Die Faszination ist besonders, aber nicht leicht zu erklären: In Nürnberg treffen sich Filmbegeisterte, um ernsthaft vergessene erotische Sensationen der Filmgeschichte zu gucken. Zuletzt Anfang Januar zum 12. Mal. Auf dem Programm standen Titel wie ...soviel nackte Zärtlichkeit (Günter Hendel, BRD 1968), Ernte der sündigen Mädchen (Louis Solanes, F/I 1960), Die Klosterschülerinnen (Eberhard Schroeder, BRD 1972). Geschaut haben Thomas Groh und Lukas Foerster.
Thomas Groh: Die Nürnberger „außerordentlichen Hofbauer-Kongresse“ gehören für uns beide zu den zentralen Kinomomenten der letzten Zeit. Die Veranstaltung war bislang kaum öffentlich, – lange gab es nurpersönliche Einladungen – wie können wir das Faszinosum Hofbauer-Kongress erklären? Was geschieht da?
Lukas Foerster: Das „Was“ ist leicht zu beschreiben. Im KommKino, einem traditionsreichen Nürnberger Off-Kino, zeigt eine, sagen wir, halb konspirative Gruppe von Filmliebhabern, das Hofbauer-Kommando, mehrmals im Jahr ein sehr spezielles Filmprogramm mit Schwerpunkt auf erotischen Sensationen der unterschiedlichsten Art.
Die Faszination, die davon ausgeht, ist schwer zu erklären, weil es erst einmal genau das ist, was man sich als Außenstehender darunter vorstellt: Da reisen ein paar Verrückte durch halb Deutschland zu ein paar noch Verrückteren, die ihnen einige Nächte lang eine Reihe von ebenfalls völlig verrückten Filmen vorführen. Dass das auf uns einen derartigen Eindruck macht, der alle konventionelleren Filmfestivals in den Schatten stellt, muss auch eine Frage des „Wie“ sein; des Wie des Zeigens, aber auch des Wie des Sehens und des Wie des Darüberredens. Die Hofbauer-Kongresse haben inzwischen einen eigenen Jargon hervorgebracht, inklusive neuartiger filmhistorischer Periodisierungen („Frühschmier“ für spekulativ-aufreizende Genrefilme der frühen 1960er) und Neologismen (Tristesse plus Sleaze gleich „Treaze“).
Wer Genaueres wissen möchte – auf nach Nürnberg, der nächste Kongress kommt bestimmt. Silvia Szymanski hat das im Jahresrückblick auf cargo-film.de gut zusammengefasst: Wir sehen in Nürnberg diese Filme an, „als wäre das hochwichtig, als würde das die Welt zusammenhalten.“
Groh: Die „hochwichtige“ Haltung, die Art des Redens über diese Filme im Rahmen einer eingeschworenen Gemeinschaft ist auch für mich zentral. Es geht eigentlich um eine Neueinschätzung von Filmgeschichte. Verfemte oder „illegitime“ Filme stehen im Mittelpunkt. Man nähert sich ihnen mit einer lustvollen, neugierigen Haltung jenseits der als gültig erachteten, überlieferten Parameter der Filmgeschichte. Was aber erfrischend un-tarantino-esk ausfällt.
Es gibt ja eine gewisse Tradition, sich „B-Movies“ oder „Trash“, ironisch gebrochen, auf eine weihevolle Art zu nähern, die auf Emblematisierung abzielt oder auf eine Aufwertung durch Anerkennung von außen. Auch das „schlechte“ Kino soll einer beflissenen Kanonbildung als schätzenswerte Form zugeführt werden. Das tendenziell autoritäre Konzept einer kanonischen Filmgeschichte mit einem Innen und Außen stellt das Hofbauer-Kommando aber gerade infrage. Und tatsächlich: Befasst man sich derart konzentriert mit Filmen, die eine snobistische Cinephilie keines Blickes würdigen würde, wird der eigene Blick ziemlich frei. Man merkt erst, wie diskursiv verstellt der Zugriff auf Filmgeschichte oft ist und was es jenseits der üblichen Sortierungen zu entdecken gibt.
Foerster: Was zu der Frage führt: Wer oder was ist eigentlich dieser Hofbauer?
Groh: Ernst Hofbauer, ein Paria der deutschen Filmgeschichte. Mit der Schulmädchen-Report-Reihe drehte er für Produzent Wolf C. Hartwig einige der erfolgreichsten deutschen Kinofilme. Der Cinephilie ist er unbekannt. Ein Österreicher, der erst mit einigen Gangsterfilmen und dann mit Softsex die westdeutsche Filmgeschichte von Milieu und Bahnhof her einseifte. Für das Hofbauer-Kommando ist er insofern ein Patron, da die Gruppe ihn als eine Art Auteur im Schmuddelfilm ausfindig gemacht hat, ähnlich wie die französische Filmkritik einst im US-Studiosystem individuelle Handschriften identifizierte. Tatsächlich zeichnen sich seine Filme oft durch souveräne Handhabe der filmischen Mittel aus, die den Mythos vom „runtergekurbelten Sexfilm“ dementieren.
