Taschenbücher Den Kommunen geht`s wirklich nicht gut. Da kommt jede Hilfe recht. Zum Beispiel wenn der wirklich junge Mensch, nicht nur der, der vom gekränkten ...
Den Kommunen geht`s wirklich nicht gut. Da kommt jede Hilfe recht. Zum Beispiel wenn der wirklich junge Mensch, nicht nur der, der vom gekränkten Nicht-mehr-Jungmenschen als solcher gescholten wird, die Stadt rühmt. Und nicht nur Berlin, sondern zum Beispiel auch Dortmund, Hamburg, Frankfurt und - vor allem - München (auch Venedig und New York, ein bisschen internationale Konkurrenz muss sein), und wenn er das auch noch hübsch artig tut. Das könnte man zum Beispiel den Mitgliedern des Deutschen Städtetages als Präsentchen zukommen lassen. Also junge Autoren allerlei Geschlechts, die zumeist hierdurch zu Autoren geworden sind, lobharfen der Stadt. Es ist wie Schüleraufsatzwettbewerb plus wie beim Fleischer: Gelegentlich ein paar Gramm mehr. Cool reden
den sie, die Jüngsten, Namen tragen ihre Figuren, wie man sie früher nur in Heftchenliteratur gefunden hätte, der ÖPNVerkehr wird allgemein akzeptiert, um Liebe wird viel ge(l)eiert. Augenblick und Ewigkeit. Seit dem Expressionismus haben sich allenfalls Outfit und Schimpfworte geändert. Einfach nett, dieses mittendrin - berauscht von dir. Schön, diese juvenile Aufgedrehtheit.Und damit kommen wir zur Sache: Rausch. Die Kick-Kultur. Was nicht alles törnt uns an und ab. Sucht. Ein, ja: das Thema der postkonzeptualen Driftgesellschaften (um auch mal ein Konzeptwort in die Debatte zu werfen). Der Band kommt aus dem Hessischen Rundfunk, der letzten Höruniversität der Republik, der in der Vergangenheit eine Reihe sehr beachtlicher Rettungen vorm Versenden geliefert hat. Durchweg intelligente, prägnante Beiträge über alles, was irgendwie Lust und süchtig machen kann. Kaufen oder Arbeiten, Horror oder Hungern. Alkohol und Koks auch. Kurz: Alles. Aber dann gibt es doch noch das kleine gallische Dorf: Ausgerechnet das Lesen fehlt, ausgerechnet Lesesucht ist den Büchermachern entgangen. Ansonsten aber ein veritables Stück praktizierter Kulturgeschichte für zwischendurch!Dass der Geist willig, der Körper aber schwach sei, wird man bei der Sucht nicht sagen wollen. Und das in den letzten Jahren nicht nur exzessive Striegeln und Zerren am, sondern auch Reden und Schreiben über den Körper könnte man schon wieder als eigene Lust katalogisieren. Beschwörungslust. Beschworen wird gemeinhin, was nicht mehr ganz da oder schon hin und weg ist. Dabei verschwindet der Körper ja nicht, eher wird er dermaßen industriebatterial, dass die Ware Körper sich im ständig rabattierten Schlußverkauf zu befinden scheint. Körperlichkeit ist machbar. Und teilbar. Es scheint, als wolle man auf dem Wege der Manipulation, Transformation und Neuformulierung des Körpers Platz machen, indem man die Lust am Fragmentieren, Partikulieren oder doch wenigstens Deformieren hoch wallen lässt. Körperteile soll dazu eine kulturelle Anatomie liefern. Ein gelehrtes Intro will dem, was darauf folgend lustvoll auseinanderstrebt, erst einmal Gestalt geben, indem es diskutiert, ob das Teil nun Metapher oder Metonymie ist. Danach aber steht dem Frankenstein on demand nichts mehr im Wege. Nicht ohne Ironie widmet sich der Band zunächst jenem Körperteil, der am ganzen Körper vorkommt: Haar. Ein wunderbarer, kluger Einstieg, dessen Maßstäbe leider nicht so recht gehalten werden, vielmehr allerlei sprachkonservatorisches Missgeschick bei der Inventarisierung der wissenschaftlichen Leichenteile folgt. Die "öffentliche Valuation des Bauches" liest sich natürlich gleich ganz anders als die gepiercte Nabelschau der Jungmaiden. Dabei geht es doch um Madensack, Mutterschoß und Mollengrab. Der Mensch bietet so, insbesondere en detail, vielerlei Ansichten. Und an die Leber geht´s auch. Nicht immer findet man so elegante Formulierungen wie "Ohrenschmaus heißt Augendiät" - aber im Reigen durch die fragmentierte Wissenschaft vom antiken Hintern bis zu den modernen Beinen doch allerlei, auch Trost. So der mittelalterliche, dass man die generativen Werkzeuge lieber bei sich behält, damit man sie anderer lustvoll teilhaftig werden lassen kann. Kulturwissenschaft als körperteilige Wunderkammer."Privatgelehrte, das sind diese rätselhaften Wissenschaftswesen, von denen man nicht weiß, kriegen s´ deswegen keine Anstellung, weil sie zu wenig, oder weil sie zu viel wissen." Soweit der Kommentar des jubilatorisch in den schon wieder vorübergegangenen Aufmerksamkeitsfokus gerückten Herrn Nestroy. Seine Lektüre für Minuten, aus der damit zitiert wurde, erweist, dass er unbedingt intellektuelles Bleiberecht haben sollte. Denn zur Taille hat er ebenso etwas zu sagen wie zu den Teilen. "Die Anatomen schon lehren uns, dass das menschliche Herz Ohren hat, und zwar verhältnismäßig sehr große Ohren; dadurch allein schon ist jede Eselei, wo das Herz im Spiel ist, zur Vergebung qualifiziert." Eben darum wird Vergebung zugleich hoffentlich große und aufmerksame Aug-Ohren finden, wenn jetzt abschließend ein wirklich umfassend gelehrtes, wissenschaftlich tief seriöses und zugleich stets klar und höchst lesbar geschriebenes Buch über die Geschichte des Körpers ohne weitere Autopsien und Gewebeproben ganz pauschal, sozusagen ganzheitlich, nachhaltig empfohlen wird: Reizbare Maschinen.Beate Schäfer (Hg.) mittendrin - berauscht von dir, dtv 20480, 9 Peter Kemper, Ulrich Sonnenschein (Hg.): Die Kick-Kultur. Zur Konjunktur der Süchte, Reclam, Leipzig 2002; 13,50 Claudia Benthien, Christoph Wulf (Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Rowohlt 55642, 18,90 Johann Nestroy. Lektüre für Minuten, Insel, 9,80 Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-19 14, Suhrkamp stw 1524, 17
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