernsthaften Naturschutzgedanken durch das Mantra der Bayerischen Staatsforsten, „Schützen und Nutzen“, zu ersetzen. Das ist nicht prinzipiell falsch, doch wenn dieses Mantra alternativlos Geltung beansprucht, ist es gefährlich. Jede Diskussion über das Maß der Nutzung und deren Verträglichkeit gerät dann sofort unter Ideologieverdacht. In der bayrischen Diskussion wird das Mantra gezielt eingesetzt gegen Versuche, dringend benötigte Schutzgebiete auszuweisen, etwa die nun von Söder eingestampfte Idee eines dritten bayrischen Nationalparks.

Schutzgebiete erfüllen neben offensichtlichen ökologischen Zielen (etwa Biodiversitätsrichtlinien) wichtige gesellschaftliche Zwecke: Menschen können sich von den Zwängen der Produktionszeit erholen und die innere Logik der Waldzeit erfahren; hier treten sie ein in einen Raum, der sich nie ganz dem Diktat der Vernutzung unterwirft; hier wird spürbar, wie wichtig es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist, solche Räume als öffentliche Räume zu erhalten und zugänglich zu machen. Sie sind eines der wenigen Korrektive zum Totalitarismus des Tauschwertes, die wir noch haben.

Diesen Sommer hat es auch in Schweden gebrannt. Bald wird Mitteleuropa Risikogebiet für Waldbrände sein. Wenn es nicht gelingt, den Umgang mit dem Wald zumindest teilweise und prophylaktisch an der Waldzeit statt der Produktionszeit zu orientieren, sind wir für diese Zukunft denkbar schlecht gerüstet. Wenn wir nicht vom „Schützen und Nutzen“ zu einer Ethik des Nießbrauchs gelangen, haben wir die Prioritäten falsch gesetzt. Auch wenn wir uns in Mitteleuropa oft wie auf einer sicheren Insel fühlen, sind wir doch nur die Bewohner einer welthistorischen Atempause. Die Brand-Kataklysmen, die uns die Medien in homöopathischen Dosen verabreichen, sind ja nur selektive Wahrnehmungen globaler Verbrennung – des Stoffwechsels von Materie und Arbeit, der ebenso außer Kontrolle geraten ist wie viele Buschfeuer und Waldbrände. W.G. Sebald schrieb in Die Ringe des Saturn vor bald 25 Jahren: „Die Verkohlung der höheren Pflanzenarten, die unaufhörliche Verbrennung aller brennbaren Substanz ist der Antrieb für unsere Verbreitung über die Erde ... Die ganze Menschheitszivilisation war von Anfang an nichts als ein von Stunde zu Stunde intensiver werdendes Glosen, von dem man nicht weiß, bis auf welchen Grad es zunehmen und wann es allmählich ersterben wird.“

Irgendetwas muss der kleine Junge schon geahnt haben von diesem Glosen, als er – den Schatten der Rhododendren und Palmen im Rücken – auf den Granitblock starrte, aus dem ihm der Vater den Tod der 25 Feuerwehrleute 1966 im portugiesischen Sintra-Gebirge herausbuchstabierte. Jedenfalls sind seine Albträume seitdem aus diesem Stoff gemacht.

Bernhard Malkmus unterrichtet deutsche Philosophie und Literatur an der Newcastle University in Nordengland

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