Fliegt es uns gleich um die Ohren?

Shootingstar Alicja Kwade lässt in der Rotunde der Kunsthalle Schirn die Zeit Kreise ziehen
Ausgabe 15/2015

Eine Bahnhofsuhr kreist mit gehöriger Geschwindigkeit über den Köpfen. An einem dünnen Band pendelt sie durch die Rotunde der Frankfurter Schirn. Außerdem dreht ein brauner Steinklumpen seine Runden, ein archaisches Ding. In den mit Spiegelfolie verklebten Fenstern bilden sich beide zigfach ab. So entsteht eine Kammer. Nur der Blick in den Himmel bleibt durch das Glasdach frei.

Die bewegte Leere des Moments hat die Berliner Künstlerin Alicja Kwade, Jahrgang 1979, geboren im polnischen Katowice, ihre Rauminstallation getauft. An ein Kettenkarussell muss man denken. Aus Lautsprechern hört man das Ticken der Uhr. Und die Windgeräusche, die die Objekte auf ihrer Flugbahn erzeugen. Dröhnend schallt es aus der Rotunde. Die Fläche im Eingang der Schirn ist halb öffentlicher Raum, halb Museum. Seit einigen Jahren werden hier Werke ausgestellt, selten sind sie so beeindruckend wie Kwades Installation.

Richtig geheuer ist das Werk den meisten Besuchern nicht. Zögerlich verharren sie am Rand und starren in die Luft. Kaum einer traut sich unter die kreisenden Geschosse, die Blicke bleiben skeptisch. Fragen, die uns Kwades Werk stellt: Trauen wir dem Konstrukt? Trauen wir der Wissenschaft? Oder fliegt uns das Ganze hier gleich um die Ohren? Könnte nicht auch alles ganz anders sein? „Ein Staunen“ bestimme ihre Arbeit, hat Alicja Kwade einmal in einem Interview gesagt. „Das Staunen und die Hilflosigkeit, die ich gegenüber diesen Zuständen und der Unerklärlichkeit des Ganzen habe, inspirieren mich.“ Alicja im Wunderland: Diese Überschrift wurde immer wieder benutzt, wenn über die Künstlerin geschrieben wurde.

Kwade ist fasziniert von den Phänomenen der Natur, von der Physik – und von den wissenschaftlichen Erklärungsversuchen, die uns diese Phänomene begreifbar machen sollen, deren Gültigkeit aber häufig begrenzt ist. Den Illusionisten Harry Houdini hat sie oft als wichtigen Einfluss genannt. Genauso wie den Elektroingenieur Nikola Tesla, der den Wechselstrom erstmals nutzbar machte. Er glaubte aber auch an Außerirdische. Den Stephen-Hawking-Klassiker Eine kurze Geschichte der Zeit las Kwade mehrfach. Dass die Dinge häufig nicht so sind, wie sie scheinen, hat sie schon 2006 mit Kohle (Rekord) gezeigt. Einen Stapel handelsübliche Briketts hat sie dafür mit Blattgold umhüllt und auf einen Sockel gehievt.

Kennt man die wissenschaftlichen Diskurse, die Kwades Arbeiten zugrunde liegen, fragt man sich umso mehr, warum ihr Werk mit solch stoischer Vehemenz als oberflächlich und marktkonform beschrieben wird. Liegt es an der Omnipräsenz der Künstlerin? Auf den Partys der Berliner Kulturszene ist Kwade regelmäßig zu Gast, der Hipster-Blog Freunde von Freunden hat ihr eine Homestory gewidmet. Vor allem aber ist ihr Output enorm. Vielproduzierer wie Kwade, aber etwa auch Ólafur Elíasson oder Tobias Rehberger sind zwar erfolgreich, gelten aber trotzdem als suspekt. Wer als Werkstattleiter mit einem Tross an Mitarbeitern auffällt, passt nicht ins unverwüstliche Bild vom genialen, einsamen Künstlergenie. Alicja Kwade scheint das nicht groß zu scheren. Ihre nächste große Einzelausstellung, in Mannheim, eröffnet im Juli.

Ausstellung

Alicja Kwade. Die bewegte Leere des Moments Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, bis 14. Juni

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