Frauen - Helferinnen der Embryonenforschung?

DER FEHLERFREIE MENSCH Von der Genanalyse während der Schwangerschaft zur Qualitätskontrolle vor der Einsetzung künstlich befruchteter Embryonen

Im Juni legte eine rheinland-pfälzische »Bioethik»-Kommission unter Leitung des Landesjustizministers Thesen zu Präimplantationsdiagnostik (PID) und deren »medizinischen, rechtlichen und ethischen Problemstellungen» vor. Sie erklärte Präimplantationsdiagnostik für »ethisch vertretbar und rechtlich zulässig». Präimplantationsdiagnostik umfaßt die genetischen Diagnosemethoden zur Prüfung künstlich gezeugter Embryonen. Deren Zellen werden genetisch auf erbliche »Defekte» getestet. »Belastete» Embryonen werden »verworfen», »gesunde» können in die Frau eingesetzt werden. Dafür, so die Thesen, bestehe »medizinischer Anwendungsbedarf», zum Beispiel bei erbkranken Paaren, die ein gesundes Kind bekommen wollen. Der abgelehnte Antrag auf Genehmigung einer Präimplantationsdiagnose an der Uniklinik Lübeck war vor einigen Jahren über die Medien bundesweit bekannt geworden.

Was sich so glatt liest, ist freilich hochproblematisch. Schon das Verfahren enthält eine Crux. Je früher die Reimplantation der befruchteten Eizellen in die Frau vorgenommen wird, umso höher sind die Einnistungs- und Entwicklungschancen der Embryos, die Schwangerschafts- und »baby-take-home»-Rate; je später, um so geringer. Dies widerspräche dem erklärten Ziel der Reproduktionsmedizin. Also muß die Prozedur der Präimplantationsdiagnostik früh vorgenommen werden, noch in der Spanne des »totipotenten» Embryo: All seine Zellen haben noch die Fähigkeit, einen Menschen auszubilden. Dabei werden aber die Testzellen zerstört, was mindestens rechtlich problematisch ist.

Für Frauen wäre Präimplantationsdiagnostik noch belastender als die seit einem Vierteljahrhundert etablierte Pränataldiagnostik (PND). Und schon diese wird von Humangenetikern und Gynäkologen schön geredet. Da Präimplantationsdiagnostik nur an künstlich gezeugten Embryonen durchgeführt werden kann, bleibt es bei den körperlich belastenden Hormonstimulierungen für hinreichende Eizell-«Produktion» und -Entnahme sowie den entwürdigenden Prozeduren meist wiederholter Einsetzungen künstlich befruchteter Eizellen in die Gebärmutter. Gegen die Behauptung der rheinland-pfälzischen »Thesen», Präimplantationsdiagnostik vermeide einen Abbruch, wird Frauen, die sich der in einigen Staaten erlaubten Präimplantationsdiagnostik unterziehen, wegen ungeklärter Schädigungsrisiken zur vorgeburtlichen Gen-Kontrolle des Fetus geraten. Es bliebe also bei vorgeburtlichen Tests und der damit verbundenen »Schwangerschaft auf Probe», einer eventuell folgenden Abtreibung.

Ebenso problematisch sind die gesellschaftlichen Konsequenzen der Präimplantationsdiagnostik. Sie intensiviert das schon in vorgeburtlicher Diagnostik angelegte gesellschaftliche Eugenik-Angebot. Präimplantationsdiagnostik stellt nämlich eine sowohl individuell wie gesellschaftlich neue Frage gegenüber der Pränataldiagnostik. Nicht mehr auf Krankheit und Behinderung als Eigenschaften eines (entstehenden) Menschen würde reagiert, sondern das Auftreten von Krankheit und Behinderung selbst und damit Menschen mit solchen Eigenschaften würden im Ansatz verhindert. Sie führte so noch weiter weg vom Konzept des genetisch als krank oder behindert definierten Kindes, das ohnehin willkürlich ist. Denn wer definiert die »Defekte»? Sie leitet definitiv über zum Konzept der »Risiko-» oder »Anlageträgerschaft» und damit zu weiteren Umwälzungen, zum Beispiel hinsichtlich der Lebens- und Krankenversicherungskonditionen.

