Frauenschwemme beim Theatertreffen

Bühne Vergangenes Jahr beschlossen die Berliner Festspiele eine Frauenquote. Hat sich seitdem etwas am Geschlechterverhältnis geändert?
Ausgabe 05/2020

Im vergangenen Jahr beschlossen die Berliner Festspiele, für ihr im Mai stattfindendes 57. Theatertreffen (und für das folgende Jahr) eine Frauenquote von 50 % einzuführen. Damit soll die Arbeit von Regisseurinnen stärker in den Fokus rücken. Bisher macht deren Anteil etwa 40 % aller Theaterproduktionen aus, viele davon aber auf kleinen Bühnen oder in kleineren Formaten. Bei den dieses Jahr für das Festival der besten zehn gesichteten insgesamt 432 Inszenierungen in 56 Städten führten Frauen bei 171 Arbeiten die Regie. Das Ergebnis der Jury übererfüllt nun sogar die selbst auferlegte Quote: Regisseurinnen sind sechs, Regisseure vier geladen.

Dabei sind etwa Süßer Vogel Jugend von Tennessee Williams vom Schauspiel Leipzig, ein moderner Klassiker, den Claudia Bauer mit grotesken Zuspitzungen aufbereitet hat. Vom Berliner Deutschen Theater ist Der Menschenfeind in der Regie von Anne Lenk eingeladen. Aus Bochum kommt der fulminante Hamlet in der Gestalt von Sandra Hüller und in der Regie von Johan Simons.

Hier zeigt sich auch der Subtext der Auswahl: Es geht nicht nur um Frauen am Regiepult, sondern um die Reflexion brüchiger Männlichkeit auf der Bühne. Auch die Inszenierung von Anta Helena Recke lässt diese Reflexion aufscheinen: In Die Kränkungen der Menschheit (Münchner Kammerspiele) ist der weiße europäische Mann nicht mehr Maßstab der Dinge, sondern Subjekt einer universellen Erniedrigung. Dazu gehört auch die gerade erst in Zürich zur Premiere gekommene Adaption von Max Frischs Der Mensch erscheint im Holozän von Alexander Giesche.

Eine Neuentdeckung ist Eine göttliche Komödie nach Dante und Pasolini von Federico Bellini am Münchner Residenztheater, Regie Antonio Latella.

Erfrischend auch, dass es Helgard Haug von Rimini Protokoll mit ihrer Theater-Tourette-Untersuchung Chinchilla Arschloch, waswas. Nachrichten aus dem Zwischenhirn geschafft hat. Neue Dramatik, zuletzt nicht gerade die Domäne des Theatertreffens, stellen Katie Mitchell mit Alice Birchs Anatomie eines Suizids vor (Schauspielhaus Hamburg) sowie noch einmal die Münchner Kammerspiele mit Toshiki Okadas The Vacuum Cleaner, der Geschichte einer schrägen Familie aus der Sicht eines Staubsaugers.

Etwas aus dem Rahmen fällt die Tanzproduktion von Florentina Holzinger mit dem Titel Tanz – eine sylphidische Träumerei in Stunts als kulturkritisch feministische Auseinandersetzung mit Stereotypen des Balletts anhand von splitternackten Luftgeistern, die vom klassischen Spitzentanz ins Genre des Horrorfilms eintauchen.

Holzinger wird als hochbegabte Theatermacherin gehandelt und soll mit der kommenden Intendanzübernahme René Polleschs in der Volksbühne eine prägende Rolle einnehmen. Die Volksbühne ging auch dieses Jahr wieder leer aus. Wie überhaupt die Hauptstadt offenbar wenig beizutragen hatte.

Heraus kommt eine ziemlich wilde Mischung, von der Rückkehr zu Klassikern bis zu völligem Neuland wie die Performance der Österreicherin Holzinger und Haugs Tourette-Performern. Wie die Quotierung solchen inhaltlichen Akzenten am Ende entspricht, wird man erst Mitte Mai, nach Ende der zwei Theatertreff-Wochen, diskutieren können. Jetzt steht erst mal fest, dass die siebenköpfige Jury, mit drei Jurorinnen selbst knapp unter der eigenen Quote, eine ziemlich interessante Auswahl zustande gebracht hat.

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