Mitte der neunziger Jahre hat ein Observationskommando des Bundesnachrichtendienstes (BND) den Publizisten Erich Schmidt-Eenboom und andere Journalisten über mehr als zwei Jahre hinweg bespitzelt. Grund für die verfassungswidrige Überwachung war Schmidt-Eenbooms Buch Der BND. Schnüffler ohne Nase (1993), in dem er Details aus Geheimdienstkreisen veröffentlichte. Man wollte seine Informanten ausfindig machen.
FREITAG: In der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes gab es diverse Reformversuche. Doch mit einiger Regelmäßigkeit kommen illegale Praktiken an die Öffentlichkeit. Warum bekommt man den BND nicht in den Griff?
ERICH SCHMIDT-EENBOOM: Der erste sogenannte Reformpräsident nach dem Ende des Kalten Krieges, Konrad Porzner, ist völlig glücklos geblieben, sein Nachfolger Hansjörg Geiger war zu zurückhaltend und kaum bereit, Risiken einzugehen in der Umgestaltung des Dienstes. Der eigentlich erste Reformpräsident des BND war August Hanning, der mit vielen klassisch schlechten Strukturen des Dienstes gebrochen hat und die Bereiche Aufklärung und Beratung der Politik auf bessere Wege gebracht hat. Die Reform des BND darf nicht mehr dem BND allein überlassen werden, sondern sie sollte aus dem Kanzleramt heraus gezielt politisch gesteuert werden.
Waren Sie überrascht, als Sie von Ihrer Überwachung erfahren haben?
Von der Intensität allemal. Ich habe ja damals beobachtet, dass mein Papiermüll von seltsamen Fahrzeugen abgeräumt wurde, ich habe die Erfahrung gemacht, dass BND-Mitarbeiter, die sich an mich gewandt haben, ausgesprochen konspirative Wege gingen. Aus deren Verhalten musste man eigentlich rückfolgern, dass sie ihrem Dienst zutrauen, mich zu überwachen. Gemerkt habe ich es nicht, wobei man einmal ins Auge fassen muss, dass dieses spezielle Observationskommando QC 30 wirklich die allerbesten Profis des BND umfasst. Deren Aufgabe ist ja normalerweise, Nachrichtendienstler zu überwachen - und die werden geschult im Erkennen von Observationen.
Kurz vor seinem geplanten Wechsel ins Innenministerium ereilt BND-Chef Hanning diese Affäre. Damals war er im Kanzleramt zuständig für die Aufsicht der Dienste. Muss er nicht davon gewusst haben?
Ich gehe davon aus, dass er es nicht gewusst hat. Solche Dinge wie Journalisten-Observationen oder auch die Beziehungspflege zu ausgewählten Journalisten laufen selten über den Weg nachweisbarer Akten. Es hat mit Sicherheit auch keinen Austausch zwischen BND-Chef Konrad Porzner und dem Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt Bernd Schmidbauer gegeben, sie haben sich gegenseitig misstraut. Aber von Schmidbauer ist bekannt, dass er zu zahlreichen leitenden BND-Mitarbeitern herzliche Sonderbeziehungen pflegte. Darunter zu Volker Foertsch, der bis 1989 Chef der Abteilung I und ab 1994 Chef der Sicherheit war. Mit ihm hatte er ein gutes Gesprächsverhältnis. Wenn da irgendetwas kommuniziert worden ist, dann auf der mündlichen Ebene.
Der damalige BND-Chef Porzner will sich nicht erinnern können ...
Nachdem mein Buch Schnüffler ohne Nase den Dienst nachhaltig erschreckt hat und ich dann im Prozess gegen den BND-Oberst Baltutis im September 1993 die eidesstattliche Erklärung abgegeben habe, dass ich die Informationen über ihn aus zwei Quellen bezog, wurde Porzner suggeriert, es müssten mindestens zehn BND-Leute sein, die mir Staatsgeheimnisse verraten. Schließlich erteilte Porzner die Erlaubnis, es dürfe der öffentliche Raum vor meinem Institut mit Kameras überwacht werden, aber Schmidt-Eenboom als Person dürfe nicht observiert werden. Das ist dann alles total aus dem Ruder gelaufen. Meine Sekretärin ist beim Einkaufen begleitet worden, ich bin auf Dienst- und Privatreisen vom BND observiert worden ... Offensichtlich ist dies gegen den dezidierten Willen des Präsidenten geschehen. Es war ein salomonisches Fehlurteil von Porzner, auch seiner wildesten Truppe freie Hand zu lassen. Das muss Herr Porzner sicherlich - ich hoffe vor einem Untersuchungsausschuss - rechtfertigen.
