Nun ist es soweit. Nach jahrelangen Beitrittsverhandlungen, erheblichen Strukturanpassungen und positiven Referenden in den zehn künftigen Mitgliedsländern ist der Zeitpunkt der Erweiterung gekommen. Ab dem 1. Mai zählen 333 Millionen Bürger und Bürgerinnen in der erweiterten Europäischen Union zum Wahlvolk, davon sind 175 Millionen - etwas mehr als die Hälfte - weiblich. Wo und wie sind Frauen an den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in ihren Ländern beteiligt? Welche Chancen, welche Risiken bestehen im Zuge der Erweiterung?
In allen Ländern Mittel- und Osteuropas ist die politische Beteiligung von Frauen nach der demokratischen Wende von 1989 stark gesunken. Die Renaissance konventioneller Werte und überholter Frauenbilde
rauenbilder hat sich auch in vielen Programmen europäischer Parteien nieder geschlagen. Frauen wird darin oft genug wieder der Platz in der Familie zugewiesen. Dennoch lassen sich in einigen nationalen Parlamenten erfreulicherweise Aufwärtsbewegungen erkennen. In Polen beträgt sind 20 Prozent der Abgeordneten Frauen, in Bulgarien sind es 25 Prozent. Der Anteil von Frauen in regionalen und nationalen Parlamenten ist beständig gestiegen. Dennoch glänzen lediglich die skandinavischen Länder mit Beteiligungsraten von mehr als 40 Prozent so richtig hell. Griechenland und Italien unter den "alten Ländern" bilden mit etwa zehn Prozent die Schlusslichter und unterbieten damit sogar den einen oder anderen Newcomer. Daran haben zivilgesellschaftliche Akteurinnen einen wichtigen Anteil. So kämpfen Frauenorganisationen seit Jahren dafür, Frauen in die Parlamente zu wählen, sie diskutieren über geeignete Instrumente, fordern Qualifizierung, Quoten und eine umfassende Sensibilisierung ihrer Gesellschaften. Gerade Frauenorganisationen verändern mit neuen Impulsen politische Institutionen und wirken als Motoren sozialen Wandels.Agnieszka Grzybek, Leiterin der polnischen Frauenorganisation Oska, einem Fraueninformationszentrum in Warschau, leitet ein Projekt, welches unter dem Motto "Gebt den Frauen die Stimme!" ("Glos dla Kobiet!" beziehungsweise "Hlas zenam!") mit Partnerinnen in Tschechien und der Slowakei Druck auf politische Parteien der drei Länder im Vorfeld der Europawahlen am 13. Juni ausübt. Sie verteilen Fragebögen und wollen wissen, wie es die Parteien konkret mit der Gleichstellung halten. Überall werden runde Tische mit weiblichen Kandidaten organisiert; in allen drei Ländern finden größere Konferenzen statt. In Warschau startet demnächst eine Kampagne, wo der Slogan "Kobiety podbija planety" - Frauen erobern Planeten - die Hauptstädter an ihren Straßenbahnen begrüßen wird! Die wenig stabilen Parteiensysteme und die fehlende innerparteiliche Beteiligung machen es Frauen nicht gerade leicht. Dies zeigt sich besonders, wenn es um chancenreiche Listenplätzen geht. Frauen finden sich häufig dort platziert, wo keine Hoffnung mehr auf eine Wahl besteht.Hoffnung auf die EUOb der Aufwärtstrend in den europäischen Institutionen in Sachen Frauenbeteiligung nach der Erweiterung gehalten werden kann, ist unklar. Heute führt das Europäische Parlament die Hitliste der europäischen Institutionen mit einem 30-prozentigen Frauenanteil an. Dann wird es auch schon bescheidener: 25 Prozent Frauen in der Europäischen Kommission, 20 Prozent im Europäischen Rat, gefolgt vom Europäischen Gerichtshof mit lediglich sechs Prozent. Auch hier gilt offenbar die gleichermaßen hartnäckige wie ärgerliche Regel, je mächtiger die Institution, umso geringer die Beteiligung von Frauen. Allerdings haben Polen, Litauen und Lettland mit Danuta Hübner, Dalia Grybauskaite und Sandra Kalniete - immerhin drei von zehn - versierte EU-Politikerinnen als Kommissarinnen benannt. Unter Frauenaktivistinnen und Streiterinnen für Geschlechtergleichstellung finden sich Befürchtungen wie Hoffnungen. Es winkt die Perspektive, die als fortschrittlich wahrgenommene Gleichstellungspolitik der Europäischen Union für nationale Veränderungsdynamiken zu nutzen. Zwar hat die Frage der Geschlechtergleichstellung in den Beitrittsverhandlungen ein eher randständiges Dasein geführt, aber dennoch eine Reihe rechtlicher Verbesserungen für Frauen gebracht. Jetzt geht es allerdings darum, die europäischen Direktiven nicht nur in den Beitrittsländern umzusetzen. Angesichts wenig sensibilisierter Öffentlichkeiten, hartnäckiger Geschlechterrollen und wirtschaftlicher Schwierigkeiten kein leichtes Unterfangen!Reinigung und AltenpflegeDie wirtschaftliche Lage der Erweiterungsländer zeigt sich heterogen. Die Situation in Slowenien, Tschechien und Ungarn stimmen optimistischer als etwa die in Polen oder der Slowakei. Doch sind die Folgen der gesellschaftlichenTransformation für Frauen in verschiedenen Bereichen erheblicher. Die Frauenarbeitslosigkeit ist in fast allen Ländern höher als die der Männer, Armut nimmt zu. Frauen verdienen schlechter als Männer, sind