Flipper hat nichts mehr zu lachen

Delfin-Fang Drive Fisheries nennt man die blutige Prozedur, bei der jährlich viele Tausende von Delfinen zu Grunde gehen - die besten Tiere fängt man ein, hält sie in Gefangenschaft, wo sie uns für viel Geld amüsieren oder therapieren sollen

Jedes Jahr zwischen Oktober und April werden in Japans Gewässern mehr als 20.000 Kleinwale, darunter tausende Delfine, meist auf offener See eingekreist, in Lagunen getrieben und im flachen Wasser mit Schlachterhaken und langen Messern zu Tode gehackt. "Drive Fisheries" heißen diese Massenzerstückelungen. "Hunderte von Tieren werden dabei aussortiert und an die Multi-Milliarden-Dollar Dolphin-Captivity-Industry verkauft", so Ric O´Barry. O´Barry - in den sechziger Jahren Trainer der fünf in Biscayne Bay gefangenen Delfine für die TV-Serie Flipper, die vor 40 Jahren das erste Mal im US-Fernsehen lief - arbeitet seit 1970 als Walschützer, derzeit im Auftrag der französischen Tierschutzorganisation One Voice.

Der 64-Jährige hat gerade in der japanischen "Drive-Fishery"-Hochburg Taiji ein solches Gemetzel gefilmt. "Das war nicht nur das Grausamste, was ich in den 40 Jahren meiner Arbeit mit Delfinen gesehen habe. Wir konnten auch zum ersten Mal dokumentieren, wie die "Flipper" über Nacht dicht gedrängt gefangen gehalten werden - bis um fünf Uhr früh ihre Schlächter kommen, in Begleitung von Dutzenden Lebenddelfin-Händlern und in Neoprenanzüge gehüllte Tiertrainer der Marineparks."

Lukrative Wildfänge

Wie O´Barry berichtet, waten die Fänger teilnahmslos mitten ins Delfin-Getümmel und picken sich vorzugsweise junge Weibchen heraus - wobei Muttertiere und Babys, die in der Natur fünf Jahre unzertrennlich zusammenleben, separiert werden -, schnüren ihnen Stricke um die Schwanzflossen und ziehen sie so an Land. Dort findet der finale Selektionsprozess statt: In einem stundenlangen Prozedere werden Delfine ohne Blessuren gesucht, bis die "Auserwählten" schließlich auf Bahren abtransportiert werden, während die zu alten, zu jungen, zu dicken und zu verletzten nach dem oben beschriebenen Muster getötet werden.

Fischer und Delfinfang-Business arbeiten dabei Hand in Hand. Der Verkauf des mit Schwermetallen stark belasteten Delfinfleisches (unter anderem als Hundefutter) wirft kaum Gewinne ab, während der Handel mit Wildfängen sehr lukrativ ist. O´Barry geht daher davon aus, dass die Drive-Fisheries nur dank der Einkäufe der Captivity-Industrie noch existieren. Entsprechend besorgt beobachten Fachleute daher, dass die Zahl der Wildfänge wieder deutlich zunimmt - nicht nur in Japan mit seinen 40 Delfinarien und einer der größten Delfinfang-Industrien, sondern weltweit.

So beherbergen Aquarien traditionell eine feste Anzahl abgerichteter Delfine, um die Massen zu vergnügen. Hingegen gilt bei moderneren Einrichtungen wie Swim-with-Dolphins- und Delfintherapie-Programmen oder Streichelzoos (Dolphin-Petting-Pools), die meist an Delfinarien angeschlossen sind, die Formel: je mehr Delfine, desto mehr Zeit mit Delfinen kann verkauft werden. Und die Nachfrage ist riesig, erhoffen sich Menschen von der hautnahen Begegnung mit Delfinen doch auch spirituelle Erfahrung oder gar die Heilung von Krankheiten. "Aktuelle Schätzungen gehen von 200 Delfinarien in 60 Ländern aus", so Beatrice Miranda von der Arbeitsgruppe zum Schutz der Meeressäuger Schweiz (ASMS), "Tendenz stark steigend".

Genau wie die Preise: Kostete ein lebender Delfin in den sechziger Jahren nur 300 Dollar, blätterte etwa Sea World in Florida 2002 bereits 130.000 Dollar für ein Exemplar hin. Wobei Händler sogar berichten, sie könnten ein Delfinkalb für mehr als 400.000 Dollar verkaufen. Die Meeressäuger sind mittlerweile so wertvoll, dass die Marineparks sie als Kreditsicherheit verwenden, denn Delfine werfen derzeit so viel Profit wie kaum ein anderes Tier ab: Bis zu einer Million Dollar erwirtschaften die Parks mit einem einzigen Tümmler pro Jahr. Und noch im toten Zustand sind sie eine Geldquelle - wenn es zur Auszahlung der Lebensversicherung kommt oder herzzerreißende Todesanzeigen ehemalige Park-Besucher dazu veranlassen, Trauer-Geschenke zu schicken.

