Mir nach! Gib´s mir! Frag nach mir! Die T-shirt-Kommunikation an Bord von MIR - a love story lässt sich als eindeutige Aufforderung an die professionellen wie privaten Anhänger des zeitgenössischen Tanzes weiterreichen. Beim geographisch rotierenden, biennalen Branchen-Schaulaufen werden Lebensabschnittsgefährten und Flirts gesucht, mit und ohne finanzielle Interessen. Tanzplattform Deutschland. Es geht um die Zukunft; um den Tanz von heute, Richtung morgen. Repräsentativität soll nur bedingt gelten. Geliebt werden will man schon. Erste Voraussetzung dafür ist, dass man irgendwie zu einander passt. Und hier treffen wir auf Programmprämissen und Vorurteile.
Vorab ad spectatores: Tanz ist ein internationales Metier, wo nationale Kategorien kaum ei
ale Kategorien kaum eine Rolle spielen. Heini Nukari kommt aus Finnland, Constanza Macras ist Argentinierin, Tino Sehgal ist in London geboren, der Choreograf der Hamburger labor G.RAS heißt David Hernandez und sogar die Stadttheater-Gäste aus Magdeburg und Gera, Alexandre Sementchoukov und Eduard Nicolae Taranu sind wohl nicht nur mit deutschem Tanztheater aufgewachsen. Nein, eine nationale Tanzplattform kann man nicht als Spiegelbild eines "deutschen" Tanzstils verstehen. Schon weil die Choreografen aus unterschiedlichen Schulen kommen. In Ausdruckstanz, Kontaktimprovisation, Modern und Contemporary Dance sitzen die Wurzeln, aus der Performance Ecke sprießt es und besonders bei den jüngeren, erwächst das uvre meist aus einer eklektischen Mischung von Butoh bis Ballett. Was man als Besucher der 5. Tanzplattform Deutschland in Leipzig allerdings vielleicht ausmachen konnte, waren zeitgenössische Tendenzen. Schummriges Licht, statt "Musik" Soundscapes aus elektronischem Geräusche, wieder mehr Bewegung nach dem intellektuellen Denktanz, trotzdem permanente Reflexion - von Körper, Handwerk und Vorhaben. Die diesmalige Gastgeberin Ann-Elisabeth Wolff hat im Vergleich zu ihren Vorgängern unübersehbare Änderungen vorgenommen. Am angenehmsten davon die lockere Verteilung der 40 Veranstaltungen auf zehn lokale Spielstätten; am augenfälligsten: viele unbekannte Namen. Wolff nimmt die Mission für die Jugend ernst. Wer noch keinen Abendfüller vorweisen konnte, durfte sich kurz fassen. Da Länge über die Qualität wenig sagt, wäre der Häppchenabend der sieben No Names eine Chance gewesen - aber außerhalb des Hauptprogramms. Ikonen und Branchenstars waren gestrichen. Anlässlich der ersten ostdeutschen Plattform hegte das kuratierende Produzententeam den heißen Wunsch, dem künstlerischen Aufschwung Ost einmal kräftig Rückenwind zu blasen. Aufmerksamkeit bringt Impulse, dachte man. Doch wer füllt die große Schauspielhausbühne? Am vierten Tag war die Laune der 250 verwöhnten internationalen Profigäste auf unter Null gesunken. Schmerzhaft interessant war diese Plattform, weil sie die Schwächen des föderalistischen Auswahlmodus bloßlegte. Wer siebt? An den Netzen stehen neben der euro-scene Produzenten aus Frankfurt am Main, Hamburg, Düsseldorf, München, Berlin. Alle zwei Jahre seit 1994 kristallisiert sich aus ihren Reiseerlebnissen ein Highlightprogramm heraus. Nicht durch die Maschen gefallen sind Heini Nukari, die als halbes Duo Trava mittlerweile festivalweit skurrile Zukunft verspricht. Die Glatzige mit Gummistiefeln und Sonnenbrille ist ein intrauterines Gameboy-Baby. Geheimtipp Tino Sehgal, der im titellosen Solo die Nacktversion der modernen Tanzgeschichte skizziert. Günther Wilhelm, Berliner Tänzer und Winkelwesen auf der Kreuzung von mobilem Verkehrszeichen und Nosferatu stieg einer Fliege nach. Hans Fredeweß aus Hannover stellte eine stoische Chorus Line aus Kaugummiautomaten neben ein ungleiches Tanzpaar, das garantiert nur mit unbehandeltem Holz gespielt hat. Christina Ciupke ließ ihren Körper abschnittweise ableuchten, es folgten Elvira Schurigs sedierte Häutungen. Plattform-Wiederholungstäter labor G.RAS fuchteln im Trüben, Jan Pusch rettete dank Tänzerin Fiona Gordon knapp die Ehre der Hansestadt. Ihr videovervielfältigtes Hausfrauensolo vor psychedelischer Tapete schweigt eloquent über blockierende Langeweile. Die Einsamkeit der Gummibärchen im Terrorregime der Spaßgesellschaft deprimiert Constanza Macras´ Gruppe derart leicht und musikalisch - Ausnahme! -, man wird in Zukunft einen Bogen um Raumstationen machen. Felix Ruckert verteidigte seine Autorität in Sachen Hautkontakt mit deluxe joy pilot. Nomen est etc. - er schickte uns per Liebkosung durch schöne Tänzerkörper auf Höhenflüge. Luc Dunberry von der Schaubühne am Lehniner Platz hält es mehr mit der Beobachtung. Nennt es Traditionspflege, aber seine Sujets sind "Kommunikation und Isolation", Ticks, Tricks und Spuren verbogener Menschlichkeit. Mit viel Sicherheitsabstand zwischen den guten Ideen vertanztheatert. Rubato gehen unbeirrt ihren Paarweg in der Hauptstadt, wo auch Thomas Lehmen an seinen rheinischen Anekdoten puzzelt. Ruckert? Dunberrry? Lehmen? Ein paar Namhafte sind also doch vertreten. Lehmen ist inzwischen alles andere als ein Insiderwitz - trotz Hang zur Stand-Up Comedy. Seine Geschichtsüberlieferungsprojekte beschäftigen sich vorzugsweise mit dem Ruhrpott, nach Billy Elliot eine durchaus anerkannte Kulisse für Tanz. Die Inspiration entspringt entsprechender Quelle. Schalke 04 gegen Borussia Dortmund lässt er frei nach Kicker zu dritt nachtanzen. So hat Lehmen mal wieder die Lacher auf seiner Seite. Und lachen befreit, vor allem von der beklemmenden Trübnis die die insgesamt viel demonstrierte kreative Unauffälligkeit allgemein auslöste. Namen hin, stilistische Prägnanz her. Die Tanzplattform 2002 war ein Schock. Oder ein Weckruf. Am Ende wurden nicht nur Verbrechen und Strafe diskutiert, sondern konstruktive Ansatzpunkte gesucht. Die Veranstalter gelobten Verbesserung. Düsseldorf in zwei Jahren wird nur drei Kuratoren haben, Konzeptauffrischung soll weisen "für wen" und "mit wem" welches Anliegen kommunizierbar wird. Motto der Zukunft: "Rigoros weniger Demokratie!" Wann hätte die der Kunst schon weiter geholfen? Von hier aus kann es eigentlich nur bergauf gehen mit dem Tanz. Solange er sich nicht mit Constanza Macras´ T-shirts verweigert: "Nicht mit MIR!"