A-Z Hausmusik Hausmusik ist längst mehr als ein Ritual bürgerlicher Selbstvergewisserung. Zum "Tag der Hausmusik" zeigen wir, was Musizieren in den eigenen vier Wänden bedeuten kann
Authentischer Ort Im sogenannten Schumann-Haus in Leipzig verlebten Clara und Robert Schumann glückliche vier Jahre in persönlicher wie künstlerischer Hinsicht. Einen Tag nach seiner Hochzeit am 13. September 1840 bezog das Paar hier die erste gemeinsame Wohnung. Zwei seiner Kinder wurden im Klassizismus-Bau geboren, Robert Schumann konnte sich als Künstler – sein Arbeitszimmer existiert noch – etablieren. Auch Clara schrieb hier zahlreiche Werke. Dieser Schumann’sche Musizierort gedieh in kurzer Zeit zum Mekka der Hausmusik. Neben Freunden und Verwandten kamen berühmte Gäste wie die Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Liszt im Saal zusammen. Der ist heute original rekonstruiert und lässt bei regelmäßigen Konzert
nz Liszt im Saal zusammen. Der ist heute original rekonstruiert und lässt bei regelmäßigen Konzerten die Hausmusikhochzeit wieder aufleben. Tobias PrüwerBBürgertum Anfänglich förderte der Adel die Musik. Ab dem 18. Jahrhundert übernahm dies das Bürgertum und entwickelte einen kunstsinnigen Habitus. Die Hochkultur wurde ihm zum Distinktionsmerkmal gegenüber adligen Eskapaden und Unterschichten-Derbheit. Damit gewann die Hausmusik an Bedeutung. Man zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und musizierte daheim. Da die musikalische Erziehung gerade für Bürgertöchter zum guten Ton gehörte, stand immer eine Hausmusikkapelle parat. Dabei ging es nicht um Karrieren als Künstlerinnen, wie bei Clara Schumann (➝ Authentischer Ort), sondern darum, eine gute Partie zu machen. In der Biedermeier-Wohnstube feierte die Hausmusik ihre große Zeit. Mit der neuen Bürgerlichkeit und ihrem Geigenunterricht schon für ganz Kleine lebt diese private Abschottungspolitik gegenwärtig wieder auf. Am 22. November wird jährlich der „Tag der Hausmusik“ begangen. TPIInsolvenz Man mag von Gunter Gabriel halten, was man will. Ob er nun als deutscher Johnny Cash taugt oder nicht, sei dahingestellt. Immerhin hat er es mit einer cleveren Idee geschafft, einen Haufen Schulden abzubauen. Nachdem er sich 2007 in einer NDR-Talkshow öffentlich zur Pleite bekannte, schlug er gleichzeitig vor, Wohnzimmerkonzerte für eine Gage von 1.000 Euro zu geben. In den darauffolgenden Jahren spielte er über 800 solcher privaten Gigs. Zwar erzählte er einst im Playboy, dass er einigen weiblichen Fans verständlich machen müsse, dass er „ein Cowboy sei, aber kein Callboy“. Doch im Grunde hat er durch die „volksnahen“ Auftritte seine Fanbase erheblich gefestigt. Sophia HoffmannJJammen Wie schön eine private Jam-Session sein kann, lernte ich bei kolumbianischen Freunden, als neben einem schäbigen Klavier eine gut gestimmte Bassgitarre die Runde machte. Wie unschön eine private Jam-Session sein kann, erahnte ich am Gesichtsausdruck einer Besucherin in unserer WG. Während mein Mitbewohner virtuos am Klavier klimperte, lehnte ich lässig im Türrahmen und sang improvisierte, lebensweltliche Texte. Etwa: „Ich bin traurig, weil meine Heizung so kalt ist.