länger arbeitslos und das trotz häufig besserer Bildungsvoraussetzungen. Die Einkommensunterschiede variieren von Land zu Land und liegen - wie im alten Europa - im Durchschnitt bei 30 Prozent (in manchen Bereichen sogar bis zu 50 Prozent). Lediglich im Bereich der Unternehmensgründungen gibt es einen höheren Frauenanteil. Hier liegen die Frauen der neuen Länder mit 34 Prozent über dem europäischen Durchschnitt von bislang 28 Prozent. Von den ArbeitnehmerInnen werden erhebliche Flexibilität und Mobilität erwartet und gleichzeitig wenig soziale Rechte gewährt. Die Veränderungen in den Renten- und Sozialversicherungssystemen, Kürzungen im sozialen Bereich, im Gesundheitswesen und der öffentlichen Kinderbetreuung stellen zusätzliche Härten dar. Dennoch differenziert sich auch die soziale Lage der Frauen in den Erweiterungsländern zunehmend. Während in Deutschland immer noch das Bild von polnischen Reinigungskräften und Altenpflegerinnen vorherrscht, können sich die alten EU-Länder verstärkt auch auf hoch qualifizierte, erfolgreiche slowenische oder polnische Unternehmerinnen einstellen, die den Export ihrer Produkte beziehungsweise den Ausbau ihrer Unternehmen im europäischen Kontext steigern wollen und entsprechend selbstbewusst auftreten.Regionale Frauenorganisationen wie zum Beispiel KARAT-Koalition, ein Netzwerk mittel- und osteuropäischer Fraueninitiativen, oder nationale Organisationen wie etwa NEWW.Polska in Danzig unterstützen den Aufbau ökonomischer Kompetenz und politischer Einflussnahme von Frauen. Sie fragen nach der geschlechtlichen Wirkung ausländischer Investitionen, analysieren die Wirkung der europäischen Beschäftigungsmaßnahmen auf die Arbeitsmärkte und pochen auf Gender Mainstreaming im Bereich der Haushalts- und Finanzplanung. Gerade dem Gender Budgeting bei den Europäischen Strukturfonds weisen sie eine hohe Bedeutung zu, fließen doch über diese Milliarden Euros während der nächsten Jahren in die neuen Länder.Die Bürgerinnen der Europäischen Union glauben immer noch, dass der Aspekt der Wirtschaftsgemeinschaft im Mittelpunkt steht und die Frauen- und Geschlechterpolitik wirtschaftlichen Interessen untergeordnet bleibt. Eine Studie der Europäischen Kommission belegte kürzlich, dass keines der zehn Länder bisher die notwendigen Maßnahmen zur Chancengleichheit, insbesondere im Bereich der Antidiskriminierungsgesetze, umgesetzt hat. Viele Frauen erhoffen sich auch, dass sowohl die Menschenrechtscharta als auch die Frage der Geschlechtergleichstellung und des Gender Mainstreamings an prominenter Stelle in die Verfassung aufgenommen und europäische Norm werden.Bislang sind Frauen in den alten und den neuen Ländern, ob als Akteurinnen in Wissenschaft und Politik, als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, als Aktivistinnen oder Frauen in Institutionen, noch wenig auf die Erweiterung vorbereitet. Zwar hat es in den letzten Jahren Konferenzen zu verschiedenen Themen gegeben, gibt es hier und da freundschaftliche Kontakte zwischen einzelnen Frauen und beruflichen Netzwerken, auch haben einzelne Frauenorganisationen die Frage der Ost-West Beziehungen bearbeitet. Dennoch fehlt es noch immer erheblich an Wissen voneinander und dauerhaften politischen Koalitionen. Probleme wie die zunehmende Gewalt gegen Frauen, Frauenhandel und Zwangsprostitution können in übergeordneten Bündnissen besser bekämpft werden. Insgesamt bietet der Erweiterungsprozess der EU erhebliche Chancen für Geschlechtergleichstellung auf verschiedenen Ebenen - vor allem, wenn es den Frauen gelänge, politischer zu werden und so das erweiterte Europa gemeinsam zu gestalten.Endlich eine BundespräsidentinIn Sachen politischer Beteiligung von Frauen könnte Deutschland übrigens in Kürze einen Akzent setzen und eine Frau an die Spitze des Staates wählen. Ein Akzent, der in den anderen europäischen Ländern wahrgenommen würde. Die Frage, inwieweit es die europäischen Länder ernst meinen mit der Gleichstellung der Frauen und dies auch in der Besetzung politischer Spitzenämter ausdrücken, könnte in Zukunft häufiger auf das Interesse der Frauen in Nachbarländern stoßen und zu gemeinsamen Aktionen führen. Eine Bundespräsidentin Gesine Schwan, eine "Traumpräsidentin", wie jüngst die Teilnehmerin einer Konferenz zum Thema "Frauenparlament - Gebt den Frauen die Stimme!" in Warschau ausrief. Endlich eine Bundespräsidentin an der Spitze Deutschlands ist überaus angebracht - nicht nur aus polnischer Perspektive!Claudia Neusüß war von 1996-2002 Vorstandsmitglied der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung. Sie arbeitet als Politikberaterin in Berlin.Web-Adressen: EWL, European Women´s Lobby www.womenlobby.org FAM, Frauenakademie München www.frauenakademie.de KARAT Coalition www.karat.org NEWW.Polska www.neww.org.pl Oska The National Women´s Information Center www.oska.org.pl
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