Der Arbeitslose ist immer arbeitslos. Im Gegensatz zum Arglosen, der vielleicht im Hauptberuf Beamter ist oder zum Niveaulosen, der als Talkmaster sein Dasein fristet. Der Arbeitslose ist arbeitslos. Immer. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Er hat keinen Feierabend, kein Wochendende und keinen Urlaub. Für ihn gilt die 168-Stunden-Woche. Keine Gewerkschaft der Welt hat sich bisher für die Verkürzung der Wochenarbeitsloszeit eingesetzt.
Am Anfang ist das ja noch ganz nett. Ein bisschen länger schlafen, ein bisschen länger frühstücken, abends ein bisschen länger fernsehen. Natürlich hat das nichts zu tun mit dem, was die langzeitarbeitslose Nachbarin macht, die, das ist ja bekannt, erstens säuft und zweitens morgens bis zehn den Rollladen unten hat. Wann ist er gestern aufgestanden? Viertel vor zehn? Na gut, war eine Ausnahme und nach vier Halben ist man ja auch nicht ganz so fitt. Klar bekommt er bald wieder was, mit seiner Qualifikation und seinen Zeugnissen, flexibel, motiviert, nicht vorbestraft. Zehn Bewerbungen hat er in den ersten fünf Tagen geschrieben, ist doch gar nicht so schwer, wer seine Zukunft in die Hand nehmen will, findet auch was. Schon nach zwei Wochen hat er die erste Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, das klappt doch wie am Schnürchen. Er hat es ja schon immer gewusst, gute Leute werden immer gesucht, und den Rest des Tages in der Sonne sitzen, herrlich.
Nach einigen Wochen merkt er, dass er auf etwas wartet. War das sein Briefkasten, der da geklappert hat oder doch der von der Nachbarin? Warum ruft eigentlich niemand an? Wahrscheinlich ist gerade Urlaubszeit in den Personalabteilungen. Du, arbeitslos? fragen seine Freunde, mit deiner Qualifikation und deinen Zeugnissen, flexibel, motiviert, nicht vorbestraft. Und irgendwann fällt das Wort "wollen", dieses kleine unscheinbare Wort, das an ihm nagt, und sich in den Nächten, in denen er nicht schlafen kann, immer tiefer in seine Seele gräbt. Auf den Partys, wo seine dynamischen Bekannten lautstark über die Zwangsabgaben herziehen, die der Staat ihnen abzockt, und Hungertücher zum Nagen angeboten werden, wird er ganz still. Früher war er doch immer im Mittelpunkt gestanden, hatte die besten Sprüche drauf - sag doch auch mal was.
Nachts vor seinen Vorstellungsgesprächen wälzt er sich stundenlang von einer Seite auf die andere und überlegt, was sie ihn wohl fragen würden, was er anziehen, wie er auftreten soll. Morgens ist er entsprechend gerädert. Dann die Gespräche. Eine Phalanx grauer Herren, ab und zu einmal eine nicht minder graue Dame, er auf dem Armesünderbänklein. "Treten Sie selbstbewusst auf, Sie sind gleichberechtigter Partner eines Gesprächs unter gleichen" lassen die Vorstellungsgesprächratgeber verlauten. Entweder waren diese Schreiberlinge noch nie bei einem solchen Gespräch oder saßen auf der anderen Seite.
An die nahe an der Beleidigung liegenden Fragen gewöhnt er sich nie. Das gehört, so wurde ihm gesagt, zu den Spielregeln. Für ihn ist das Ganze aber schon lange kein Spiel mehr. Dann die Absagen: "Sehr geehrter ... leider ... äußerst schwergefallen ... fast gleiche Qualifikation ... Mitbewerber ... für Ihren zukünftigen Lebensweg alles Gute ... freundlichen Grüßen." Diese Platte kann er nun wirklich nicht mehr hören. Schließlich hat er von ihr schon zig Exemplare zu Hause. Mal mit echter, mal mit fotokopierter Unterschrift. Manch ein ex- potenzieller Arbeitgeber meint ihn noch mit dem Textbaustein "Bitte betrachten Sie dies nicht als Wertung Ihrer Person" aufmuntern zu müssen. Wenn er es nicht ohnehin getan hätte, spätestens nach der Lektüre dieses Satzes würde er die Absage genau so betrachten. Wenn ihn am Samstag auf der Straße sein Nachbar mit einem freudigen "Herrlich, endlich Wochenende" begrüßt, geht er still in seine Wohnung. Und die Bekannte, die kürzlich am Telefon über die Sozialschmarotzer hergezogen hat, nein, da ruft er nicht mehr an. Es sind viele, die er nicht mehr anruft. So falsch scheint er damit nicht zu liegen, es hat sich noch keiner bei ihm darüber beschwert. Komisch eigentlich.
Irgendwann guckt er morgens in den Spiegel und erschrickt. "Wie lebt es sich eigentlich in der sozialen Hängematte?" fragt der Spiegel, "hast du dein Rundumsorglospaket heute schon abgeholt, du vollkaskoversicherter Faulenzer?"
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.