Verstoß gegen Artenschutzabkommen

Parallel dazu häufen sich die Berichte von "Dolphin Captures". So fand vor den Solomon Inseln im Pazifik im Sommer 2003 die größte von internationalen Behörden je registrierte Delfinfangaktion statt, bei der mindestens 100 Große Tümmler aus dem Meer gezogen wurden. 30 von ihnen wurden sogleich in die mexikanische Touristenhochburg Cancun geflogen und dort in den Water and Adventure Park Parque Nizuc, an den eine Schwimmen-mit-Delfinen-Stätte angeschlossen ist. Doch bestätigte sich vor kurzem, dass die Importbewilligungen, die Mexikos Umweltministerium ausgestellt hatte, illegal waren. Denn als Mitglied des Artenschutz-Übereinkommens (CITES) hätte das mittelamerikanische Land vom Exportland - den Solomon Islands - einen Nachweis verlangen müssen, dass der Fang keine Gefährdung für die lokalen Delfinpopulationen darstellt, was aber nie geschah.

Doch kann schon die Entnahme eines Tieres, die in sehr kleinen und komplexen - und somit besonders sensiblen - Sozialverbänden leben, den Bestand einer Gruppe empfindlich treffen. Dies gelte gerade für den klassischen Marinepark-Delfin, den Großen Tümmler, der zugleich von "Live Captures" am schwersten betroffen sei, stellt die Organisation ACCOBAMS (Agreement on the Conservation of Cetaceans of the Black Sea, Mediterranean Sea and Contiguous Atlantic Area) fest. Zumal allein die Verschmutzung der Meere mit Giften und Lärm und die Hochseefischerei die vermeintlich stets lächelnden Delfine arg beeinträchtigen. Zudem dürfte kaum einem Besucher des Parque Nizuc bewusst sein, dass mindestens ein Delfin kurz nach seinem Eintreffen verstarb. "Im Extremfall können nach Fangaktion, Zwischenlagerung, Transport und Eingewöhnungszeit in Gefangenschaft fünf von zehn Meeressäugern tot sein", schätzt Miranda.

Gefangenenleid in den Delfinarien

Die Überlebenden wiederum leiden in Gefangenschaft. "Die Haltung von Delfinen in einem Delfinarium ist unproblematisch, und man kann sie so halten wie alle anderen Zoo-Tiere auch", behauptet zwar Ulf Schönfeld vom Zoo Duisburg und vertritt damit die Meinung der meisten seiner Berufskollegen. Die Bewegungsfreiheit der Tiere sei nicht das grundsätzliche Problem, "was sie brauchen, ist sinnvolle Beschäftigung". Beweise dafür hat Schönfeld freilich nicht. Hingegen konnte Georgia Mason von der Universität Oxford in einer im Wissenschaftsmagazin Nature kürzlich veröffentlichten Studie zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen dem Bewegungsverhalten von Fleischfressern in freier Wildbahn und Problemen in Gefangenschaft nachweisen.

Als Beispiel nennt Mason Eisbären, bei denen das Verhältnis von Minimalauslauf in Freiheit und Gehege-Auslauf bei einer Million zu eins liegt. Folge: gravierende Verhaltensprobleme und eine hohe Jungtiersterblichkeit. Was auf Delfine, die oft mehr als 100 Kilometer am Tag umherschwimmen, durchaus übertragbar ist. Denn auch bei den Meeressäugern ist stark gestörtes Verhalten zu beobachten: gesteigerte Aggression gegen Artgenossen und Menschen, Apathie oder Bewegungsstereotypien wie im Kreis schwimmen oder immer an der gleichen Stelle zum Atmen auftauchen. Zudem fühlen sich die Tiere in Gefangenschaft mit häufig gechlortem Beckenwasser und einer Reizarmut, die geringer ist als in jedem Heimaquarium, so unwohl, dass sie sich in einer solchen Umgebung nur sehr schlecht vermehren - nicht zuletzt, weil die Jungtiersterblichkeit so hoch ist.