Ist in Pränataldiagnostik negative Selektion angelegt, die Beseitigung eines Kindes mit prognostizierbarer Erkrankung, so bedeutet die Auswahl einzelner »gesunder» Embryonen durch Präimplantationsdiagnostik nun positive Selektion, denn das bisherige genetisch definierte PND-Angebot ›Dieses voraussichtlich behinderte oder kranke Kind brauchst Du nicht zu bekommen‹ wird nun ersetzt durch das PID-Angebot ›Du brauchst überhaupt kein krankes oder behindertes Kind zu bekommen‹. Es verkehrt zudem das bisherige Tätigkeitsziel der Reproduktionsmedizin. Es war bisher legitimiert mit einem Sterilitätsbefund und dem von den Reproduktionstechnikern als unabweisbar dargestellten Kinder- und Mutterschaftswunsch: Du willst ein Kind - greif zu künstlicher Befruchtung. Ob das gewünschte Kind krank oder behindert sein durfte, blieb eine gesonderte Frage. Präimplantationsdiagnostik bündelt nun beide Angebote: Du willst auf keinen Fall ein behindertes Kind. Nimm also Präimplantationsdiagnostik in Anspruch - und zuvor künstliche Befruchtung.

All das stört weder die rheinland-pfälzische »Bioethik»-Kommission noch die Landesregierung. Wenn es stimmt, dass Medizinforschungspolitik Skandalisierung strategisch dafür einsetzt, der Öffentlichkeit angeblich mangelnde Regulierung vorzuhalten, um soziale und kulturelle Brüche vorzubereiten und neue Deregulierungen zu erzwingen, dann ist der Bericht der Kommission ein solcher Bruch. Dass »ethische Grenzsetzungen», die der Kommissionsbericht als sein Ziel ausgibt, eben diese Grenzen erst zur beweglichen Diskursmasse machen und so zu ihrer Auflösung beitragen, ist historisch verbürgt. Nur Deutschland verfügte Anfang der 30er Jahre über staatliche Richtlinien zu Grenzen medizinischer Menschen-Experimente ... Kaum anders ist der Bericht zu deuten: Er leitet die Beseitigung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) von 1991 ein. Es wird von der scientific community seit Jahren bekämpft, bestenfalls zähneknirschend akzeptiert. Angezielt wird ein umfassendes Gesetz zu Fortpflanzungstechnik.

Die rheinland-pfälzische Kommission freilich geht verdeckt vor: Sie erwähnt das ESchG kaum. Stattdessen nutzt sie die Methode, mitleidheischende Einzelfälle vorzustellen - »erbkranke» Paare, denen zum gesunden Kind verholfen werden müsse -, um daraus einen allgemeinen Bedarf zu schluss folgern. Techno-logisch verdreht sie die angebotsinduzierte Verbreitung der Pränataldiagnostik, die den Embryo im Mutterleib vorgeburtlich zu untersuchen erlaubt, zur Frage, warum Präimplantationsdiagnostik am Embryo im Reagenzglas nicht erlaubt sein solle. Dreister noch ist die Behauptung, es bestehe kein Widerspruch zum ESchG, da Präimplantationsdiagnostik auf »die Herbeiführung der Schwangerschaft» und ein Kind abziele, das einen bestimmten Gendefekt nicht habe. Sie verschweigt, dass die angestrebte Schwangerschaft jedenfalls nicht die mit dem präimplantationsdiagnostisch getesteten Embryo ist. Denn in den Uterus werden nur Zellen eines Embryo reimplantiert, von dem andere Zellen untersucht und für gesund befunden wurden - die Test-Zellen selbst werden dabei ja zerstört.

