Freundlichkeit hat ihren Preis

Festival Die sechste Globale dementiert die eigenen Rubrizierungen durch ihren Ansatz: Warum die Antworten auf die soziale Frage weltweit ähnlich ausfallen

Global ist ein anderes Wort für die Komplexität politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge. Und die Globale also ein Ort, an dem eine Zusammenschau dieser vielfältigen Beziehungen versucht wird. Die sechste Auflage des Filmfestivals, das seit 2003 von einer fluktuierenden, basisdemokratischen Gruppe organisiert wird, war in der vergangenen Woche in Berlin zu erleben.

Dabei ist die Globale mehr als ein Abspielort für Filme: Am Sonntag fand unter dem Motto „Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus“ eine Filmvorführung vor dem so genannten Ausreisezentrum in Berlin-Spandau statt, das Programm wird begleitet von Diskussionsrunden und ergänzt etwa durch kolonialismuskritische Rundgänge im Deutschen Historischen Museum (6. Juni).

Strukturiert ist das Programm thematisch, es präsentiert Filme zu Schwerpunkten wie Afghanistan, Gentrifizierung, Tschetschenien, Gentechnik, Arbeitsbedingungen, Migration oder sexuelle Revolu­tion. Unter dem Rubrum Israel ist von Eyal Sivan (Ein Spezialist, Aus Liebe zum Volk) der Essayfilm Jaffa – The Orange‘s Clockwork zu sehen, der in der Jaffa-Orange ein Symbol für Politik und Ökonomie erkannte. Daniel Ziethen zeichnet in Erez nehederet (Wundervolles Land) ein Portrait des antizionistischen Israels, das Gespräche mit Personen, die sich kritisch mit dem Selbstbild des Landes auseinandersetzen, kombinierte mit Material aus Spielfilmen, die an diesem Selbstbild arbeiten.

Das Faszinierende an dem kleinen Festival ist aber, dass es die Rubrizierungen immerfort dementiert. So werden Strukturen sichtbar, die tatsächlich global sind, weil die Antworten auf die soziale Frage weltweit ähnlich ausfallen. Kal Touré zeigt in Victims of Our Riches von der gescheiterten Hoffnung auf eine Flucht nach Europa zurückgekehrte malische Bauern, die beklagen, dass die Heiratspolitik in ihrem Umfeld traditionell von ökonomischen Interessen motiviert ist. Der Druck zum Unglück, der dadurch entsteht, unterscheidet sich wiederum kaum von den Zwängen, denen die Hausangestellte Lakshmi im indischen Kastensystem unterworfen ist.

In Lakshmi and me interessiert sich Nishta Jain für das Leben ihrer Putzfrau, ohne die eigene Perspektive zu negieren: Lakshmi ist eine junge Frau, die seit Kindesbeinen in Haushalten wohlständiger Familien sauber macht, zehn Stunden am Tag. sieben Tage die Woche, und durch die Liebe zu einem Mann, der nicht zu ihrer Kaste gehört, mit ihrer Familie in Konflikt gerät. Lakshmis Vater ist zu sehen, wie er auf dem Boden der engen Wohnung seinen Alkoholrausch ausschläft, den er finanziert, wie Lakshmis Schwester berichtet, durch das Verscherbeln von Besitz aus Zeiten, in denen die Mutter noch lebte.

Dieses Muster von der Last weiblicher Verantwortung für die Familie findet sich in Im Schatten des Tafelberges wieder. In dem Film von Alexander Kleider und Daniela Michel, der die Raumordnungen in Südafrika vor der Fußball-WM erkundet, sind es die Kinder einer allein erziehenden Mutter, die in der Gefahr stehen, den familiären Besitz in Drogenrausch als Ausweg aus der Tristesse des Alltags umzusetzen. Während die Mutter in fremden Haushalten für Ordnung sorgt. „Freundlichkeit kostet nichts“, lautet die Annahme der Weiterbildung. Sie wird als falsch entlarvt durch Filme wie dem mexikanischen Lotéria, in dem die Vermischung von Liebe und Ökonomie am Beispiel der Nanas genannten Kinderfrauen erzählt wird.

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