Formel streng geheim

Grippemittel Immer mehr Staaten und Konzerne decken sich im großen Stil mit dem Medikament Tamiflu ein. Doch nur die Schweizer Firma Roche stellt es her und bestimmt den Preis

Der Schweizer Pharmakonzern Roche besitzt mit seiner antiviralen Arznei Tamiflu die Rechte für das derzeit wichtigste Medikament im Kampf gegen die Grippe-Pandemie. Antivirale Medikamente sollen nach den Plänen der WHO im großen Stil gegen die drohende Pandemie eingesetzt werden, die weltweit zwischen zwei und 50 Millionen Tote fordern könnte. Sobald eine gefährliche neue, von Mensch zu Mensch übertragbare Grippe um sich greift, soll die Arznei vorbeugend an das Gesundheitspersonal in den betroffenen Gebieten abgegeben werden. Außerdem würden alle Infizierten sowie die Personen in deren weiterem Umfeld behandelt werden. Die WHO hat deshalb die Staaten aufgerufen, Vorräte mit antiviralen Grippemedikamenten für bis zu einem Viertel ihrer Bevölkerung anzulegen. Tamiflu empfiehlt sie auch als Vorbeugung gegen die Vogelgrippe. Neben Tamiflu kommt zwar zusätzlich das Medikament Relenza des US-Konzerns GlaxoSmithKline in Frage. Dieses muss jedoch inhaliert werden und wird deshalb viel weniger nachgefragt.

Allerdings hapert es mit der weltweiten Aufstockung der Tamiflu-Bestände beträchtlich. Tamiflu ist sehr teuer und das Angebot knapp. Wer in großem Stil bestellt, muss zwischen einem und zwei Jahren warten. In den letzten Monaten haben rund 25 - zumeist reiche - Staaten ihre Bestellungen abgegeben. So hat etwa Großbritannien am 1. März 14,6 Millionen Packungen bestellt - jede gefüllt mit zehn Pillen (was für fünf Tage reicht). Laut Vicky Wyatt, der Sprecherin des britischen Gesundheitsministeriums, kostet das die Briten 17,55 Euro pro Packung. Roche verdiente somit an diesem 1. März auf einen Schlag mehr als 256 Millionen Euro.

Roche gibt nicht an, welche Menge Tamiflu es in diesem Jahr maximal produzieren kann. Man habe jedoch die Produktion allein letztes Jahr vervierfacht, und sie werde weiter ausgebaut. Das Medikament werde zur Zeit an verschiedenen Standorten in Europa und den USA hergestellt, es werde auch mit Drittfirmen gearbeitet. Pressesprecherin Marina Rupp hält aber fest, dass nicht nur im Preis alle gleich behandelt würden: Ausgeliefert werde nach Reihenfolge des Bestellungseingangs.

Nicht nur Staaten bekunden Interesse: Roche verkauft Tamiflu auch an verschiedene multinationale Konzerne. Namen will die Pressesprecherin keine nennen. Die britische Gesundheitsfirma International SOS, die Firmen wie Coca-Cola in Gesundheitsfragen unterstützt, rät ihren Klienten, sich mit Tamiflu einzudecken. Damit könnten die Angestellten geschützt werden, und die Geschäfte würden auch bei einer Pandemie weiterlaufen. Nicht überall kommen solche Ratschläge gut an. Ben Schwartz vom US-Gesundheitsministerium etwa befürchtet, dass das knappe Gut Tamiflu so an den falschen Orten gehortet werde - dort, wo in einer Krise die Gesundheitsbehörden keinen Zugriff darauf hätten.

Die faktische Monopolstellung von Roche im Kampf gegen eine mögliche Grippe-Pandemie wird zunehmend kritisiert. Repräsentanten von zwölf asiatischen Staaten haben vergangene Woche beschlossen, gemeinsame Lager von antiviralen Grippemedikamenten anzulegen. Allerdings ist einigen Regierungsvertretern die Abhängigkeit von einer Pharmafirma in Basel nicht geheuer. Für den philippinischen Gesundheitsminister Francisco Duque "grenzt es an Unmoral", dass ein einzelner Konzern allein die Pille produzieren kann. Er forderte Roche auf, auf das Patent zu verzichten, damit auch andere Firmen Tamiflu produzieren können. Dagegen beteuert Martina Rupp, dass sich Roche seiner großen Verantwortung bewusst sei. Auf die Patentrechte wolle das Unternehmen jedoch nicht verzichten. "Die Produktion ist sehr komplex, und wir haben sechs, sieben Jahre Erfahrungen damit; andere Firmen müssten sich dieses Know-how erst aufbauen." Roche hat angekündigt, der WHO eine bestimmte Menge Tamiflu zu schenken. Entsprechende Verhandlungen seien im Gange.

Allerdings verfügt Roche nicht allein über die Patentrechte von Tamiflu. Die eigentliche Patentinhaberin ist die US-Firma Gilead, die nun starken Druck auf Roche ausübt. Die Firma hatte 1996 Roche die Lizenzechte an Tamiflu abgegeben, weil der weitaus größere Konzern mehr und bessere Möglichkeiten für die Weiterentwicklung und Vermarktung von Arzneien besitzt. Gilead entwickelte Tamiflu unter anderem aufgrund von Entdeckungen australischer Wissenschaftler an der Monash-Universität in Parkville sowie von Forschungen an der University of Michigan. Nach Abschluss des Vertrages musste Roche schätzungsweise weit über 65 Millionen Euro in die klinischen Tests mit Menschen investieren, bis das Medikament schließlich zugelassen wurde. Gilead kassierte bei der Abtretung der Rechte 7,8 Millionen Euro sofort und rund 32 Millionen bei der Erreichung bestimmter Entwicklungsziele. Seitdem Tamiflu im Einzelhandel verkauft wird, erhält Gilead umsatzabhängige Lizenzgebühren. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren das allein rund 30 Millionen Euro. Ob Gilead jetzt selbst die Tamiflu-Produktion in die Hand nehmen oder einfach höhere Lizenzgebühren von Roche herausschlagen will, ist offen. Die beiden Firmen stecken zurzeit in Verhandlungen, über deren Stand nichts bekannt geworden ist.


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