Am Montag hat das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) beschlossen, einen Sachverständigen einzusetzen. Werden Geheimdienste durch das PKG ausreichend kontrolliert?
Nein, weil das Parlamentarische Kontroll-Gremium nur sehr sehr geringe Einblicke in das Innenleben des BND hat und damit in der Regel auch keine Ansatzpunkte findet, um peinliche Fragen zu stellen. Die Unterrichtungen sind sehr pauschal, die Abgeordneten dürfen darüber nicht reden.
Welche Konsequenzen müsste Ihrer Ansicht nach diese Affäre haben?
Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags unter dem Arbeitstitel "Sicherheitsbehörden und Journalisten" wäre geboten. Er müsste sich nicht nur mit dem Fall des BND befassen, sondern auch mit dem Fall Schirra/BKA und zwar mit beiden Dimensionen: das Verfolgen unliebsamer Journalisten und das Anfüttern der lieben.
Wie könnte man solche Praktiken in Zukunft verhindern?
Man müsste zum einen das BND-Gesetz konkretisieren, damit es nicht weiter als Gummiparagraf für Observationen herangezogen werden kann. Falls auf gesetzlicher Ebene nichts voran geht, wäre der andere Weg der gerichtliche, über eine Feststellungsklage betroffener Journalisten, notfalls bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Darüber hinaus müsste der Staat illegale Praktiken auch strafrechtlich sanktionieren. Wenn Angehörige von Sicherheitsbehörden die Grenzen der Legalität überschreiten, sollte das nicht nur drakonische Strafen nach sich ziehen, sondern auch eine sehr lange Verjährungsfrist, weil ja viele von diesen "Schweinereien" erst mit einem gehörigen zeitlichen Abstand herauskommen. 20 Jahre Verjährung und fünf Jahre Haft und ich denke, die Risikobereitschaft von wild gewordenen Truppen wäre nachhaltig gemindert.
Schilys Nachfolger im Innenministerium, Wolfgang Schäuble (CDU), wollte schon einmal aus dem Verfassungsschutz eine Bundesbehörde für innere Sicherheit machen. Wird er die Sicherheitsbehörden weiter zentralisieren?
Die politischen Bemühungen, quasi ein Reichssicherheitshauptamt wieder auferstehen zu lassen, gab es schon 1956/57, ohne Erfolg. In der westlichen Propaganda von 1950 bis 1990 war diese Zentralisierung immer besonderer Ausdruck des diktatorischen Charakters der Sowjetunion. Was allerdings den Verfassungsschutz betrifft, so sollte der in einer Bundesbehörde zusammen gefasst werden. Dort gibt es in den Ländern Parallelstrukturen, die geradezu kontraproduktiv sind. Sie trauen sich gegenseitig nicht über den Weg. Der Verfassungsschutz gehört zentralisiert, aber sauber separiert von der Polizei. Und bei allen Begehrlichkeiten des BKA: nachrichtendienstlich arbeiten, das darf eine Polizei nicht.
In den nächsten vier Jahren werden vor allem FDP und Grüne in der Opposition versuchen, sich wieder als Bürgerrechtsparteien zu profilieren. Schäuble wird es vor allem auf europäischer Ebene nicht mehr so leicht haben, denn seit einiger Zeit werden gerade die kleineren Staaten mutiger in ihrem Widerstand gegen die Zentralisierungstendenzen der großen.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
In einem Gespräch mit dem noch amtierenden BND-Chef August Hanning, das nach diesem Interview geführt wurde, ist Erich Schmidt-Eenboom umfassend und detailliert über die Vorgänge informiert worden. Nach Aussage Schmidt-Eenbooms hat sich Hanning für die Operation entschuldigt und glaubhaft versichert, mit einer verschärften Dienstaufsicht dafür zu sorgen, dass sich derartige Vorgänge nicht wiederholen. Um den Fall aufzuklären, seien bereits 25 Personen vernommen worden und aufgrund von Teilakten konnte man sich ein klares Lagebild machen. Schmidt-Eenboom sei in der Zeit von November 1993 bis März 1996 oberserviert worden. Hanning bewertete die Observation als unverhältnismäßig und rechtswidrig, betonte allerdings, dass sie unter seiner Ägide nicht mehr betrieben wurde. Als Schwachstelle wurde bewertet, dass die Observationskommandos in Außenstellen angesiedelt waren und dort ein Eigenleben entwickelten. Im Übrigen sei die Überwachung völlig ohne Ergebnis geblieben.
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