Genau dies verbietet das Embryonenschutzgesetz. Jeder Zugriff auf Embryonen hat nach Wortlaut und Sinn deren Erhaltung zu dienen. Ohne ihre Zerstörung aber ist Präimplantationsdiagnostik nicht zu haben. Der Bericht definiert sie als nicht strafbar um. Auch die Annahme, wann die embryonale Totipotenz erlösche - die Fähigkeit der Einzelzellen, einen biologisch ganzen Menschen auszubilden - zielt gegen das ESchG. Die internationale Forschung geht vom 12-Zell-Stadium aus; eine frühere Präimplantationsdiagnostik widerspricht also dem ESchG. Die Konsequenz: Entweder wird PID, wie international üblich, an Acht-Zell-Embryonen durchgeführt; dann verstößt sie gegen das ESchG. Soll das vermieden und Präimplantationsdiagnostik später durchgeführt werden, was wegen der geringen Schwangerschaftsrate den Interessen von Reproduktionsmedizin und Klientinnen zuwiderliefe, müßte das ESchG geändert werden. Trickreich nimmt der Bericht das Acht-Zell-Stadium an.

Dass er Präimplantationsdiagnostik für »ethisch vertretbar und rechtlich zulässig» erklärt, dass ein Ministerium diese Arbeit von ExpertInnen aus Medizin, Recht, Theologie, Naturwissenschaften und Ethik stolz vorstellt, und eine Landesregierung sie akzeptiert, hat demnach ziemlich eigenwillige Qualität. Bisher hatte sich vor allem die Forschung gegen das ESchG ausgesprochen; staatliche Institutionen und Politik hatten sich eher zurückgehalten. Die rheinland-pfälzischen Sozialliberalen, auch anderwärts geübt in Deregulierungsinitiativen, preschen auf das bundesweite Feld rot-grüner Forschungsoffenheit.

Zu den Interessenten an Forschung und Nutzung von Embryonen und der völligen Beseitigung des ESchG gehört insbesondere die scientific community, die Keimbahnveränderung, Klonierung und Embryonalzellen-Transplantation im Sinn hat. Für all das werden lebende menschliche Embryonen gebraucht. Entsprechend klagt die mächtigste Forschungsvertretung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, seit Jahren über angeblich unvertretbare Forschungsbeschränkungen. Auch die Anbieter praktischer Anwendungen kämen nicht schlecht weg. Die durchgängig privat organisierten Kliniken, die die sog. »assistierte Reproduktion» gegen Unfruchtbarkeit anbieten, florieren. Die Ursachen tatsächlich steigender Unfruchtbarkeit sind dagegen weitgehend ungeklärt bzw. werden mit deutlich knapperen Mitteln erforscht. Ärztliche Standesvertretungen gehören ebenfalls zu den Interessenvertretern »verbrauchender» (Embryonen zerstörender) Embryonenforschung. So hatte die Bundesärztekammer schon 1985, lange vor Verabschiedung des ESchG, Richtlinien verabschiedet, die - für die Öffentlichkeit - in-vitro-Fertilisation und Embryotransfer erlaubten und für die Forschung Keimbahn-Manipulation, Embryonen-Klonierung, ihr Tiefgefrieren, Präimplantationsdiagnostik bzw. entsprechende Forschung, den Einsatz embryonaler Zellen in neuen, experimentellen »Therapie»verfahren wie Embryonenverbrauch nicht ausschlossen.