Foerster: Hofbauer ist nur eines von mehreren vergessenen (bzw. nie als erinnerungswert betrachteten) Schmuddelkindern des Kinos, denen hier gehuldigt wird. Selbst wenn man nur, was die Kongresse dediziert nicht tun, beim deutschen Kino bleibt, könnte man noch nennen: Jürgen Enz, den zärtlichen Clown des deutschen Sex-Films, der außerdem mit der Herbstromanze, einer der größten Entdeckungen der Kongresse, den Heimatfilm to end all Heimatfilme gedreht hat. Der erhält nun dank des unermüdlichen Einsatzes des Kommandos mehr Aufmerksamkeit als zu seinem Kinostart. Oder Günter Hendel, einen Neoklassizisten, bei dem bundesdeutsche Spießbürgerlichkeit eine faszinierende Allianz mit spekulativ-grindigem Genrekino eingeht.
Ein besonders gutes Beispiel für jene Filmgeschichtsschreibung von den Rändern her, die die Kongresse ermöglichen, ist ein gewisser Rudolf Lubowski. Seines Zeichens Kinderbuchautor, Hörspielproduzent und eben auch Exploitation-Regisseur, könnte man ihn als eine Art Gespenst im Unterleib der deutschen Unterhaltungsindustrie bezeichnen. Beim letzten Kongress tauchte er unverhofft als Synchronregisseur eines völlig bizarren brasilianischen Vergewaltigungsmelodrams wieder auf.
Groh: Ohnehin phänomal, welche Verschüttungen da abgetragen werden – Enz und Lubowski, beste Beispiele. Auch aus der Perspektive einer Mentalitätsgeschichte ist das ungeheuer interessant. Das brasilianische Melodram, von dem du sprichst, Quelle der Erotik, dessen deutscher Verleihtitel laszive Sensationen in Aussicht stellt, die dieser Blick in den Abgrund niemals einlöst, benennt inmitten des Kino-Unterhaltungsbetriebs „Rape Culture“-Dimensionen, die einem Offenbarungseid gleichkommen. Hier sprechen die Diskurse ganz offen, unverstellt. Das macht den Film historisch, im Sinne eines Dokuments, ungeheuer wertvoll.
Oder eben die Herbstromanze – ein unfassbares Unikum, ein Heimatfilm auf Morphium von 1980, idyllisches Delirium reinster Gutmütigkeit. Zum Vergleich: Zeitgleich entstand Fassbinders Berlin Alexanderplatz, Herzog nahm Fitzcarraldo in Angriff. Diese Spannbreite fächert das Bild von Deutschland im Übergang der siebziger zu den achtziger Jahren nochmal neu auf. Schon die Tatsache, dass dieser Film entstehen und ins Kino kommen konnte, grenzt ans Unglaubliche.
Foerster: Ein weiterer zentraler Aspekt: Die Kongressfilme zählen auch in materieller Hinsicht zu den Vergessenen des Kinos. Das Hofbauer-Kommando führt seine Entdeckungen, so weit möglich, als 35-mm-Kopien vor. Schon deshalb, weil die meisten dieser Filme nie digitalisiert wurden und – angesichts der geringen Mittel, die derzeit dafür zur Verfügung stehen – es wohl auch nie werden; die warten in den hinteren Regalen der Archive auf ihren endgültigen Verfall. Man sieht da, ganz buchstäblich, einem Teil der Filmgeschichte beim Sterben zu, teils in immer noch beglückend leuchtenden Farben, teils aber auch durch rotstichige Schlieren hindurch.
Groh: Euphorie und Melancholie liegen dicht beisammen. Den Filmen im Moment ihrer (Wieder-)Entdeckung beizuwohnen, die Beglückung, mit anderen Menschen ein Kuriosum wie Der Perser und die Schwedin zu entdecken, einen schwedischen in London gedrehten Sittenreißer des unbekannten Iraners Akramzadeh, und sich im selben Moment bewusst zu werden, dass das wohl das letzte Lebenszeichen dieses Films gewesen sein wird, lässt einen im Freudentaumel ziemlich traurig werden. Auch wenn die Kongressvorführungen zu den lebendigsten, fröhlichsten und unzynischsten zählen, die ich je erlebt habe.
Thomas Groh und Lukas Foerster sind Filmkritiker in Berlin und waren gerade zum vierten (Groh) beziehungsweise dritten Mal (Foerster) in Nürnberg. Das gesamte Programm des 12. Kongresses unter is.gd/Z09LZz
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