“ Es war der Höhepunkt einer WG-internen Kommunikationskultur, die sich kurzfristig rund um das Klavier etabliert hatte und nach einigen Wochen wieder verschwand. Wir einigten uns darauf, dass es an der musikalischen Weiterentwicklung hapere. Juliane LöfflerMMotivation In der Familie meiner Mutter wurde schon immer fleißig zu Hause musiziert. Meine Oma am Klavier, Opa an der Geige und die drei Töchter lieferten, wie die Orgelpfeifen, den mehrstimmigen Gesang dazu, Marke deutsches Liedgut. Dieses Idyll der Wirtschaftswunderjahre mutet vor meinem inneren Auge an wie eine astreine Kopie der Heimatmusicalschnulze The Sound of Music. So war es wohl auch. Später widmete sich Mama dem Gitarrenspiel und traf sich fast 20 Jahre lang alle zwei Wochen mit einer guten Freundin zur Stubenmusik. Diese klopfte das Hackbrett weich und man spielte Bayerisches, aber manchmal auch Bach, dazu gab es Tee und Kekse. Meine Mutter liebte diese Treffen und nennt das Musizieren gerne ihr Seelen-Yoga, weil es ihr Entspannung verschafft und den Geist trainiert. Mein Vater macht sich gerne lustig über diese Aktivität, ihm, dem geborenen Entertainer, erscheint es sicher befremdlich, dass man sich einfach nur so, ohne Publikum zum Musizieren trifft. Mama ignoriert seinen Spott und genießt den Moment. Gut so. SHNNachbarn Alle meine Hausnachbarn lieben Musik: Oberhalb und unterhalb meiner Wohnung, die Bewohner rechts und links unserer Etage – einfach alle. Jeder von ihnen übt tagtäglich sein Instrument, singt oder dreht seine Musik gerne richtig laut auf. Von Country über die Schrammelgitarre bis zu Drum’n’Bass ist jedes Genre vertreten. Die dünnen Wände unseres Hauses führen dazu, dass ich jeden musikalischen Fortschritt meiner Nachbarn mitverfolgen kann, aber auch jeden Rückschlag. Die kreisenden Flugzeuge über unserem Haus tun ihr Übriges. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Tochter manchmal ziemlich laut rumschreit, was vermutlich wiederum die Nachbarn stört. Insofern haben wir uns im Haus auf eine friedliche, genervte Koexistenz geeinigt. Marie MohrmannPPatronin Cäcilia war so fromm und keusch, dass sie niemanden an sich ließ außer Gott. Mit ihm kommunizierte sie der Legende nach, wenn Spielleute musizierten. Der Trick: Sie hörte nicht deren Lieder, sondern ein eigenes, das sie mit Gott verband. Wäre damals der Plattenspieler erfunden gewesen, hätte sie die Platten vermutlich rückwärts gehört. Cäcilias göttliches Gehör machte sie später zur Patronin der Hausmusik. Zur Heiligen wurde sie, weil sie angeblich kaum etwas umbringen konnte. Man setzte sie erst in kochendes Wasser, ihr war kühl. Dann versuchte sie ein Henker dreimal zu enthaupten. Die Christen haben eine wirklich scheußliche Fantasie. Mark StöhrQQual Jahrelang jeden Freitag dasselbe Drama: Klavierstunde. Alptraum. Wieder zu wenig geübt, mein Privatlehrer verzweifelt, ich in Tränen aufgelöst. Meine Mutter hatte deutlich mehr Interesse an meinem musikalischen Vorwärtskommen als ich. Schließlich sollte ich, wie sie, einmal Organistin werden. So war der Plan, wenn auch nicht meiner. Es begann harmlos: Flötenunterricht in der Grundschule, später Klavierunterricht. Nur war ich nicht publikumstauglich. Schon der erweiterte Familienkreis reichte aus für nasse Hände, Atemnot und einen hochroten Kopf – und was allein vielleicht noch ganz passabel geklungen hatte, wurde mit Publikum zum Holperparcours. Entweder mit unerträglich peinlichem Flötengequietsche oder mit immer neuen Ansätzen desselben Stücks. Der Satz „spiel’ doch mal was“ löst heute noch Schweißausbrüche aus, zu quälend sind die Erinnerungen. Irgendwann hab ich Gitarre gelernt, weil ich es wollte. Für einen Beruf hat es nicht gereicht, aber heute spiele ich gern. Für mich. Jutta ZeiseSStraßenmusiker Berlin ist die Hauptstadt der Straßenmusiker, das