Gegenakteurinnen

Auf der anderen Seite stehen seit inzwischen mehr als anderthalb Jahrzehnten unterschiedlichste AkteurInnen, die den Zugriff auf Embryonen verstellen wollen; darunter auch Konservative und LebensschützerInnen. Früher wandten sich viele von ihnen ausschließlich gegen den Schwangerschaftsabbruch als solchen und sparten den Abbruch nach einem »Befund» aus ihrer Kritik aus. Heute wenden sie sich teilweise auch gegen Embryonenforschung, eugenische Tendenzen und Behindertenfeindlichkeit. Die historisch erste Gruppe, die grundsätzliche Kritik an Embryonenforschung übte, war jedoch die feministische und Frauenbewegung. Seit Anfang der 80er Jahre sprach sie sich in ihrer Kritik an Gen- und Reproduktionstechniken ebenso eindeutig gegen Embryonenforschung aus. Diese Position wurde aus unterschiedlichen Gründen breit und teilweise offensiv geteilt. Ob Deutscher Frauenrat und Mitgliedsverbände, ob Gewerkschaftsfrauen, autonome feministische Gruppen, behinderte oder nicht behinderte Frauen, Frauengesundheitszentren oder andere Einrichtungen - keine einzige forderte jemals Embryonenforschung und -nutzung. Bis heute hat die gesamte Breite der Frauenorganisationen klare Beschlusslagen gegen Embryonenforschung und für strenge Regulierungen der Reproduktionstechnik.

Dahinter steht die Einsicht, dass Reproduktionstechniken sich weniger dem un eigennützigen Einsatz ihrer (männlichen) Erfinder fürs Mutterglück anderer verdanken als dem Interesse an Embryonen für gentechnische und erbgutverändernde Laborexperimente. Die alten »Träume der Genetik» haben die »Väter» der Reproduktionsmedizin nie verhehlt. Der Weg zu Embryonen aber führt über Frauen. Ohne sie keine Eizellen, ohne Eizellen keine künstlich gezeugten Embryonen, ohne Embryonen keine Experimente. Frauen sind Ursprungsort, Ausbeutungsobjekte und Anwendungsfelder biomedizinischer Praktiken von Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik bis zu Embryonenforschung.

Bei den politischen ExpertInnendebatten zu deren Einführung wurden sie und ihre Vertretungen freilich ignoriert. Als »fetales Umfeld», als Objekte des gesellschaftlichen Drucks in Richtung Mutterschaft und der Reproduktionsmedizin, die sich Hormonstimulation und entwürdigende Befruchtungsprozeduren aufdrängen lassen; als größte gesellschaftliche Gruppe, an der genetische Diagnostik praktiziert wird; als Schwangere, die pränataldiagnostische Untersuchungen angeboten bekommen und in Erwartung des Befundes die Schwangerschaft auf Probe erleben; als EntscheiderInnen, die sich zwecks Wahl zwischen Austragung oder Abbruch durch unübersichtliche Kaskaden genetisch definierter Gesundheitsbewertungen durcharbeiten sollen, galten Frauen nicht als sprach- und urteilsfähig. Als Menschen, deren soziales Schwangerschaftserleben nachhaltig pathologisiert und technologisch durchsetzt wird; als Sprecherinnen für sich und und ihre Interessen waren sie so wenig gefragt wie als früh kritische Expertinnen für Gen- und Reproduktionstechniken. Bis heute fehlt einschlägigen Expertengremien jedes Unrechtsbewußtsein für dieses Demokratiedefizit. Auch der rheinland-pfälzischen Kommission.

Die andere Seite dieser Ignoranz ist die Rede über angebliche weibliche Akzeptanz der vorgeburtlichen Gentests. Tatsächlich wurde Pränataldiagnostik an Frauen vorbei etabliert. Heute drängen viele GynäkologInnen sie Schwangeren unter Androhung kindlicher »Defekt-Risiken» auf, um höchst richterlich gesetzter Arzthaftung für die Geburt eines behinderten Kindes zu entgehen. Es wird Zeit, dass Frauen wieder lauter werden. Präimplantationsdiagnostik würde die Pathologisierung der Schwangerschaft, die durch vorgeburtliche Diagnostik produziert wird, ebenso verstärken wie den sozialen Druck zur »gesunden Mutterschaft». Frauen würden noch weiter in die Rolle der ExekutorInnen gesellschaftlicher Eugenisierung gedrängt. Das nützt ihnen so wenig wie die Liquidierung des Embryonenschutzgesetzes, die Rheinland-Pfalz einläutet.

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