Dennoch hält die Delfinfang-Industrie nichts auf. Allein für den Großen Tümmler nennt die WDCS (Whale and Dolphin Conservation Society) drei riesige Fangzonen. "Neben dem Pazifik und Japan, wo Delfinarien in asiatischen Ländern wie Japan, Taiwan oder China beliefert werden, gibt es die Region Westatlantik und Kuba, von wo aus unter anderem Spanien oder Lateinamerika versorgt werden", so Nicolas Entrup von WDCS. "Während etwa der arabische Raum Delfine aus Russland oder dem Schwarzen Meer bezieht." Zudem will man neue Fanggründe erschließen, etwa in Mittel- und Südamerika oder Westafrika. Hauptabnehmer sind Schwimmen-mit-Delfinen-Programme, die Fachleuten zufolge gerade in weltweiten Touristikzentren "wie Pilze aus dem Boden schießen". "Etwa in Jamaika, Anguilla, Antigua, Bermudas, St. Lucia, Cayman Islands und vielen anderen Karibikstaaten", weiß Walschützer O´Barry. Allein in Mexiko gibt es inzwischen mehr als ein Dutzend solcher Programme.

Die Heilkraft der Delfine

Diese Entwicklung bestätigt auch eine erstmalige Auswertung des US-Marine-Mammal-Report durch Journalisten des "Sun-Sentinel" aus Südflorida. Die staatlichen Dokumente repräsentieren die über 30 Jahre hinweg aufgezeichnete Geschichte der Marine-Parkindustrie. Ergebnis: Der Handel mit Meeressäugern floriert, so dass Touristen nun allein in der Karibik in mehr als 30 Marine-Attraktionen - doppelt so viel wie noch vor fünf Jahren - mit Delfinen schwimmen können. Und Kuba ist mittlerweile größter Exporteur von Großen Tümmlern und hat seit 1995 mindestens 140 Delfine an Aquarien in neun Ländern verkauft, darunter Mexiko, Argentinien, Spanien und Israel. Da die Daten von den Marineparks selbst an die Behörde gemeldet werden, fehlen nicht nur viele Angaben, sondern diese sind oft auch noch falsch. Auf der Website des Zoos von Indianapolis hieß es beispielsweise, dass die Delfine im Schnitt ein Alter von 37 Jahren erreichen - tatsächlich aber wurde kein Delfin älter als 21. Darüber hinaus sind selbst in den US-Parks, die unter bundesstaatlicher Aufsicht stehen, die Behörden-Checks oft absolut unzureichend. Experten befürchten daher, dass es in weniger entwickelten Ländern um Kontrollen noch schlechter bestellt ist.

Neben den Schwimm-Programmen ist die Delfintherapie eine treibende Kraft. Laut Sakae Hemmi, Direktor der japanischen Organisation Elsa Nature Conservancy, beherbergt allein Nippon "mehr als zehn Schwimmen-mit-Delfinen-Zentren, die sehr wahrscheinlich bald auch Delfintherapie-Programme starten werden". Von diesen Stätten der Dolphin-Assisted-Therapy (DAT) gibt es "in Japan schon fünf, von denen drei ihre Pforten im Jahr 2003 öffneten", so Hemmi. "Und zwei Zentren - in den Regionen Okinawa und Nagasaki - befinden sich zurzeit im Aufbau." Genau wie das DAT-Center auf Curacao. Nach Angaben der EuroArab Management School sollen aufgrund der weltweit hohen Nachfrage nach DAT pro Jahr mindestens zwei neue DAT-Zentren aufmachen, unter anderem in den USA, Südeuropa, Jordanien und Südamerika.

Die DAT-Betreiber werden dabei nicht müde, überall zu verkünden, die Wirksamkeit der Delfintherapie sei längst bewiesen - und spannen für ihre Promotion Musikgrößen wie Peter Maffay oder Fury in the Slaughterhouse ein, die eine CD mit Beatles-Songs wie With a little help from my friend aufnahmen. Dabei gibt es keine Studie in einem Peer-reviewed (von Experten begutachteten) Journal, die eine nachhaltige Wirksamkeit der DAT oder gar dessen Überlegenheit im Vergleich zu anderen Therapieformen belegt. Auch ist die angebliche Heilkraft des Ultraschalls von "Doktor Delfin" wissenschaftlich nicht haltbar. Und vor allem: Die Auswirkungen auf die Tiere selbst wurden noch nie untersucht. "Doch selbst wenn Delfine heilen könnten, was nicht belegt ist, so würde dies nicht rechtfertigen, dass wir die Tiere einsperren, um ihre Nähe zu genießen", gibt Miranda zu bedenken. "Delfine haben erwiesenermaßen ein Ich-Bewusstsein und treffen fortwährend bewusst Entscheidungen - daher haben sie ein Recht auf Freiheit."


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