wusste meine kleine Schwester. So kam es, dass sie mir zum Geburtstag fünfzig Euro schenkte, mit denen ich einen Straßenmusiker zu mir nach Hause fürs private ➝ Jammen einladen sollte. Was sie nicht wusste: In Berlin spielen wohl sehr viele Musiker auf der Straße, doch nur wenige sind auch gut. So verbrachte ich Monate, ja Jahre damit, mich in einer Jury à la DSDS zu wähnen – nur dass niemand davon wusste. Es mag sein, dass Musiker in Berlin von der Straße weg an einen Plattenvertrag geraten. Zu mir in die Wohnung geriet bis heute keiner: Wenn auch zufällig an einem lauen Abend endlich ein Gitarrist mit melodischer Stimme nahe dran war. Nummern wurden ausgetauscht, natürlich hieß er John und kam aus Kentucky. Die private Party war schnell verkündet – und auch schnell wieder abgesagt. Schuld war eine Magenverstimmung. Als diese weg war, war John längst weitergezogen. Gina BucherTTote Hosen I Es heißt, der Mensch verrate sich durch seine Vorlieben. Besser noch erkennt man ihn aber an seinen Abneigungen. Deshalb hier die Liste der Musiker, die ich auf gar keinen Fall in meinem Wohnzimmer spielen lassen würde: Norah Jones, Bruce Springsteen, und unter Androhung körperlicher Gewalt nicht: die Toten Hosen. Mikael KrogerusTote Hosen II Man tut den Toten Hosen Unrecht, wenn man ihnen das Punksein abspricht. Wie ernsthaft sie sich in der Bewegung verorten, sieht man allein daran, wie barrierefrei sie ihre Musik gestalten. Bloß keine komplizierten Texte, nicht zu viele Akkorde und keine große Hürde, sie live zu sehen. Seit der Bandgründung lassen sie sich von Fans zu Konzerten nach Hause einladen. Und weil ich mich gern an ein paar Hosen-Auftritte von früher erinnere, könnten sie gern auch in meinem Wohnzimmer spielen. Jan PfaffVVerlust Der Deal an Weihnachten ist so alt, wie ich denken kann: Erst Gesang, dann Geschenke. Als Kind war das ein starkes Stück, aber es half nichts. Man stellte sich um den Baum und sang jeweils drei Strophen von „Ihr Kinderlein, kommet“, „O du fröhliche“, „Still, still, still“, „Leise rieselt der Schnee“, „O Tannenbaum“ und als Zugabe für Fortgeschrittene: „Es ist ein Ros’ entsprungen“. Das konnten nur die Alten. Sie waren überhaupt die Takt- und Textgeber dieser gesanglichen Geduldsproben. Mit jeder Oma und jedem Opa, der das Zeitliche segnete, starben gleich mehrere Strophen. Einer Oma verschlug es einmal buchstäblich während der Singerei die Sprache: Sie hatte einen Schlaganfall. Mit ihr verloren wir die letzte kundige Stimme. Heute hat jedes Lied nur noch eine Strophe, „Es ist ein Ros entsprungen“ ist ganz verschwunden. Ein Jammer für die Hausmusik. Ein Segen für die Kinder. MSZZither In Irland heißt sie „German Bouzouki“: Um 1900 in Thüringen aufgekommen, ist die Waldzither ein klingender Beweis, dass nicht nur das ➝ Bürgertum der Hausmusik frönte. Auch die einfachen Menschen sangen während der Heimarbeit und griffen danach zu Instrumenten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade durch Thüringen, wo Weisen wie „Hoch auf dem Gelben Wagen“ und „Oh du fröhliche“ geboren wurden, mit der Waldzither ein Volksmusikinstrument populär wurde. Tatsächlich ist das neunsaitige Zupfinstrument keine Zither, sondern zählt wie die portugiesische Gitarre zu den Kastenhalslauten. Nachdem sie in Arbeiterkreisen gespielt wurde, fand die Waldzither auch in anderen Schichten Anklang. Alle zwei Jahre findet heute ein Waldzithersymposium statt. TP
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