500 Euro oder 1.000 oder gar 1.500 Euro bar auf die Hand, ohne dafür auch nur einen Handstreich zu tun, ohne dafür auch nur eine Zeile eines Kontrollbogens ausfüllen zu müssen - was ist das? Die Neuerfindung des Sozialstaates ohne Paternalismus? Die Vollendung eines reaktionären neoliberalen Projektes? Das neugegründete Reich für Faulenzer? Oder die Einführung des kommunistischen Kapitalismus durch "eine informelle grün-rot-schwarze Koalition" wie Wieland Elfferding (Freitag 1/07) analysiert?
Das Konzept des so genannten allgemeinen und bedingungslosen Grundeinkommens erntet Aufmerksamkeit, weil sich an ihm die Geister scheiden. Da gibt es zunächst eine Polarisierung, die unnütz ist. Unter dem Namen Grundeinkommen und dem knapp daneben
en und dem knapp daneben liegenden Begriff der Grundsicherung kann sich Gegenteiliges verbergen: von einer Unterstützung weit unterhalb der Armutsgrenze bis hin zur Finanzierung eines menschenwürdigen Lebens; von der materiellen Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben bis hin zu einer Politik der Almosen unter staatlicher Kuratel - es ist alles vertreten.Weil Dieter Althaus, Milton Friedman, Kurt Biedenkopf, Thomas Straubhaar und viele andere auch von Grundsicherung reden, steckt der, der nicht aufpasst, flugs in einem Dickicht aus Verdächtigungen und keinesfalls in einer anregenden Debatte über Faulheit und Fleiß von Menschen, über die Vermeidung von Armut, über die Herstellung von Freiheit und einen sicheren Sozialstaat. Diese Rede geht so: Weil die alle dafür sind, deshalb ist der, der auch dafür ist, auch einer von denen. Richtig daran ist: Im Prinzip kann das Konzept des Grundeinkommens Teil einer neuen und besseren sozialen Politik sein oder bloß tragendes Element eines effizienteren Managements von Armen-Verwaltung. Nur: Mit einem Minimum an Nachdenken merkt jeder ziemlich rasch, wohin der Hase jeweils läuft. Also: Dieses Thema kann man getrost kleinhalten.Antwort auf die SozialstaatskriseDann gibt es eine Polarisierung, die nützt. Sie entzündet sich - nicht nur, aber vor allem - an der Frage, ob dieses Projekt überhaupt machbar ist. Tatsächlich: Wäre es ein bisschen realitätstüchtiger, es wäre klarer, weniger missverständlich, damit schwerer (siehe oben) Verdächtigungen ausgesetzt. Die Machbarkeitsdebatte - mit der Finanzierungsfrage in ihrer Mitte - steht am Anfang, nicht am Ende. Ist das monatliche Grundeinkommen hoch, dann geht den Befürwortern doch zu oft bei der Finanzierungsfrage die Puste aus. Ist die Summe niedrig, was bleibt da noch von dem Anspruch, im Zweifel ohne Lohnarbeit und doch in Würde leben zu können. Die Bandbreite der bisher genannten monatlichen Zahlungen pro Person: Sie reicht von 300 bis 1.500 Euro. Zwei sehr unterschiedliche Zahlen zum Vergleich: Nach offiziellen Berechnungen des deutschen Staates beträgt die Armutsgrenze pro Person 940 Euro. Die zweite Zahl: Würde jeder Bürger allein 600 Euro im Monat erhalten, beliefen sich die jährlichen Kosten auf 570 Milliarden Euro. Die Frage der Finanzierung ist so entscheidend, weil sich aus ihr mehr als aus anderen Kriterien die tragenden Elemente der Gegenrede ableiten lassen, die da lautet: Die Gesellschaft finanziert im Zweifel zwar das Grundeinkommen, erschöpft sich aber darin, so dass sie weder in der Lage ist, zugleich eine leistungsfähige Infrastruktur an öffentlichen Gütern instand zu halten noch beispielsweise das solidarische System der Gesundheitsversorgung weiterzuführen; so würde das Grundeinkommen gerade für diejenigen, um die es geht, zur Milchmädchen-Rechnung.Und eines gehört auch noch zu dieser Gegenrede: Das Grundeinkommen biete den Unternehmen die Basis, erfolgreicher denn je ein Lohndumping zu betreiben. Claus Schäfer, Wissenschaftler am gewerkschaftsnahen WSI, fürchtet deshalb, das Konzept des Grundeinkommens könne "gleich mehrfach die Funktion eines Trojanischen Pferdes für eine noch weitergehendere Neoliberalisierung, Kommodifizierung und letztlich Entdemokratisierung des gegenwärtigen Gesellschaftsmodells sein". Es ist unverkennbar: Vor allem die Gewerkschaften denken, hier werde verantwortungslos mit sozialstaatsschädlichem Material hantiert. Wer dieses Konzept also näher an die Machtfrage heranführen will, der wird die Gewerkschaften - wenigstens wesentliche Teile von ihnen - für sich gewinnen müssen. Und wem dies gelingen will, der muss sich noch gute Antworten auf diese Vorbehalte einfallen lassen.Warum aber lohnt trotz dieser Mängel, Bedenken und Gegenreden die weitere Arbeit an diesem Konzept? Es ist trotz aller vorgetragenen Kritik eine sozialstaatlich geprägte alternative Antwort auf die Krise des Sozialstaats. Diese Krise hat zwei wesentliche Quellen. Der Sozialstaat von heute ist zwar - im Gegensatz zu den Behauptungen der Konservativen und Neoliberalen - unverändert zu finanzieren, aber nicht länger in der Art von heute: Aufgrund seiner wesentlichen Finanzierung über die Sozialversicherungs-Beiträge verfügt er dann über volle Kassen, wenn die Arbeitslosigkeit gering ist und er kein Geld benötigt. Seine Kassen sind genau aber dann leer, wenn sie voll sein müssten, in den Phasen der Massenarbeitslosigkeit. Da Staat und Politik darauf bisher meist mit rigidem Sparen reagierten, ist damit zwangsläufig ein weiteres Problem verbunden: Lohn- und Erwerbsarbeit bietet in unserer Gesellschaft für die meisten Menschen nicht nur eine materielle Grundlage, sondern auch die Grundlage für ihre Identität und ihr Selbstbewusstsein. Deshalb löst Arbeitslosigkeit immer eine Doppelkrise aus: eine der materiellen Versorgung und eine der Identität.Auf die zweite Quelle der Sozialstaatskrise machen Jürgen Habermas und andere seit vielen, vielen Jahren aufmerksam. Ihr Argument: Der Wohlfahrts-Staat greife nicht nur in den Kreislauf der Wirtschaft, sondern auch in den Lebens-Kreislauf der Bürger ein. Die Macht des Staates sei - in Form von Sozialgesetzen, der Umsetzung dieser Gesetze in den Alltag - einerseits unerlässlich, aber andererseits nur vermeintlich unschuldig. So überziehe nämlich "ein immer dichteres Netz von Rechtsnormen, von staatlichen und parastaatlichen Bürokratien den Alltag der potenziellen und tatsächlichen Klienten", so Habermas schon im Jahr 1985. Es komme via Bürokratisierung und Professionalisierung - oft unmerklich und schleichend - zu einer Verformung von Lebenswelten, die destruktiv sei. Somit gebe es einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Ziel und Methode, gehe es doch dem sozialstaatlichen Projekt auch darum, Lebensformen zu stiften, die Spielräume für Selbstverwirklichung und Spontaneität freisetzten.Bornierter ArbeitsbegriffAus dieser Krisenanalyse lassen sich zwei Anforderungen ableiten: Wir kommen mit dem herrschenden Begriff von Arbeit als reiner Erwerbs- und Lohnarbeit und der herablassenden Vernachlässigung, bestenfalls beiläufigen Erwähnung von gesellschaftlich nützlicher, ehrenamtlicher Arbeit, von Familien- und Erziehungsarbeit nicht mehr weiter. Das Konzept des Grundeinkommens liefert die notwendige Grundlage, um endlich von "einem historisch ausgesprochen bornierten Arbeitsbegriff", so der Publizist Hans-Jürgen Arlt, Abschied zu nehmen; eine mehr als überfällige Korrektur, sehen wir uns alle doch bereits auf dem Weg in die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft.Und: Eine emanzipative Sozialpolitik kann sich nicht länger um die Kritik herummogeln, dass die Empfänger von Sozialleistungen - subjektiv auf jeden Fall, aber auch aufgrund von objektiven Strukturen - latent in ihrem Status als souveräne Bürger gefährdet sind. Auch hier gilt: Es gibt bisher nur das Konzept des Grundeinkommens, das zwangsläufig und in sich schlüssig darauf eine Antwort bietet.Und dann gibt es noch einen weiteren Punkt, weshalb es sich lohnt, das Grundeinkommenkonzept zur politischen Serienreife zu bringen. Es ist der bisher einzige Vorschlag, mit dem es der Linken gelingen könnte, zwei in der operativen Politik bisher unvereinbare Werte und Ziele sinnvoll zu vereinen: den Wert der kollektiven Solidarität und den der persönlichen Freiheit. Bisher ging meist das eine auf Kosten des anderen. Mit der "offenen Politisierung" (Claus Offe) dieser Einkommens- und Verteilungsfrage, was das Konzept des Grundeinkommens bedeutet, bleibt der Bürger auch Bürger, wenn er Empfänger von staatlichen Leistungen ist. Katja Kipping (Linkspartei) charakterisiert deshalb völlig zu Recht das Grundeinkommen als "eine Demokratie-Pauschale". Mit dem Grundeinkommen ist etwas untrennbar verbunden, was sonst immer getrennt ist: Es geht gleichermaßen um die Lösung einer materiellen Frage und die Stärkung von Bürgerrechten und persönlicher Autonomie. So könnte dieses Konzept dazu dienen, den Paternalismus, der im Bismarckschen Sozialstaat steckt, abzuwerfen, ohne den Sozialstaat zu demontieren. Mit dem Grundeinkommen würde der Einzelne, auch wenn er schwach und ohne Lohnarbeit wäre, zum starken Subjekt gemacht, ohne "Held oder Märtyrer werden zu müssen" (Arlt). Genau daher rühren vermutlich Vorbehalte, ja Ängste aller (Macht-)Apparate dieser Nation vor dem Grundeinkommen. Aber genau hier liegt auch die Schnittmenge, die für aufgeklärte Liberale, sozial denkende Konservative, Linke und Gewerkschafter eigentlich gleichermaßen von Interesse sein müsste.Alle bisherigen Beiträge zurGrundeinkommens-Debatte im Freitag:Götz Werner (Interview) 44/2006 Katja Kipping (Interview) 48/2006 Ulrich Busch 46/2006 Wolfgang Ratzel 50/2006 Wieland Elfferding 01/2007 Heinz-Bernhard Wohlfarth 01/2007 Kai Ehlers 03/2007 Wolfgang Storz 05/2007
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