Fremde Länder, Tiere und exotische Syntax

Musik Bizarr-schöne Namen sind Jens Rachuts Spezialität. Seine Bands hießen Dackeblut und Oma Hans. Nun erscheint "Trüffelbürste" seines Projekts Nuclear Raped Fuck Bomb
Ausgabe 25/2013
Fremde Länder, Tiere und exotische Syntax

Foto: Kerstin Behrendt

Punk war immer auch Parole: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ oder „No Future“. Und natürlich: „Hey, Ho, Let’s Go!“ Was so anschlussfähig wie unterkomplex war, dass sich ein Teil der frühen Protagonisten bald in Richtung Kunst verabschiedete. Die Überbleibsel wirkten oft bemitleidenswert und verknöchert – das Gegenteil dessen, wofür Punk einmal angetreten war. Gleichwohl kennt die deutsche Szene eine Handvoll Bands, die sich etwas von der alten Renitenz bewahrt haben, ohne stehen zu bleiben. Neben EA80 gehörten dazu stets die Bands des Hamburgers Jens Rachut.

Interviews gibt Rachut, der kommendes Jahr 60 wird, nur in Ausnahmefällen. „Ich habe einfach keine Lust, mich mitzuteilen“, soll er einmal gesagt haben. Aber macht einer keine Mitteilungen, der seit den Achtzigern in Bands singt und über zehn Jahre Theater und Hörspiele macht?

Gerade hat er mit seiner Band Nuclear Raped Fuck Bomb ein neues Album aufgenommen. Es trägt den schönen Namen Trüffelbürste, der sich einreiht in eine lange Reihe bizarr-schöner Albentitel von Bands mit bizarr-schönen Namen wie Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Oma Hans oder Kommando Sonnenmilch. Trüffelbürste eröffnet mit einem elektronischen Beat (wie immer: Mense Reents), etwas, das nach Daumenklavier klingt, und einem Damenchor. „Draußen sind die Zäune, drinnen ist es kalt, wissen, dass ein Wunder niemals kommen wird, Engel auf den Wiesen rauchen Joints und lachen.“ Im weiteren Verlauf tischt Trüffelbürste akustische Gitarren auf, schepprige Orgeln, schnoddrige Wave-Gitarren – und natürlich Rachuts heisere Stimme mit dem markanten Hamburger Zungenschlag, bisweilen grotesk keifend. Neu sind die Chöre, die vielen Stimmen, teils dialogisch in Szene gesetzt: „Die Gänse sie ziehen über Japan und suchen einen Ort für die Rast / Japan ist voll, doch in Osaka gibt es ’ne Wiese mit Platz / sie bleiben auch nur ein paar Tage / es ist eng und auch sehr voll / hektisch und Fotoapparate / Vertreibung denn Vögel sind scheu“ – ein Schrei! Klassischer Rachut: fremde Länder, Tiere, exotische Syntax, ein Unbehagen an der Kultur. Und natürlich liegt hier ein Schlüssel zur Auflösung des eingangs formulierten Widerspruchs. Oder, um es mit Rachut zu sagen: „Ich hab ja die Stärke, mit großer Begeisterung unverständliche Sachen aufzuschreiben, wo alle immer sagen, das klingt gut, aber ich versteh das nicht.“ Ob er selbst das versteht? „Ja, klar, oft.“

Was nicht bedeutet, dass sich inmitten der surreal überhauchten Erzählungen keine Haltung finden ließe. Zwar ist „Kill Mainstream“ nicht die Mittelfingerabrechnung, für die der Titel im Jugendfreizeitheim ein Garant wäre. Umso beklemmender die Diagnose: „Er hat sich angeschlichen, ist lange, lange her. Hat die Führung übernommen, die meisten mögen ihn. Er schmiegt sich an und wärmt dich, doch sein Feuer kontrolliert nur. Wenn du Glück hast eine Woche, wenn du Pech hast Lebenszeit.“ Doch was folgt, ist Utopie: „Ohne ihn gäb’s bunte Kälber, keinen Rost und kein Gestöhn. Fantasie statt Geld und Ärger wie ein langer Liebesschrei.“ Die Lösung: Das Spiel nach den eigenen Regeln spielen. Zum Beispiel die Gitarrensaiten abkleben, sodass sie wie die elektrisch verstärkten Daumenklaviere der kongolesischen Band Konono No. 1 klingen, Frauenchöre einladen und die akustische Gitarre rausholen. Ist das Punk? Ja, nein – egal!

Trüffelbürste NRFB Major Label / Staatsakt

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