Zu Weihnachten wurden die Gewerkschaften bei der französischen Bahn SNCF links überholt. Sie hatten für die Feiertage Streiks nach dem Motto angekündigt: Haltet uns zurück, oder es gibt ein großes Malheur! Normalerweise ein effizientes Ritual. Also schoben Bahn und Regierung ein paar Cent rüber. Weit weniger als ein Ausgleich für steigende Lebenshaltungskosten, doch begleitet von wütenden Kampagnen auf allen medialen Kanälen. Daraufhin sagten die Gewerkschaften den Ausstand ab, nicht aber die Zugchefs. Sie mobilisierten mehr als ein Drittel der Belegschaft gegen den Reallohnabbau und die Zerstörung der öffentlichen Dienste, sodass etliche Züge in den Depots blieben.
In Frankreich treibt gerade die Basis mit Dutzenden von Streiks in allen Branchen die Gewerkschaften vor sich her. Die „wilden“ Mobilisierungen spiegeln nicht zuletzt den Frust darüber, dass die linke Parteienkoalition Nupes keine starke Oppositionsfront gegen Emmanuel Macron zustande bringt. Was Nupes-Gründer Jean-Luc Mélenchon als „heißen Herbst“ angekündigt hat, ist in disparaten Demos verpufft.
Zwar hat die Einbindung von Grünen, Sozialisten und Kommunisten in die Nupes durch Mélenchon und dessen France insoumise (LFI) 2022 die Politik aufgemischt, im Parlament eine absolute Mehrheit für Macron verhindert und den Parti Socialiste (PS) vor dem Exitus bewahrt. Inzwischen aber zeigt sich, dass erfolgreiche Wahlen nur ein erster Schritt hin zu einer „unwiderstehlichen Kraft sind, die einen systemischen sozialen und ökologischen Umbau über den Kapitalismus hinaus anstoßen kann“, wie es der Soziologe Razmig Keucheyan und der Ökonom Cédric Durand formulieren. Die beiden Pariser Professoren gehören zum LFI-Thinktank „Institut La Boétie“.
Jean-Luc Mélenchon lässt los
Seit der Parlamentswahl im Juni 2022 haben die Rebellischen ihre Häutung begonnen, um eine kreative Form für eine linke Organisation zu finden, die „gasförmige“ Basisbewegungen und effiziente Parteistrukturen vereint. Mit viel Verve daran beteiligt sind Hunderte, die zugleich Geschrei und Kabale nicht entgehen. Jugend- und Frauengruppen ziehen sich bereits zurück. Erster Anlass war der Fall von Adrien Quatennens, einem Vertrauten von Mélenchon, der seine Frau im Scheidungsstreit geschlagen hatte. Er gestand, und ein Gericht verurteilte ihn zu vier Monaten auf Bewährung. Die Parlamentsfraktion schloss ihn ebenfalls für vier Monate aus. Zahlreiche Mitglieder verlangten in einem offenen Brief seinen Rauswurf: „Ein Mann, der sexuelle Gewalt ausübt, kann uns nicht vertreten.“
Noch tiefer geht der Streit um die neue Führung von La France insoumise. Eine repräsentative Versammlung im Dezember sollte sie bestimmen. Am Vorabend freilich wurde bekannt, dass Mélenchons Küchenkabinett schon einen künftigen „Koordinator“ platziert hatte: Manuel Bompard, treuer Leutnant des Gründers und fleißiger Organisator, aber mit dem Charisma eines Platzhalters geschlagen. Gleichzeitig erfuhren fünf prominente Köpfe der Bewegung, dass sie für die Führungsgremien nicht mehr vorgesehen waren, darunter die brillante Abgeordnete Clémentine Autain.
Die Ökosozialistin drängt seit Jahren auf eine radikale Demokratisierung der Partei. Ihre Argumente sind klug, aber Bompard hielt ihr die „Effizienz an der Urne“ entgegen. War es, wie ein Kommentator schreibt, eine „posttrotzkistische Säuberung“? Mélenchon tendierte in seiner Jugend zum Trotzkismus. Tatsächlich lässt er es nicht an Mühe und Willen fehlen, von der Macht zu lassen und eine innere Demokratisierung zu befördern. Die von LFI ausgehende linke Bewegung steht fest auf sehr vielen Beinen.
Gefährlicher als die Querelen bei La France insoumise erscheinen die Ambivalenzen der anderen Nupes-Partner. Die Grünen wären gern allein die erste Kraft, bei den Sozialisten planen „Bürgerblock-Neoliberale“ um Ex-Präsident François Hollande, auf einem Kongress im Januar PS-Chef Olivier Faure und die Nupes-Präsenz zu kippen – und das in einer brisanten Zeit. Für den 7. Januar haben die Gelbwesten zu ihrer Renaissance nach Paris gerufen, am 14. Januar startet Nupes zum großen Kräftemessen mit Macron über dessen Rentenreform. Acht von zehn Franzosen lehnen ein erhöhtes Alter für den Renteneintritt ab.
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