Berliner Abende Fast schon echt krass, supergenial: Nicht wenige junge Frauen liegen auf den Knien, die schönen Lider über die Äpfel geklappt, gekrümmt wie Hörrohre, ...
Fast schon echt krass, supergenial: Nicht wenige junge Frauen liegen auf den Knien, die schönen Lider über die Äpfel geklappt, gekrümmt wie Hörrohre, um aufzunehmen, was ihnen der Herr flüstert, während auf der Bühne, getigert von den Farben der Scheinwerfer, Prediger Sprotte aus Dresden das Leitungsteam einsegnet, das hinfort die Gemeinde führen soll, die soeben gegründete der Berliner Jesus Freaks. Leiter Ingo, von Rührung übermannt, wehret den Tränen nicht. Hey!, ruft der Prediger segnend, geil!, und in der Gründerfreude gerät das Segnen schon mal durcheinander. Vor allem das Zurücksegnen der da unten Gesegneten, vielleicht hundert, die jetzt auch gleich den Vater echt mit segnen, der so genial seine Freaks
ks in die Stadt gestellt hat, deren Mühselige und Beladene ihrer bedürfen wie kaum sonst wo. So geil. Berlin ist echt nicht zu groß für uns. Segen hin - Segen her. Echter Segen, dass hier supergenial umgesetzt wird, den Herrn in die Herzen und Häuser und Hinterhöfe zu bringen, nicht die Gesetze, die Broschüren und den Staub der Amtskirchen. Den Vater, die Gemeinschaft, die Liebe. Zart streichelt die Punkerin die Kopfgrinde des Skins. Oi! Man könnte durchaus auch ein bisschen Pogo hüpfen, um den Herrn zu lobpreisen, ob seiner krassen Gnade, ihnen die Herzen hier zu füllen, gleich unterm Warschauer Bahnhof, in einer Halle, wo ein Lidl-Flackern vor einiger Zeit verlosch und jetzt junge christliche Gruppen ein Zuhause haben, bzw. der Herr, denn es heißt dieser Ort "Dein Haus". Vor wenigen Monaten war dem Unfrommen von den Freaks berichtet worden. Das war in Zittau, wo sie ein Café betreiben und in kleinen Zügen vor ein Haus der üblen Glatzen prozessierten, um Liebe in deren verhetzte Herzen zu beten. Sie wissen, dass das geht. Herr, sagt die Musikantin, ich bitte dich, mach echt übernatürliche Dinge, mach die Kranken echt gesund bei unserer Musik! Sie wissen, dass der Herr sich nicht lumpen lässt, haben es selbst erfahren. Dass es heiß wurde in ihren Herzen oder kalt, oder dass es darin pochte, als wie der Specht sich aus dem Verholzten hämmert, und dann war er drin in den Herzen, und sie bei den Freaks. Manchmal war es auch eine unverhoffte Umarmung, als der Arsch echt auf Grundeis ging, und manchmal eines der echt geilen Jesus Freaks T-Shirts, das, auf dem das Kreuz aus dem Totenschädel heraustriumphiert, oder das, worauf das Alpha und das Omega den alten Anarchistenkreis revolutionieren. Manche ist auch einen längeren Weg durch die Heilsindustrien gegangen. Aber so lang war der dann auch wieder nicht. Denn sie sind alle sehr jung. God bring me back to you. Lobpreist die Gemeindeband. Jesus break the walls between us. Auch der Herr hört am liebsten Englisch. Die Band klingt wie langsame Jefferson Airplane, ohne Grace Slick, ein bisserl indepentendmäßig angesumpft, mit einem intensiven Chorgesang, gleich chinesischen Lehrlingen, wie weiland bei "Die Werktätigen von der Zuckerwattefabrik in der 37. Straße grüßen Onkel Mao". Ein Rhythmus, wo jeder mit muss. Sie heben die Hände, um ihn nimmer loszulassen, wenn er hineinfährt in die jungen Glieder, damit er ihnen hilft zu Wohlgefälligkeit, auch im Geschlechtlichen. Denn Sex gehört in die Ehe von Mann und Frau und folglich die Homosexualität geheilt. Herr, schau´ auf diese Stadt! Ach, wir danken dir, dass du echt so ein großer Herr bist. Das wird auch nötig sein in der Hauptstadt der Verrohung. Vor wenigen Jahren kam in einem Hamburger Hinterzimmer der Herr über zwei Freaks. Heute sind es dreitausend in der Republik, zwei Dutzend der Kern der Berliner Gemeinde. Prediger Sprotte kann in Dresden vielleicht auf das Fünffache an Jüngern zählen. Sachsen ist bereits von Liebe durchsotten. In Berlin-Brandenburg lechzt die Steppe. Sprotte hat nicht viel Zeit. Nach seinem echt einfachen Wort, seiner supergenialen Botschaft wird überall verlangt. Sprotte trägt einen modischen Kampfanzug und die Wollmütze tief in die Stirn und über die Ohren gezogen. Eine Rakete des Herrn, Loveguerilla. Ich kann noch gar nichts sagen, sagt der Kameramann eines Teams der Wiener Filmakademie, das Sprotte seit Tagen begleitet. Ich bin ganz voller Eindrücke. Der Mann hat ja so viele Facetten, sagt der Regisseur. Esst und trinkt, sagt die Leitung der blutjungen Gemeinde. Vor der Tür glüht der Grill. Ingo ist voller Pläne. Ein großes Haus des Herrn wird entstehen, ein paar Quartiere weiter, dass die Gedemütigten kommen können. Ihr Zehnter wird dafür nicht reichen, gewiss. Aber da der Herr sie hierher gestellt, wird er auch das Geld auftreiben. Echt.
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